Stadt: Kassel

Frist: 2018-05-15

Beginn: 2018-06-25

Ende: 2018-06-26

Der Workshop setzt sich zum Ziel, kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Fiktionalität politischer Gewaltkonflikte und der Motivationsstrukturen politischer Gewalt ins Gespräch zu bringen. Der Fokus liegt auf anthropologischen, psychologischen und historiographischen Erörterungen sowie auf kulturwissenschaftlich-philologischen Einzelstudien aus dem romanischsprachigen Raum (Fokus: Frankreich, Spanien, Lateinamerika). Das Binom des Titels Mordende Fiktionen kann in viele Richtungen aufgelöst werden: Inwiefern sind politische Gewalttäter, die zur vermeintlichen Verwirklichung oder Beiführung revolutionärer Perspektiven bzw. Situationen (mitunter auch tödliche) Gewalt gegen (Sachen und) Personen anzuwenden überzeugt sind, von Motivationsstrukturen geprägt, die zu einem hohen Grad ein imaginäres Selbstbild aufweisen, das wiederum auf einen bewussten oder unterbewussten Akt der Fiktionalisierung des Ichs zurückgeht? Diese Fragestellung impliziert eine psychologische Beschäftigung mit den Prozessen der Subjekt- und Selbstbildkonstitution, aber auch eine Aufmerksamkeit für die Rolle fiktionaler Selbstentwürfe und literarischer Imaginationen. Fiktionale Modelle aus dem Feld der künstlerischen Produktion können grundsätzlich selbstbildstrukturierend wirken, Modelle liefern, Selbstbilder (aber auch Feindbilder) hervorbringen und diese strukturieren und festigen. Generell ist davon auszugehen, dass viele der außerfiktional verfügbaren, sozial etablierten und vielfältig reproduzierten kulturellen Narrative, die Einfluss auf die individuelle und soziale Selbst- und Fremdwahrnehmung eines Menschen nehmen können, selbst literarische Wurzeln haben, die sich finden und beschreiben lassen.

Wir möchten einladen, im Rahmen des Workshops verschiedene Fälle zu diskutieren, die auf dem Themengebiet politische Gewalt, imaginäre Selbstbilder und literarische Fiktionalität angesiedelt sind. Der Workshop setzt sich das Ziel handlungsmotivierende, legitimatorische und (selbst)fundierende Narrative in einem durchaus engeren, differenzorientierten literaturwissenschaftlichen Sinne zu fokussieren. Damit soll die großen Relevanz anderer handlungsleitender Faktoren (etwa Biographie, Ideologie, politische Situation u.a..) bei der Analyse des linksrevolutionären politischer Gewalt keineswegs kleingeredet werden. Der Fokus richtet sich nicht bloß auf die psychischen und psychologischen Mechanismen des faszinierenden Phänomens der Autofiktionalisierung eines Menschen in der außerfiktionalen Wirklichkeit, sondern auch auf die literarische Werke selbst, die zur Selbstkonstituierung Gewalt ausübender Subjekte in der Geschichte des 19./20. Jahrhunderts in der Romania gedient haben. Am Beispiel des russischen Anarchisten Alexander Berkman oder des argentinischen guerrillero Ernesto Che Guevara lässt sich der überwältigenden Einfluss, den Lektüre und fiktionale Welten auf die Herausbildung der politischen Subjektivität spielen kann, paradigmatisch veranschaulichen. Wurden diese Werke einfach nur vorsätzlich oder bösartig missverstanden? Oder lassen sich Besonderheiten in ihrer Struktur, ihrem Inhalt und ihrer Form feststellen, die sie geeignet erscheinen ließen, in einem komplexen Vorgang der Neuerfindung des Ich aus einem bis dahin friedlichen Menschen einen politischen Gewalttäter zu machen? Des Weiteren wird eine kritisch-differenzierende Auseinandersetzung mit literaturtheoretischen Entwürfen und der Fragestellung der literarischer Emotionalisierung ebenso zu diskutieren sein wie Möglichkeiten und Grenzen literarisch gelenkter Empathie oder die Flüchtigkeit der Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit.

Historiographische Arbeiten, die sich mit den (Rechtfertigungs-)Narrativen und Formen des kulturellen Unbewussten der linksrevolutionären Gewalt(täter) auseinandersetzen sind dabei ebenso von Interesse wie tiefenpsychologische Auseinandersetzungen mit dem Imaginären und den Selbstbildentwürfen der Akteure. Nicht zuletzt sind auch literarisch-fiktionale Weltentwürfe, ihre Gewalt(täter)modellierungen sowie ihre imaginativen Ausleuchtungen der Dynamik von Ungerechtigkeit, Empörung, Widerstand und Gewalt von zentralem Interesse. Empirische Beispiele aus der Romania (westeuropäische linksrevolutionäre Gewaltzusammenhänge der 1970er Jahre, guerrilla-Milieus aus Lateinamerika, politische Gewalttaten/Attentate gegen Diktatoren/Diktaturen etc.) werden zu beleuchten sein vor theoretisch-methodologischen Überlegungen zu Subjektivität, Narrativität und Fiktionalität sowie vor Problemstellungen der politischen Anthropologie (asymmetrischer guerrilla-Krieg; „rechtsetzende Gewalt“, Propaganda der Tat etc.) und generell der Ästhetisierung politischer Gewalt.

Der Workshop findet im Rahmen der Semana latina statt, die das Centro de Estudios Latinoamericanos (CELA) der Universität Kassel vom 25.-29.6.2018 organisiert. Kosten für Reise und Unterbringung können nicht übernommen werden. Workshop-Sprache: Deutsch
Bitte schicken Sie ein halbseitiges Abstract für eine 20–25-minütige Präsentation bis zum 15.05.2018 an folgende Emailadressen:
eserp@uni-kassel.de
m_baxm01@uni-muenster.de
Rückmeldungen werden bis zum 22.05.2018 verschickt.

Organisation und Leitung:
Dr. Martin Baxmeyer (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Dr. Patrick Eser (Universität Kassel/Universidad Nacional de La Plata)

Beitrag von: Patrick Eser

Redaktion: Redaktion romanistik.de