Frist: 2015-07-15

Beginn: 2015-09-27

Ende: 2015-09-30

Essen ist seit jeher viel mehr als ein bloßes Sichernähren. Die Geschichte der Menschheit zeigt, dass in allen Kulturkreisen ritualisierte Mahlzeiten einen identitätsstiftenden, kommunikativen sozialen Akt bilden. Spätestens seit der Antike sind derartige Riten in der bildenden Kunst und auch in der Literatur gespiegelt. Modellbildend wirken dabei das Abendmahl Christi und die Eucharistie als Gedächtnisfeier sowie die antike Vorstellung vom Gastmahl, aber auch archaische Opferriten und kannibalistische Rituale.

Aus der Sozialgeschichte, Volkskunde und Kulturanthropologie sind wichtige Erkenntnisse hervorgegangen, die auch auf die Literatur gewirkt haben. Bahnbrechend sind die kulturanthropologischen Untersuchungen von Claude Lévi-Strauss sowie richtungweisende Anstöße aus dem französischen Annales-Historikerkreis. Grundlegend sind ferner Anregungen aus der Philosophie wie Gaston Bachelards Mythos der Verdauung, wonach diese im Sinne einer Spiritualisierung der Materie als „intériorisation“ (Verinnerlichung) „intimité“ (Innerlichkeit) schafft, sowie Derridas Konzeption des Textes als pharmakon, d.h. als eine Gabe bzw. ein Heilmittel.

Mit seiner Auffassung des Essens als eines „système de signification“, das zugleich ein Zeichensystem von kollektiven Alltagsmythen ist, hat insbesondere Roland Barthes zur Konstitution einer alimentären Semiotik angeregt. An diesen Anstoß knüpft Gerhard Neumann mit seiner interdisziplinären Forschungstätigkeit an, mit der er Esskultur und Kulinarik aus der Sicht der Literaturwissenschaft untersucht. Im Hinblick auf eine „Kulturwissenschaft des Essens in literaturhistorischer Absicht“ (Neumann) wird — freilich unter dem Einfluss von Barthes und Lévi-Strauss — dem als Produktion von ästhetisch zu ergründenden Zeichen aufgefassten Essakt eine dezidiert semiotische Valenz beigemessen. Zu den Hauptanliegen der von Neumann angestrebten literaturwissenschaftlichen sowie literaturhistorischen Beschäftigung mit dem „Kulturthema Essen“ gehört die „literarische Befragung des Eßaktes auf seine zeichenbildende Kraft hin“ (Ibidem), die das Essen sowohl in seiner geschichtlichen Immanenz als auch in seiner sozialen Ritualität ergründet.

Neben der von Neumann angeregten neuen Erforschung der „Frage nach der durch das Essen repräsentierten Zeichenordnung“ (Ibidem) zeigt sich die Beschäftigung mit den gastropoetischen Fiktionen auch in der unterdessen nicht untätig gebliebenen romanistischen Literaturwissenschaft (vgl. z.B. Klettke, Grewe, Ott), wenngleich eine Literaturgeschichte der gastropoetischen Fiktionen noch aussteht.
Die Symbolik des alimentären Zeichens setzt eine Gleichstellung von Essen und Wort, von Mahl und Text voraus, die als Nahrung für den Körper bzw. für den Geist in literarischen Texten vielfach rekurriert. Man denke z.B. an die Metapher des „cibo della mente“ (Jossa). Besonders in der Literatur der Postmoderne bedienen sich Autoren wie z.B. Michel Tournier oder Antonio Tabucchi der kulinarischen Speise als autoreflexive Metapher für ihre Texte, wobei der Text wie das Mahl die Züge einer gleichsam pseudo-religiösen Zelebration der écriture annehmen können, die als Surrogat an die Stelle der Transzendenz getreten ist. Die Mahlmetapher als Symbol der mythécriture bezeichnet ihre lebensspendende Kraft ebenso wie die Flüchtigkeit ihres nur einen Moment währenden Genusses, der freilich kommunikative Fähigkeiten besitzt. Das Mahl wird zum Spiegel einer Gedächtnisfeier als Erinnerung an das Heilige (vgl. Klettke). Aber auch neueste literarische Texte widmen der Zubereitung von Speisen und dem gemeinsamen Mahl eine gesteigerte Aufmerksamkeit.
Ein besonders facettenreiches Verhältnis weisen gastrologische Vorgänge auch zur Komik, Groteske und Satire auf, wie es sich bei Autoren wie Boccaccio, Sacchetti, Pulci, Rabelais und Berni manifestiert. Dabei reichen die grotesken Darstellungen der alimentären Symbolik in den Bereich des Blasphemischen. Die Groteske kann z.B. als Verschlüsselung von Kritik an der Kirche dienen.

Ziel der Sommerschule ist es, im Rahmen einer ‚Werkstatt‘ gemeinsamen Arbeitens, dem Dispositiv des Mahls und der Speise in ausgewählten Beispieltexten aus der Romania nachzugehen, wobei auch theoretischen und intermedialen Perspektiven Raum gegeben werden soll. Interessierten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern wird die Möglichkeit eröffnet, im direkten, intensiven Austausch mit renommierten internationalen Forschern Anregungen und Erkenntnisse für ihre eigenen Projekte zu erwerben. Die Nachwuchswissenschaftler erhalten die Gelegenheit, ihr Projekt in einem Autoreferat vorzustellen und anschließend zu diskutieren.

Die Sommerschule beginnt mit einer abendlichen Eröffnungsveranstaltung am Sonntag, den 27. September 2015 und endet am Mittwochnachmittag. Die Teilnehmer/innen, die nicht aus der Region Berlin/Brandenburg kommen, erhalten eine Unterkunft sowie eine Fahrtkostenpauschale.

Interessenten werden gebeten, ihre Bewerbungen in Form einer ca. 400 Wörter umfassenden Beschreibung ihres Forschungsthemas und eines kurzen tabellarischen Lebenslaufes bis spätestens 15. Juli 2015 als PDF per E-Mail an lklauke@uni-potsdam.de zu senden.

Organisation/Ansprechpartner:
Universität Potsdam: Cordula Wöbbeking (woebbeki@uni-potsdam.de), Lars Klauke (lklauke@uni-potsdam.de)
Humboldt Universität zu Berlin: Claudia Hein (claudia.hein@gulda.de)

Beitrag von: Lars Klauke

Redaktion: Stefanie Popp