CfA: “Der Wert der literarischen Zirkulation”

Buchprojekt der Research Area 4 des Exzellenzclusters Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective: „Literary Currencies“

Herausgeber*innen: Michael Gamper, Jutta Müller-Tamm, David Wachter, Jasmin Wrobel

Die Research Area 4 des Exzellenzclusters Temporal Communities. Doing Literature in a Global Perspective (Freie Universität Berlin) befasst sich unter anderem mit der Entwicklung des Konzepts von „Literary Currencies“ innerhalb des größeren Forschungszusammenhangs einer transnational verfassten und globalisierten Literatur sowie ihrer (trans-)temporalen Formen von Gemeinschaft. Zwei Aspekte und ihre Verbindung sollen nun im Rahmen des Sammelbandes “Der Wert der literarischen Zirkulation” untersucht werden: Zum einen geht es um normative und normalisierende Bewertungspraktiken, zum anderen um die ästhetische, soziale und ökonomische Wertschöpfung, die Literatur dadurch erfährt, dass sie in dynamische Kreisläufe involviert ist.

Im Zentrum steht das Konzept von ‚Zirkulation‘, das in seinen räumlichen und zeitlichen Dimensionen zu profilieren ist gegenüber anderen Modellen medialer Bewegung (Austausch, Distribution, Dissemination, Übertragung u.a.). Gegenüber einem metaphorischen Gebrauch des Terminus, der sich im Nachgang u.a. zu Stephen Greenblatts New Historicism sowie zu Albrecht Koschorkes Mediologie von „Körperströmen“ und „Schriftverkehr“ entwickelt hat, soll das ‚Zirkulations‘-Konzept methodisch-theoretisch profiliert, dezidiert auf literarische Zirkulation fokussiert und materiell-phänomenal konkretisiert werden.
Am Ausgangspunkt der Arbeit stehen folgende Überlegungen. Zirkulation zeichnet sich durch Bewegungen in Raum und Zeit aus, die Literatur in gleichbleibender oder wechselnder Geschwindigkeit, aber historisch progressiv in mehr oder minder stabilen räumlichen Strukturen in Bewegung bringt. Zu unterscheiden sind dabei sich streng zyklisch vollziehende, autark ausgerichtete Zirkulationsmodelle von solchen, die in geöffneten Kreisläufen ablaufen, die progressiv strukturiert sind und sich spiralförmig in der Zeit bewegen oder Bewegung durch Verzweigungen und netzartige Strukturen organisieren und auf Überschuss- und Steigerungslogiken beruhen. Solche Zirkulationen generieren in der Regel eine Infrastruktur oder benutzen bestehende Infrastrukturen, welche die Bewegung aufrechterhalten, und sie weisen verschiedene ‚Schwellenbereiche‘ auf, in denen Akteure, Institutionen und Praktiken Gang, Richtung, Geschwindigkeit und Qualität von Zirkulationen beeinflussen.
Aus dieser Hypothese ergeben sich u.a. folgende Fragen: Welche Faktoren oder Akteure (Personen, Institutionen, Netzwerke etc.) bewirken eine solche Dynamik oder greifen in sie ein? In welchem materiellen Format (Manuskript, Buch, Zeitschrift, Mündlichkeit u.a.) und in welchen Medien zirkuliert Literatur, und in welcher Beziehung stehen die Distributionspraktiken von Literatur zu anderen gesellschaftlichen Bereichen der Zirkulation (von Objekten, Personen, Gütern, Geld etc.)? Wie stellt sich in solchen Abläufen eine Bewertung her, und welche Akteure sind dabei in positiver oder negativer Weise betroffen? In den Blick geraten damit Fragen der Gattungsbildung und Formprozessierung, der Institutionalisierung, der Kanonbildung, der Konstruktion (und Problematisierung) von Autorschaft, der Publikumsadressierung und der Evaluationsvorgänge.

Im projektierten Band, der in der Reihe „Globalisierte Literaturen“ im Metzler-Verlag erscheinen soll, wollen wir uns grundsätzlich mit der Problematik auseinandersetzen, wie das Verhältnis von Zirkulation und literarischer Bewertung zu denken sein könnte. Die Aufsätze sollen möglichst ihre spezifische Problemstellung an einem exemplarischen Beispiel oder einer bestimmten Textkonstellation entwickeln und diese auf allgemeinere methodisch-theoretische Aspekte der Problemstellung beziehen.
Im Zentrum stehen dabei u.a. folgende Fragen: Wie lässt sich ‚Zirkulation‘ als kultur- und literaturwissenschaftliches Phänomen fassen, und in welches methodologische Verhältnis lassen sich dabei Philologie und Buchwissenschaft, Medientheorie und Diskursgeschichte setzen? Welche konkreten Zirkulationspraktiken und Zirkulationskonzepte stehen einander z.B. in historischen Paradigmenwechseln (‚um 1800‘, ‚um 1900‘ u.a.) mit Kontinuitäten oder Brüchen gegenüber? Mit welchen Raum- und Zeitmodellen (Globalität, Kulturtransfer, Transnationalität u.a.) oder Kommunikations- und Gesellschaftsordnungen (Netzwerkgesellschaft etc.) gehen diese Zirkulationsmodelle einher? Welche Faktoren sind entscheidend für den Funktionalismus und die Ziele der Zirkulation (politische Regulierung, ökonomische Selbststeuerung o.a.)? Welche Text-Genres zirkulieren besonders häufig oder selten, und wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Wie wird – in Prozessen transmedialer, transnationaler und transkultureller Zirkulation – literarischer Wert, aber auch kulturelles Prestige oder ökonomisches Kapital zugemessen und evaluiert? Und lassen sich – in Ergänzung zu einer historischen Praxeologie materieller Textverbreitung sowie zu einer interdisziplinären Wissenspoetik der Denkfigur ‚Zirkulation‘ – auch literarische Poetiken der Zirkulation erkennen? In philologisch-theoretischer Perspektive ließe sich dabei fragen, in welchen Genres und mit welchen Schreibweisen Literatur selbst Prozesse der Verbreitung und des Austauschs von Texten thematisiert, in welche Beziehung sie diese zu anderen Objekten der Zirkulation (humane Akteure, Dinge, Zeichen, Geld, mediale Aktanten wie Gerüchte o.ä.) setzt, und ob sie diese Dynamiken auch poetologisch reflektiert.

Vorschläge für Beiträge zu diesem Band mit Titel und kurzer Projektbeschreibung (rund 3000 Zeichen) werden bis zum 20.07.2020 erbeten an: michael.gamper@fu-berlin.de; muellert@zedat.fu-berlin.de; david.wachter@fu-berlin.de; jwrobel@zedat.fu-berlin.de.

Beitrag von: Jasmin Wrobel

Redaktion: Unbekannte Person