Das Romanische Seminar der Universität zu Köln trauert um Frau Prof. Dr. Katharina Niemeyer. Sie ist am 4. Juli 2018 nach langer und schwerer Krankheit verstorben. Mit ihr verlieren wir eine hochgeschätzte, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannte Kollegin, die unser Institut über beinahe zwei Jahrzehnte hinweg maßgeblich mitgestaltet hat.

Katharina Niemeyer, 1962 in Köln geboren, studierte seit 1981 in Köln, Hamburg und Sevilla Romanische Philologie und Philosophie. 1990 promovierte sie an der Universität Hamburg, wo sie anschließend als Hochschulassistentin am Iberoamerikanischen Forschungsnstitut tätig war. Nach ihrer Habilitation im Jahr 2000 vertrat sie einen Lehrstuhl für Hispanistik und Lusitanistik an der Universität Frankfurt am Main. 2002 wurde sie auf eine Professur für spanische Literaturwissenschaft an die Universität zu Köln berufen.

Ihre 1992 erschienene, in spanischer Sprache verfasste Dissertation erinnerte an die heute weithin vergessene Lyrik des sogenannten ‹premodernismo›, der führenden spanischen Dichterschule des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Entgegen der herrschenden Forschungsmeinung legte Katharina Niemeyer überzeugend dar, dass die Lyriker des ‹premodernismo› nicht als Wegbereiter des weitaus bekannteren ‹modernismo› der Jahr-hundertwende, sondern vielmehr als Vertreter konservativer ästhetischer Normen und damit als Gegenspieler der von Frankreich ausgehenden Moderne zu lesen sind. Diese These konnte sie in einer Reihe eingehender, teils kontrastiver Gedichtinterpretationen erhärten, bei denen sie häufig auch schwer zugängliche Erstdrucke und Rezeptionsdokumente miteinbezog. Damit gelang ihr ein umfassendes Panorama der spanischen Lyrik um 1900, die viel stärker als bis dahin angenommen im Zeichen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen stand.

Auch in ihrer 2004 veröffentlichten, wiederum auf Spanisch verfassten Habilitationsschrift widmete sich Katharina Niemeyer einem wenig erforschten Gebiet, dem hispanoamerikanischen Avantgarderoman der 1920er und 1930er Jahre, der lange im Schatten des regionalistischen Romans der gleichen Periode stand. An Hand eines umfangreichen Textkorpus konnte sie belegen, dass sich der zu Weltgeltung gelangte hispanoamerikanische Roman der zweiten Jahrhunderthälfte nicht nur aus europäischen und nordamerikanischen Quellen speist, sondern ebenso auf eine einheimische Tradition modernen Erzählens bezieht. An Textbeispielen aus verschiedenen Regionen des Subkontinents verfolgte sie die allmähliche Verselbständigung dieser Tradition gegenüber transatlantischen Modellen, bis hin zum hochgradig autoreferentiellen Romanwerk des Argentiniers Macedonio Fernández, dem literarischen Mentor von Jorge Luis Borges.

Ein dritter Forschungsschwerpunkt von Katharina Niemeyer lag auf dem spanischen Schelmenroman des Siglo de Oro. Nicht von ungefähr war ihre Kölner Antrittsvorlesung der Komik im Don Quijote gewidmet. An dem von ihrem akademischen Lehrer Klaus Meyer-Minnemann und ihrer langjährigen Hamburger Kollegin Sabine Schlickers herausgegebenen Handbuch La novela picaresca, das 2008 erschien und rasch zu einem Standardwerk narratologisch informierter Renaissance- und Barockforschung wurde, hatte sie mit ihren Beiträgen zu Mateo Alemán, zu Cervantes und zur weiblichen Pikareske maßgeblichen Anteil. 2014 edierte sie zusammen mit Pedro Piñero den wichtigsten barocken Schelmenroman, Mateo Alemáns Guzman de Alfarache, im Rahmen einer neuen Gesamt¬ausgabe dieses spanisch-mexikanischen Autors.

Auf all diesen Forschungsgebieten trieb Katharina Niemeyer die Internationalisierung der deutschen Hispanistik entschlossen voran. Gleiches galt für die Lehre, die ihr gerade in den «Regionalstudien Lateinamerika» stets sehr am Herzen lag. Nicht nur hielt sie die Mehrzahl ihrer Lehrveranstaltungen auf Spanisch ab, das sie wie eine zweite Muttersprache beherrschte. Am «Zentrum Lateinamerika» der Philosophischen Fakultät war sie entscheidend am Aufbau des vom DAAD geförderten Austauschprogramms mit der Universidad de Guadalajara beteiligt, das seit 2005 zahlreiche Studien- und Lehraufenthalte in der mexikanischen Kulturmetropole ermöglicht hat. Außerdem betreute sie seit 2010 als Senatsbeauftragte die Universitätspartnerschaft mit der Universidad de Sevilla und lud immer wieder Kolleg*innen aus der andalusischen Hauptstadt zu Gastdozenturen ein, während sie selbst dort regelmäßig im Masterprogramm «Estudios Americanos» lehrte. Mit ihrer oftmals gerühmten Gastfreundschaft bewirkte sie, dass Köln für viele Reisende aus der spanischsprachigen Welt der Wissenschaft und der Literatur zur festen Anlaufadresse wurde.

Die Mühen des akademischen Alltags, insbesondere die seit ihrem Dienstantritt nicht abreißenden Peripetien der Studienreformen, bewältigte Katharina Niemeyer mit dem Verantwortungsbewusstsein einer ausgebildeten Feuerwehrfrau. Auch wenn es im übertragenen Sinne irgendwo brannte, konnte man sich immer voll und ganz auf sie verlassen. Dabei verließ sie niemals ihr unerschütterlicher Humor, den sie vielleicht auch aus den von ihr geschätzten Schelmenromanen bezog. So war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihr auch höhere Aufgaben in der Philosophischen Fakultät übertrug. Nachdem sie zwei Jahre lang als Mentorin einer Forschungsklasse an der a.r.t.e.s.-Graduiertenschule amtiert hatte, wurde sie 2011 zur Dekanin gewählt. Allem Anschein nach sah sie dieses Amt nicht als bloße Pflichtübung an, sondern als produktive Herausforderung, die ihren administrativen Fähigkeiten und ihrer schier unerschöpflichen Tatkraft vollauf entsprach. Als sie es auf ärztlichen Rat hin 2013 jäh abgeben musste, ist ihr dies zweifellos nicht leicht gefallen.

Dennoch wirkte Katharina Niemeyer auch in ihren letzten Lebensjahren mit großem Einsatz am Instituts- und Fakultätsgeschehen mit. So begründete sie 2012, schon im Bewusstsein ihrer schweren Krankheit, zusammen mit Victoria Torres eine Reihe von jährlichen Workshops zur Erinnerungskultur in der argentinischen Gegenwartsliteratur, die weit über die Universität hinaus Beachtung fand und in Form der «Jornada de literatura argentina» bis heute fortgeführt wird. Und noch im Sommersemester 2017 hielt sie als leidenschaftliche Hochschullehrerin ein Block¬seminar über «Literarische Darstellungen der ETA» ab. Um so schwerer traf ihre Kolleg*innen, Mitarbeiter*innen und Schüler*innen die traurige Nachricht, dass sie nun nie mehr ins Philosophikum zurückkehren wird. Das Romanische Seminar wird ihr ein ehrendes Andenken bewahren.

Der Geschäftsführende Direktor
Prof. Dr. Wolfram Nitsch

Beitrag von: Lars Schneider

Redaktion: Lars Schneider