Stadt: Bonn

Frist: 2018-05-31

Beginn: 2019-07-18

Ende: 2019-07-20

URL: https://www.romanistik.uni-bonn.de/bonner-romanistik/personal/herold/LeopardiTagungBonnExpose.pdf

Leopardi–Tag 2019
Tagung der Deutschen Leopardi-Gesellschaft
an der Universität Bonn
18.-20. Juli 2019

Leopardische Lebenskünste
Anti-pessimistische Strategien im Werk Giacomo Leopardis

Leopardis Dichtung und Philosophie werden gemeinhin als ausschließlich oder zumindest überwiegend, gelegentlich sogar als in geradezu paradigmatischer Weise pessimistisch beschrieben, obgleich der Autor selbst sich wiederholt gegen eine solche gleichermaßen vereindeutigende wie reduktive Lektüre ausgesprochen hat. Immerhin bedeutet «Philosophie» begriffsgeschichtlich immer auch «Lebenskunst», und Leopardis Werke, sowohl seine Prosa (insbesondere die Operette morali) als auch seine Dichtung (Canti, Frammenti), sein philosophisches Tagebuch (Zibaldone, Pensieri) ebenso wie seine Briefe umfassen alle auch anti-pessimistische Strategien, die sich im Ganzen unter den Begriff der Lebenskunst, der «arte del vivere», fassen lassen, mithin unter einen Begriff, den Leopardi explizit selbst verwendet, wenn er über die Abschaffung der «veemenza dei desiderii» (Pensieri LXXIX) und damit über seine Variante der Ataraxie als Lebenskunst spricht.
Leopardi hat sich zu anti-pessimistischen Strategien immer wieder, auch im Zibaldone, geäußert, so etwa, wenn er von einem «pezzo di vera, contemporanea poesia» schreibt, die leiste, «che essa aggiunge un filo alla tela brevissima della nostra vita» (Zibaldone 4450). Doch nicht nur zum philosophischen Tagebuch ließen sich – etwa zum anthropologischen Begriff der assuefazione – viele weitere Überlegungen in dieser Richtung anschließen. Neu zu betrachten wären unter der hier vorgeschlagenen Perspektive ferner beispielsweise Leopardis Einlassungen zum frühen poetologischen Begriff des romanticismo und zur literarischen Zukunft Italiens und Europas, ausgehend etwa vom Discorso di un italiano intorno alla poesia romantica (1818). Natürlich sind die Verhältnisse, wie nicht zuletzt die vielzitierte, aber ihrerseits oft gleichsam pessimistisch vereindeutigte teoria del piacere signalisiert, bei Leopardi jederzeit dialektisch – jedoch nicht deshalb schon pessimistisch, wie auch der skeptische oder eher skeptizistische Blick auf die Welt und vor allem auf den Menschen in ihr keineswegs unmittelbar mit Pessimismus gleichzusetzen ist: So bietet Leopardis meistinterpretiertes Gedicht L’infinito in der Schiffbruch-Metapher einen Ausweg aus dem ‹einfachen› Scheitern bzw. aus dem einfachen Schiffbruch an; und auch die Storia del genere umano, diese ebenso kongeniale wie humorvolle Umschreibung der Genesis, die die Operette morali eröffnet, geht nicht im Meer des Pessimismus unter, sondern wirft vielmehr einen gewissermaßen lebenskünstlerischen Blick auf das menschliche Leben.
Überhaupt ist insbesondere aus den Operette morali, aber auch aus dem übrigen Werk des Dichters aus Recanati der Humor nicht wegzudenken, wie – außer den Texten selbst – gerade in den vergangenen Jahren mehrere Publikationen nicht nur zur Ironie, sondern auch zum Komischen oder zum Lachen bei Leopardi verdeutlichen. Dennoch hält sich in Teilen der Leopardi-Forschung nach wie vor recht hartnäckig die – vermeintliche – Unterscheidung zwischen den drei sogenannten pessimismi Leopardis, die zugleich herangezogen wird, um das Werk in voneinander geschiedene Phasen zu gliedern: Auf den anfänglichen pessimismo individuale folge der umfassendere pessimismo storico, der sich schließlich zum pessimismo cosmico ausweite. Allerdings widerspricht etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, bereits auf der Ebene der Entstehungsgeschichte der Canti der Ultimo canto di Saffo dieser geläufigen Einteilung, da das Gedicht einerseits vor dem Jahr 1823 geschrieben wird, das als Zäsur hin zum sogenannten pessimismo cosmico angesetzt wird, andererseits aber im historischen Gewand den Übergang von den Kanzonen zu den idilli inszeniert. Insofern wird die Tagung ebenfalls der Frage nachgehen, inwieweit diese zeitliche Einteilung in Werkabschnitte auf der Basis des pessimismo-Kriteriums auch von einzelnen Texten selbst unterlaufen wird, weil diese vielschichtiger sind, als das handliche teleologische Muster glauben machen möchte.
Nicht zuletzt ließe sich gegen die traditionelle Lesart postulieren, dass Leopardis Werk, gerade weil das Thema der Sinnlosigkeit der Existenz so zentral ist, anti-pessimistische Überlegungen bereithält. Denn mittels der Ästhetik, mittels des in den Texten zum Tragen kommenden literarischen Schreibbegehrens, produzieren Leopardis Schriften notwendigerweise Sinn, und, mehr noch, sie reflektieren eben diesen Umstand jederzeit mit: Auch dies wäre eine der zentralen anti-pessimistischen Strategien. Denn selbst dort, wo, wie in A se stesso, der «inganno estremo» zerstört ist, wo das Leben nur mehr «Amaro e noia» zu sein scheint und in einen Satz wie «e fango è il mondo» mündet, erschöpft sich der Text nicht in einem redundanten Pessimismus, bleibt das Gedicht vielmehr als weiterklingender Sprachklang und als eindrückliche Bildlichkeit stehen: bleibt es bis in die Gegenwart präsent.
Mit dem Blick auf die Leopardischen Lebenskünste, auf die anti-pessimistischen Strategien in diesem komplexen Werk lassen sich im Rahmen der Tagung zudem kritische Nachfragen zu dem weitverbreiteten Vergleich Leopardis mit Schopenhauer und Nietzsche stellen, der in der Sache – d.h. im poetologischen und philosophischen Gehalt – in manchem frag-würdig scheint. Umgekehrt vermag das Werk von Autoren wie etwa Samuel Beckett und Emil Cioran, die ihrerseits repräsentativ für eine anti-pessimistische Strömung innerhalb dessen stehen, was man den Pessimismus der modernen Literatur nennen könnte, auch Perspektiven auf Leopardi zu eröffnen: Kaum zufällig bezeichnet Beckett Leopardis Lebenskunst in seiner Proust-Schrift (1930) als «the ablation of desire» – und greift damit den oben erwähnten pensiero und die dort angesprochene «arte del vivere» auf. In diesem Sinne könnten im Rahmen der geplanten Tagung auch unterschiedliche Blicke auf die ‹produktive Rezeption› von Leopardis so vielfältigem und keineswegs schlicht ‹pessimistischen› Werk geworfen werden.

Vorschläge (mit Vortragstitel und kurzer Zusammenfassung des Geplanten) für Beiträge zu dieser Tagung, die gemeinsam von der Romanistischen Literaturwissenschaft an der Universität Bonn und der Deutschen Leopardi-Gesellschaft vom 18.-20. Juli 2019 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn veranstaltet wird, sind willkommen und können bis zum 31. Mai 2018 an die Präsidentin der Deutschen Leopardi-Gesellschaft, Prof. Dr. Barbara Kuhn (barbara.kuhn@ku.de) eingereicht werden.

Auf Ihre Vorschläge und Ihr Kommen freuen sich:

Prof. Dr. Barbara Kuhn (barbara.kuhn@ku.de)
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Romanische Literaturwissenschaft I
Universitätsallee 1,
D – 85072 Eichstätt
Tel.: +49 (0) 8421 93-21538

Dr. Milan Herold (mherold@uni-bonn.de)
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Vergleichende Romanistische Literaturwissenschaft / Mediävistik
Am Hof 1
D – 53113 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 73-7402

Beitrag von: Milan Herold

Redaktion: Marcel Schmitt