Peter Koch (1951-2014)

Für alle in seinem Umfeld unfassbar, ist Peter Koch am letzten Montag, dem 7. Juli, völlig unerwartet aus dem Leben gerissen worden; einem Leben, das bis in die letzten Stunden von intensiver romanistischer Aktivität geprägt war: das Leben eines der ganz Großen, dem die Romanistik enorm viel zu verdanken hat und der eigentlich noch viel Zeit gebraucht hätte, um uns weiter mit seinem Wissen, seinen Ideen und seiner Lehre zu beschenken.

Die Unmittelbarkeit der Präsenz macht es fast unmöglich, in der Vergangenheit von ihm zu sprechen: Peter Koch hat mit seinen Arbeiten die Linguistik weit über die Grenzen der Romanistik hinaus tief geprägt; er hat durch seine Vielseitigkeit Masstäbe in ganz unterschiedlichen Bereichen gesetzt, seine Schüler haben von ihm breite Grundlagen gelernt, die sie selbständig weiterentwickeln und die seine Lehre weit in die Zukunft hinein werden wirken lassen. Peter Koch ist der wohl meistzitierte romanistische Sprachwissenschaftler der letzten Jahrzehnte; vor allem die gemeinsam mit Wulf Oesterreicher entwickelten Konzeptionen haben Geschichte geschrieben. Dabei sollten die berühmt gewordene Dichotomie von Nähe und Distanz oder der aus seiner Habilitationsschrift stammende Begriff der Diskurstraditionen nicht die enorme Breite von Peter Kochs Sprachdenken verdecken, das in sehr vielen Bereichen neue, bahnbrechende Wege gegangen ist, sei es in der Verbgrammatik, in der romanischen (insbesondere italienischen) Sprachgeschichtsschreibung, in der Semantik, der Typologie, der Etymologie oder der Sardologie.

Peter Koch stammt aus Hannover, wo er aufgewachsen ist und von wo er zunächst in die Nähe, nach Göttingen, zum Studium der Romanistik und des Lateins ging. Der altphilologische Hintergrund begleitete ihn sein ganzes Leben: er gab ihm die Grundlage für ein panromanisches historisches Bewusstsein, in welchem die Einzelsprachen immer als Teil eines Gesamtgefüges dastanden; er verlieh ihm auch die firme Basis für zahlreiche Innovationen, die ihre Kraft aus der Sicherheit der Traditionsverankerung schöpften. Immer wieder hat er sich unmittelbar mit dem Lateinischen beschäftigt, und noch in jüngster Vergangenheit konzipierte Peter Koch einen neuen Weg des Lateinunterrichts für Romanisten, der nicht nur in Tübingen modellbildend ist. Nach dem Auslandsstudium in Frankreich folgte der Wechsel nach Freiburg, das sich in den siebziger Jahren immer mehr als Zentrum der romanistischen Sprachwissenschaft etablierte. Es war Brigitte Schlieben-Lange, der er als junges Talent aufgefallen war und die ihn seinem Lehrer Hans-Martin Gauger vorstellte. Beide waren für seine Entwicklung von großer Bedeutung, indem sie eine Verbindung von Tradition und Eigenständigkeit repräsentierten, wie sie für ihn selbst in vielen Bereichen zentral wurde. In Freiburg promovierte er nach dem Studium mit Verb, Valenz und Verfügung, einer wichtigen Arbeit zur Frage der Valenz und Funktionsverbgefügen im Französischen, die einen großen theoretischen Bogen von Tesnière bis zu Fillmore, Halliday, Helbig, Maas oder Wunderlich spannt und ihn zu einem anerkannten internationalen Experten der Tesnièreschen Syntax machte, auf die er immer wieder zurückgekommen ist.

In den 80er Jahren wurde Freiburg zur aktivsten Denkfabrik der romanistischen Sprachwissenschaft und beeinflusste dabei auch mehrere andere Disziplinen. Dies war eine kollektive Leistung unter dem Führungsgespann Wolfgang Raible und Hans-Martin Gauger; Peter Koch kam dabei die Rolle zu, zentrale Denkanstöße zu geben und grundlegende Paradigmen zu entwickeln, die für das ganze Freiburger Umfeld und den legendären SFB 321 Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit identitätsstiftend wurden. Die wissenschaftliche und menschliche Symbiose, die durch die Begegnung mit Wulf Oesterreicher entstand, brachte eine lange Reihe von wegweisenden Arbeiten hervor, so u.a. den brillanten Grundlagenaufsatz Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte von 1985, dessen Grundgedanken Generationen von Romanisten (und auch Germanisten, Anglisten, Slavisten, Kulturwissenschaftlern…) bis heute als Bezugspunkt dienen und der eine ganz neue Dimension für die Linguistik eröffnete. Viele der zentralen Ideen dieses Aufsatzes stehen in Bezug zu der – leider nie veröffentlichten – Freiburger Habilitationsschrift von 1987 Distanz im Dictamen, einem monumentalen Werk zur italienischen Ars dictaminis im Mittelalter, in dessen Theorieteil die Traditionalität der Texte im Drei-Ebenen-Modell Coserius verortet und mit dem Begriff der Diskurstraditionen ein weiteres, die Romanistik prägendes Paradigma gesetzt wurde. Schon vor Abschluss der Habilitation begann die Karriere als Hochschullehrer, zunächst im Rahmen einer Vertretung, dann mit einer Professur in Mainz. Die weitere Entfaltung erfolgte in den 90er Jahren an der FU Berlin und dann, als Nachfolger von Hans-Helmut Christmann, ab 1996 an der Universität Tübingen.

In der Berliner Zeit hatte Peter Koch mit Andreas Blank, der ebenfalls aus dem Freiburger Umfeld kam, einen herausragenden Assistenten, mit dem gemeinsam er die romanistische (v.a. historische) Semantik um eine kognitive Komponente erweiterte und diese mit der semantischen Tradition zu einer kanonbildenden Synthese verband. Leider verstarb Andreas Blank schon wenige Jahre nach seiner Berliner Habilitation; Peter Koch jedoch entwickelte die begonnenen Wege zusammen mit seinen Schülern weiter.

Nach Tübingen brachte er mit Uli Detges und Richard Waltereit zwei seiner Schüler mit, die mithalfen, in kürzester Zeit den Lehrstuhl zu einem hochaktiven Zentrum zu machen und die Tübinger romanistische Sprachwissenschaft in harmonischer Ergänzung mit dem Nachbarlehrstuhl von Brigitte Schlieben-Lange erneut zu einem Fokus der Romanistik werden zu lassen. Leider verstarb Brigitte Schlieben-Lange dann viel zu bald, doch Peter Koch schaffte es durch unermüdlichen Einsatz, das Tübinger Romanische Seminar durch die Krise zu bringen. Er lancierte Projekte, beteiligte sich an Sonderforschungsbereichen, wagte unter anderem, gemeinsam mit seinem Schüler Paul Gévaudan, die Etymologie durch die Verbindung mit kognitiver Semantik auf eine völlig neue Grundlage zu stellen und dies im Rahmen des Wörterbuchprojekts Decolar empirisch zu demonstrieren. In den Tübinger Jahren hat er es immer wieder vermocht, begabte junge Romanistinnen und Romanisten für die Wissenschaft zu begeistern und ihnen eine fundierte Ausbildung zu vermitteln. Er war ein sehr genauer und Horizonte öffnender Lehrer, dem die Anfängerbetreuung und die Lehrerausbildung genauso am Herzen lagen wie seine zahlreichen Promovenden und Habilitanden, die eine starke Schule repräsentieren und inzwischen prominente wissenschaftliche Positionen im In- und Ausland innehaben.

Im Wissenschaftsbetrieb war er an vielen Orten präsent, als bedeutender Redner auf unzähligen Kongressen und Kolloquien, als Gutachter im In- und Ausland, als Vorsitzender des Italianistenverbandes, als Mitglied der Heidelberger Akademie, als Herausgeber und Projektleiter.

Es ist hier nicht möglich, auf alle Facetten des umfassenden Werkes einzugehen, aber es kann insgesamt gesagt werden, dass sein ganzes Oeuvre immer wieder eine einzigartige Kombination von Eigenschaften aufweist, die aus einem vorbildlichen wissenschaftlichen Ethos hervorgehen: Peter Koch war nicht nur begabt als Sprecher und profunder Kenner romanischer Sprachen, er hatte auch ein enorm breites Wissen und einen scharfen, kritischen und dennoch immer wohlwollenden Blick, der sehr schnell wissenschaftliche Spreu vom Weizen zu trennen vermochte. Er ließ von den ihm gestellten Aufgaben nicht ab, bevor sie perfekt gelöst wurden. Ein Gutachten war für ihn keine Pflichtübung, sondern jeweils ein Kraftakt, in den er alles von sich hineingab, um der begutachteten Arbeit voll und ganz gerecht zu werden; jeder Text, vom Aufsatz über den Projektantrag bis zum Rundbrief als Geschäftsführer musste jeweils dem der Sache innewohnenden Ideal entsprechen. Dabei war er – trotz enormer Arbeitsbelastung und nie endender Geschäftigkeit – immer auch für seine Familie da und war ein geselliger Mensch, der gerne lachte und Musik liebte und in der Tübinger Romanistenband Non ostante mit großer Akribie das Keyboard spielte. Er war humorvoll und konnte die Abende gerne auch etwas länger werden lassen, auch wenn er dabei kaum einmal in Smalltalk verfiel und auch zu später Stunde lieber über ein semantisches Problem oder eine sprachtheoretische Frage als über eine Banalität diskutierte.

Es war, dies sei als persönliche Bemerkung gestattet, ein großes Privileg, wissenschaftlich wie menschlich, Peter Koch mehr als zehn Jahre lang als Kollegen erleben zu dürfen. Aus dem wöchentlichen gemeinsamen Tübinger Kolloquium sind viele Ideen hervorgegangen; die Harmonie der beiden Lehrstühle schuf auch für die jeweiligen Schüler ein anregendes Umfeld. Oft haben wir uns über die Überlastung geärgert, den Stress – für den wir mit verantwortlich sind – und die mitunter deutlichen Absurditäten des Universitätsalltags. Leider ist es ihm verwehrt geblieben, aus einer ruhigeren Position auf die Universität zu blicken.

Aus der Distanz betrachtet hat die Romanistik einen ihrer herausragenden Vertreter viel zu früh verloren. Hier aber, in der Nähe, fehlt uns ein Mensch, ein wunderbarer Kollege und Freund.

Johannes Kabatek, Zürich

Beitrag von: Johannes Kabatek

Redaktion: Lars Schneider