Stadt: Heidelberg

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Klaus Heitmann ist am Ersten Weihnachtstag verstorben. Seit 1971 hatte er dem Romanischen Seminar der Universität Heidelberg angehört. Über drei Jahrzehnte hatten er und ich Seite an Seite gewirkt, ohne dass es je einen Misston gegeben hätte. Gegenüber dem sog. Akademischen Mittelbau kehrte er ebenso wenig wie gegenüber den Studenten den erhabenen Professor hervor. Entsprechend litt er zuletzt immer mehr unter einer Schwerhörigkeit, die den spontanen Kontakt mit seiner menschlichen Umwelt belastete.

1930 in Mülheim a. d. Ruhr geboren, hatte er in Köln und Pisa studiert und war, erst 25-jährig, in Freiburg bei Hugo Friedrich promoviert worden. 1963 habilitierte er sich in Marburg, nahm 1964 eine Professur in Berlin an, kehrte aber schon ein Jahr später nach Marburg zurück.

Heitmann war einer der letzten Fachvertreter, der die Romania noch in der ganzen Vielfalt überblickte: Die französische Literatur ist in seiner Forschung und Lehre durch alle Gattungen und Epochen vertreten, von den Troubadours bis zum Berlin-Comic. Hierfür wurde er 1991 von der Académie Française mit dem „Grand Prix“ ausgezeichnet. Handbücher wie „Das französische Theater des 16. und 17. Jahrhunderts“ (1970) oder „Der französische Realismus von Stendhal bis Flaubert“ (1979) sind Standardwerke und gehören, auch im Stil vorbildlich, in die Bibliothek eines jeden Studierenden. Akribische Textlektüre und schier unerschöpfliches Wissen machten den Gelehrten skeptisch gegenüber damaligen Patentlösungen, etwa gegenüber der „Nouvelle Critique“. Gleichwohl verdanken wir dem Verstorbenen eine Einführung in die neuere französische Erzähltheorie, eine Leserumfrage zur Rezeption von Camus in Deutschland sowie tiefenpsychologische Interpretationen im Sinne von C. G. Jung zu Apollinaire, Ionesco und Beckett.

Im Italienischen ist ein Schwerpunkt die Frührenaissance. Ausgehend von seiner Dissertation über Virtus und Fortuna bei Petrarca, hat Heitmann immer wieder die spätere Anverwandlung antiker Gedanken und Mythen verfolgt. Wie es sich für einen zünftigen Romanisten gehört, arbeitete er in der Tat stets komparatistisch und überschritt dabei die Grenzen der Romania. In dem von ihm herausgegebenen Band 15 des „Neuen Handbuchs der Literaturwissenschaft“ (1982) bezieht er englische und deutsche Romantik selbstverständlich mit ein. Und so ist es nur konsequent, dass er zwei Jahrzehnte lang Mitherausgeber einer komparatistisch orientierten Revue war, des sog „Archivs für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen“.

Etwa ein Viertel der weit über 100 Aufsätze ist Rumänien gewidmet. Heitmann war in der alten Bundesrepublik daher auf diesem Gebiet eine hochverdiente Ausnahmeerscheinung. In Sprache, Politik und Selbstverständnis Moldaviens, jener 1940 abgespaltenen Sowjetrepublik, dürfte er hierzulande sogar der einzige Experte sein. Von Anfang an pflegte Heitmann, sonst eher zurückgezogen, persönliche Beziehungen zu rumänischen Intellektuellen; er half, wo er konnte, besetzte Lektorate, und dank des ihm eigenen Takts überdauerten diese Verbindungen das Auf und Ab des Kalten Kriegs.

Man würdigte sein Werk mit den Ehrendoktortiteln der Universitäten Bukarest und Galati sowie mit den Ehrenmitgliedschaften der Rumänischen Akademie der Wissenschaften, des Rumänischen Schriftstellerverbands und der „Heidelberger deutsch-rumänischen Gesellschaft“.

Schon während der sechziger Jahre hatte Heitmann, auch in der Tagespresse, an die kulturellen Verflechtungen erinnert, die Deutschland mit der damals kaum beachteten Gegend jenseits des Eisernen Vorhangs verbinden, nicht zuletzt durch die Vermittlung der Siebenbürgen. Das aus all dem erwachsene Buch über „Das Rumänienbild im deutschen Sprachraum 1775-1918“ gehört ebenso wie das monumentale Spätwerk über „Das italienische Deutschlandbild“ zugleich einer übergreifenden Forschungsrichtung an, der sog. Imagologie. Sie untersucht nationale Stereotypen sowie die Wechselbeziehungen zwischen Fremd- und Selbstbild und erhofft sich davon einen Beitrag zur Völkerverständigung. In zahllosen Studien war Heitmann den „Spiegelungen“ – so der Titel des betreffenden Sammelbands von 1996 -, den Spiegelungen zwischen Deutschland und den romanischen Ländern nachgegangen.

Als Freund ehrwürdiger Bibliotheken und versteckter Archive sowie als Ehemann von Ria, einer Graphologin, hatte er hier so manch vergessenen Reisenden zu neuem Leben erweckt und zum Sprechen gebracht. Auch wie unser Heidelberg gesehen wurde, von Victor Hugo und bereits im Humanismus von den Italienern, erfahren wir durch ihn. Ein Grund mehr, dem Verstorbenen bei all seiner Bescheidenheit für die über 40-jährige Treue zu Stadt und Universität Heidelberg zu danken.

Arnold Rothe – Universität Heidelberg

Beitrag von: Till Stellino

Redaktion: Redaktion romanistik.de