Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen (Zeitschriftenheft)

2024


Allgemeine Angaben

Herausgeber

Miriam Lay BranderEva von Contzen Mathias Herweg Barbara Kuhn Julia Kühn Thomas Wortmann

Publikationsdatum
Mai 2024
Jahrgang
176
Nummer
261/1
Weiterführender Link
https://archivdigital.info/
ISSN
0003-8970
Thematik nach Sprachen
Französisch, Italienisch, Spanisch, Sprachübergreifend
Disziplin(en)
Literaturwissenschaft, Fachdidaktik

Exposé

Das Ostjiddische im Spiegel ‚westjüdischer‘ Zeitschriften in den böhmischen Ländern. Strategien, Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung einer jüdischen Sprache am Beispiel der Jüdischen Volksstimme (Brünn)
Von Boris Blahak (Pilsen)
Abstract:
In den böhmischen Ländern hatte die soziale Anpassung der meisten Juden an das deutschsprachige Bürgertum um 1900 bereits weitgehend zum Aussterben des Westjiddischen geführt. Allerdings häuften sich im regionalen deutsch-jüdischen Schrifttum gerade zu dieser Zeit Belege für die Rezeption ostjiddischer Literatur. Um die mediale Präsenz und identitätsstiftende Funktion des Jiddischen für die Gruppe seiner ehemaligen Sprecher zu bestimmen, untersucht der Aufsatz am Beispiel der zionistischen Zeitschrift ‚Jüdische Volksstimme‘ (Brünn) die Strategien, das Ausmaß und die Grenzen publizistischer Vermittlung ostjiddischer Literatur im Original. Dabei wird geklärt, inwieweit die Herausgeber noch mit (rezeptiven) Jiddisch-Kenntnissen ihrer Leserschaft rechneten oder nicht, inwieweit also Transkriptionen, Verständnishilfen oder Übersetzungen als notwendig betrachtet wurden.

In the Bohemian lands, the social adaptation of most Jews to the German-speaking bourgeoisie had already largely led to the extinction of Western Yiddish around 1900. However, in regional German-Jewish print media evidence of the reception of Eastern Yiddish literature was increasing just at this time. In order to determine the media presence and identity-creating function of Yiddish for the group of its former speakers the article uses the example of the Zionist journal ʻJüdische Volksstimme’ (Brno) to examine the strategies, the extent and the limits of journalistic communication of original Eastern Yiddish literature. In the course of this it will be clarified to what extent the editors still expected their readership to have (receptive) knowledge of Yiddish or not, i.e. to what extent transcriptions, understanding aids or translations were considered as necessary.

Keywords:
Böhmische Länder – jüdische Zeitschriften – Westjudentum – ostjiddische Literatur –Hebräisch-Kenntnisse – Publikationsstrategien – Salamon Dembitzer – Dajtschmerismen

Bohemian lands – Jewish journals – Western Jewry – Eastern Yiddish literature – Hebrew skills – publication strategies – Salamon Dembitzer – dajtschmerisms

Schöpfen & Leiden. Zur Ästhetisierung von Melancholie in Luise Rinsers Roman Mitte des Lebens (1950)
Von Kyungmin Kim (Seoul)
Abstract
Der Melancholie wird allgemein eine bedeutsame Rolle für die Kreativität und den Schaffensprozess von Künstler*innen zugesprochen. Als Seelenleiden spielt jene in Luise Rinsers ‚Mitte des Lebens‘ eine zentrale Rolle, da die Hauptfigur Nina ihre melancholische Grundstimmung und die dafür verantwortlichen düsteren Lebensabschnitte mittels der Schöpfung von Literatur verarbeitet und sich dadurch selbstverwirklicht. In feministischen Interpretationen der 1970er Jahre wird Nina in der Konsequenz als emanzipierte Frau betrachtet, da sie als Schriftstellerin ein unabhängiges, unbürgerliches Leben führt. Ihr Lebensstil wird als Identitätssuche einer intelligenten, von der Norm abweichenden Frau idealisiert und ihr seelischer Schmerz als Muse ihres schriftstellerischen Erfolgs perspektiviert. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass das durch Nina inkorporierte Künstler*innenverständnis nur bedingt als emanzipatorisch zu werten ist, übernimmt es doch unkritisch ein ursprünglich männlich kodiertes Künstlerideal, das die negative Kehrseite seelischen Leidens ausblendet.

Melancholy is generally considered to play a significant role in the creativity and creative process of artists. This mental suffering plays a central role in Luise Rinser’s ‚Mitte des Lebens‘ as the main character Nina deals with her melancholic mood and the dark periods of her life responsible for it by creating literature and thereby realizing herself. In feminist interpretations of the 1970s, Nina is consequently seen as an emancipated woman, since she leads an independent and anti-bourgeois life as a writer. Her lifestyle is idealized as the search for identity of an intelligent woman who deviates from the norm, and her mental pain is perspectivized as the muse of her success as a writer. In fact, however, it becomes apparent that the understanding of the artist incorporated by Nina can only be considered emancipatory to a limited extent, since it uncritically adopts an originally male-coded ideal of the artist that ignores the downside of mental suffering.

Keywords:
Identität, Melancholie, Ästhetisierung, Feminismus

Identity, melancholy, aesthetization, feminism

Beginnings, a rediscovered novel by Salome Hocking
By Betty Hagglund (Birmingham, UK)
Abstract:
In 1901, the Anglo-Cornish novelist Salome Hocking published her seventh novel, Beginnings, as a weekly serial in the progressive London periodical The New Age. The novel has recently been rediscovered, photographed and transcribed and is printed here for the first time since its original publication.

Keywords:
Salome Hocking (1858–1927); Arthur Charles Fifield (1868–1945); Leo Tolstoy (1828–1910); The New Age; Christian socialism

Mondialisation et genre littéraire dans Les Lusiades de Camões
Von Helga Thalhofer (München)
Abstract:
Die Frühe Neuzeit ist von räumlicher Expansion sowie von einer Öffnung der Weltsicht geprägt. Als geschlossen jedoch kann man Luís de Camões’ Epos Os Lusíadas durch seine lineare narrative Anlage betrachten, die durch die Fahrt Vasco da Gamas nach Indien gegeben ist. Zugleich zeigen sich in den Lusíadas Wege und Prozesse geographischer, sprachlicher und ökonomischer Art, die von Europäern und Nicht-Europäern beschritten und in Gang gesetzt worden sind, und die die epische Linearität palimpsestartig überlagern: Schiffsrouten wurden wiederholt befahren, Orte wurden umbenannt und Handelswege unterschiedlicher Völker kreuzen sich. Der Aufsatz zeigt schließlich auf, wie sich diese epistemische Öffnung in der Frühen Neuzeit auch dahingehend auf der Ebene der literarischen Gattung manifestiert, dass sich poetische und nicht-poetische Schreibformen in Camões’ Epos einfügen.

O início da Idade Moderna é marcado pela expansão espacial e pela abertura da visão do mundo. Porém, podemos considerar a epopeia de Luís de Camões Os Lusíadas fechada, pois estando focada sobre a viagem de Vasco da Gama para a Índia, a sua estrutura narrativa é linear. Ao mesmo tempo, Os Lusíadas revelam caminhos e processos de natureza geográfica, linguística e económica, seguidos e postos em marcha por europeus e não europeus, que se sobrepõem à linearidade épica como palimpsestos: rotas marítimas foram repetidamente percorridas, lugares renomeados e cruzam-se rotas comerciais de diferentes povos. Finalmente, o ensaio demonstra como esta abertura epistémica no início da Idade Moderna se manifesta ao nível do género literário, também no sentido em que se inserem formas poéticas e não poéticas de escrita na epopeia de Camões.

Keywords:
Luís de Camões, Os Lusíadas, Epos, Globalisierung, literarische Gattung

Luís de Camões, Os Lusíadas, epopeia, globalização, género literário

«Entre civilización y barbarie»: Zur Potenzialität der Mapuche bei Francisco Bilbao
Von Miriam Lay Brander (Eichstätt)
Abstract:
Bei der Entstehung des chilenischen Nationalstaats spielte das Bild der Mapuche, die einerseits auf chilenischem Staatsgebiet lebten, andererseits von einem Großteil der regierenden Criollo-Elite nicht als Teil der chilenischen Nation wahrgenommen wurden, eine ambivalente Rolle. Ausgehend von Francisco Bilbaos Essay Los araucanos (1857) untersucht der Beitrag, inwieweit Bilbao im chilenischen Kontext eine Alternative zur von Sarmiento geprägten Dichotomie «civilización y barbarie» schafft. Indem Bilbao die Mapuche zwischen Zivilisation und Barbarei situiert, schreibt er ihnen eine Potenzialität zu, die mit der militärischen Besetzung von Gulumapu und der damit verbundenen Deterritorialisierung und Dehistorisierung der Mapuche jedoch in eine Negativität kippt, die bis heute nicht überwunden ist.

La imagen de los mapuche, que vivían en territorio chileno pero no eran percibidos como parte de la nación chilena por gran parte de la élite criolla gobernante, desempeñó un papel ambivalente en la creación del Estado nación chileno. Basándose en el ensayo de Francisco Bilbao Los araucanos (1857), el a rtículo examina hasta qué punto Bilbao crea una alternativa a la dicotomía «civilización y barbarie» de Sarmiento en el contexto chileno. Al situar a los mapuche entre la civilización y la barbarie, Bilbao les atribuye una potencialidad que, sin embargo, con la ocupación militar de Gulumapu y la consiguiente desterritorialización y deshistorización de los mapuche, se volcó en una negatividad aún no superada.

Keywords:
Chile, Nationalstaat, Mapuche, Literatur, Geographie

Chile, Estado nación, Mapuche, Literatura, geografía

Moderne, Desillusion und Race in einem Roman der brasilianischen Belle Époque: Lima Barretos Recordações do escrivão Isaías Caminha
Von Jobst Welge (Leipzig)
Abstract:
Der Artikel diskutiert den Roman Recordações do escrivão Isaías Caminha (1909) vor dem Hintergrund der Erfahrung sozialer Marginalisierung seines Autors Lima Barreto, der als mulato ein besonderes Gespür für soziale Benachteiligung und die Widersprüche der Modernisierung Brasiliens zur Zeit der Belle Époque hatte. In diesem Werk überträgt er das Muster des europäischen Desillusionsromans auf den Kontext Brasiliens und die Problematik von race. Insofern sich der Protagonist im Milieu des Journalismus in Rio de Janeiro bewegt, lässt sich der Roman auch als Reflexion über das literarische Feld der Moderne verstehen, in dem Lima Barreto durch eine Annäherung von Literatur und Journalismus interveniert.

O artigo discute o romance Recordações do escrivão Isaías Caminha (1909) tendo como pano de fundo a experiência de marginalização social de seu autor, Lima Barreto, que, como mulato, tinha um sentimento especial pela desvantagem social e pelas contradições da modernização no Brasil na época da Belle Époque. Nessa obra, ele transfere o padrão do romance europeu de desilusão para o contexto do Brasil e os problemas de raça. Na medida em que o protagonista se move no meio jornalístico do Rio de Janeiro, o romance também pode ser entendido como uma reflexão sobre o campo literário da modernidade, no qual Lima Barreto intervém aproximando literatura e jornalismo.

Keywords:
Lima Barreto, Roman, Desillusion, urbane Modernisierung, race

Lima Barreto, romance, desilusão, modernização urbana, race

Mythographien des Werdens – werdende Mythographie.
Utopische und dystopische Vergegenwärtigungen von Atlantis in der literarischen Moderne

Von Sara Izzo (Bonn)
Abstract:
Der vorliegende Artikel untersucht aus einer vergleichenden Perspektive die Darstellung von Atlantis in der französischen und italienischen Literatur der Moderne. Ausgehend von neueren theoretischen Ansätzen zur Mythographie wird Atlantis als Prototyp einer im Entstehen begriffenen Welt verstanden, wie sie für den Mythos typisch ist. Unter Bezugnahme auf Platon wird ein Schwerpunkt auf die literarische Rezeption von Atlantis gelegt, die von Anfang an in den utopischen Diskurs und die Reflexion eines Idealstaates eingeschrieben ist. Dabei wird der Übergang vom Paradigma des Raumes zum Paradigma der Zeit im utopischen Diskurs betrachtet, der zugleich die zunehmende Hinwendung zu einer katastrophalen Vorstellungswelt markiert. Innerhalb dieser Diskursverschiebung avanciert Atlantis zu einer metamythischen Denkfigur. Die Werke Atlantide. I Figli dell’abisso (1901) von Enrico Novelli und L’Éternel Adam (1910) von Verne dienen als Textkorpus.

The present article examines, from a comparative perspective, the representation of Atlantis in French and Italian modernist literature. Based on recent theoretical approaches to mythography, Atlantis is understood as a prototype of a world in the making, as is typical for myth. With reference to Plato, a focus is placed on the literary reception of Atlantis, which, from the very beginning, is inscribed in the utopian discourse and the reflection of an ideal state. Thereby, the point of transition from the paradigm of space to the paradigm of time in the utopian discourse is considered, which at the same time marks the increasing turn towards a catastrophic world of imagination. Within this shift of discourse, Atlantis advances to a meta-mythical figure of thought. The works Atlantide. I Figli dell’abisso (1901) by Enrico Novelli and L’Éternel Adam (1910) by Verne serve as text corpus.

Keywords:
Mythopoetik, Atlantis, Michel Verne, Yambo, Enrico Novelli

mythopoetic, Atlantis, Michel Verne, Yambo, Enrico Novelli

Inhalt

Aufsätze
Boris Blahak: Das Ostjiddische im Spiegel ,westjüdischer‘ Zeitschriften in den böhmischen Ländern. Strategien, Möglichkeiten und Grenzen der Vermittlung einer jüdischen Sprache am Beispiel der Jüdischen Volksstimme (Brünn)
Kyungmin Kim: Schöpfen & Leiden. Zur Ästhetisierung von Melancholie in Luise Rinsers Roman Mitte des Lebens (1950)
Betty Hagglund: Beginnings, a rediscovered novel by Salome Hocking
Helga Thalhofer: Mondialisation et genre littéraire dans Les Lusiades de Camões
Miriam Lay Brander: «Entre civilización y barbarie»: Zur Potenzialität der Mapuche bei Francisco Bilbao
Jobst Welge: Moderne, Desillusion und Race in einem Roman der brasilianischen Belle Époque: Lima Barretos Recordações do escrivão Isaías Caminha
Sara Izzo: Mythographien des Werdens – werdende Mythographie. Utopische und dystopische Vergegenwärtigungen von Atlantis in der literarischen Moderne

Besprechungen
Germanisch und Deutsch
Herbert Lehnert: Thomas Mann. Die Frühen Jahre. Eine Biografie (C. Wolfhard)
Antonia Leugers: Literatur – Gender – Konfession. Katholische Schriftstellerinnen. Bd. 2: Analysen und Ergebnisse
Camilo De Valle Lattanzio: Queeres Schreiben im Katholizismus. Religionskritik im Frühwerk von Fernando Vallejo und Josef Winkler
Kristina Mateescu: Engagement und esoterische Kommunikation unterm Hakenkreuz. Am Beispiel des Hochland-Kreises (Th. Pittrof)

Englisch und Amerikanisch
Virginia Woolf: Jacob’s Room. 2nd edition. Ed. and Introduced by Urmila Seshagiri (Chr. Reynier)
Ross Wilson: Critical Forms. Forms of Literary Criticism, 1750–2020 (I. Huber)
Michael Butter: From Panem to Pandemic: An Introduction to Cultural Studies (M. Schmitt)
Jennie Batchelor: ‘The Lady᾿s Magazine’ (1770–1832) and the Making of Literary History (St. Lethbridge)

Romanisch
Domenica Elisa Cicala / María Belén Hernández González: Insieme al cinema. Imparare la lingua e la cultura italiana con i film. Prefazione di Susanna Nocchi (M. Menicacci)
Saskia Germer: Neapel – Eine alte Stadt erzählt sich neu. Literarische Bilder im Zeitalter der Globalisierung (A. Oster)
Marie Guthmüller: Jenseits von Freud? Der Traum in der italienischen Moderne. Luigi Capuana, Federigo Tozzi, Italo Svevo (H. Steurer)
Teresa Hiergeist (Hg.): Parallel- und Alternativgesellschaften in den Gegenwartsliteraturen (M. Hausmann)
Lena Sowada: Schreiben im Ersten Weltkrieg. Französische Briefe und Tagebücher wenig geübter Schreiber aus der deutsch-französischen Grenzregion (L. Fesenmeier)


Anmerkungen

keine

Ersteller des Eintrags
Katharina List
Erstellungsdatum
Montag, 27. Mai 2024, 07:06 Uhr
Letzte Änderung
Dienstag, 04. Juni 2024, 11:58 Uhr