Donnerstag, 20. Mai, 18-19.30 Uhr (Universität Rostock, Online)

Nicht erst seit den letzten beiden Covid-Krisenjahren 2020/2021 sind Erfahrungen und Artikulationen von Sorge, Unsicherheit, von Angst oder gar Panik omnipräsent. Seit einigen Jahren prägen Narrative der Angst öffentliche Debatten und Kunstproduktionen als Klima- oder Technikängste, Angst vor der sog. „Flüchtlingswelle“ ebenso wie die Angst vor Rassismen und neuen Populismen, kollektive Traumata und individuelle Angststörungen. In den Gegenwartsliteraturen als Schutz- und Experimentierräume hat sich folglich ein weites Spektrum an Angstnarrationen entfalten können.
In literarischen Texten mit Bezug zu Migration reicht das Feld von testimonial-politischer Anklageliteratur wie Shumona Sinhas Erschlagt die Armen! (Assommons les pauvres!, 2011), kontrafaktisch-historischen Romanen wie Laurent Binets Eroberung (Civilizations, 2019) oder die Afrika-Dystopie von Léonora Miano Rouge Impératrice (2019) über die verborgenen Spuren postkolonialer Gewaltgeschichten wie in Colson Whiteheads The Underground Railroad (2016) oder in Francesca Melandris Alle außer mir (Sangue giusto_, 2017) bis hin zu Houellebecqs umstrittener Utopie in Unterwerfung (Soumission_, 2015). In unmittelbarer Nähe zu den Erzählungen um Migrationsfragen siedeln sich jene Romane an, die sich mit der Politisierung von Angst, mit Populismen und den neuen Rechten auseinandersetzen wie bspw. Cécile Wajsbrots kluge Replik auf die Angst vor dem Erstarken der Rechten in Zerstörung (Destruction, 2019). Des Weiteren hat sich im frankokanadischen Raum das Phänomen der sog. écoanxiété – auch Solastalgie – unter Jugendlichen ausgebreitet: eine klimabedingte Angststörung, die sich auch in literarischen Texten wie in Solastalgie (2019) von Antoine Boisclair Band niederschlägt. Klimaängste spielen eine zentrale Rolle in den sog. „cli-fi“, jenen Klimafiktionen, die etwa durch Maja Lundes Bestseller Die Geschichte der Bienen (2018) oder Frank Schätzings Roman Der Schwarm (2005) ein großes Lesepublikum anziehen.
In meinem Vortrag möchte ich Sie einladen, mit mir einen tour d’horizon über die literarischen Konstruktionen von Angstkultur in den Gegenwartsliteraturen zu unternehmen, der eine Typologie an Diskursen und Verfahren entfaltet und die Funktion von Literatur als Replik, Raum für Widerspruch und Ambivalenz beleuchtet.

Der öffentliche Vortrag bildet den konzeptuellen Auftakt zur Veranstaltungsreihe des Mare Balticum-Fellowships, indem das terminologische Feld des Narrativ-Begriffs, die Ansätze der emotional studies in den Literaturwissenschaften skizziert und das Textkorpus exemplarisch (auch in deutscher Übersetzung) vorgestellt wird.

Gastgeberin: Prof. Dr. Stephanie Wodianka (Institut für Romanistik, Universität Rostock)

Anmeldung per Mail an: grada@uni-rostock.de

Beitrag von: Julia Dettke

Redaktion: Christine Montmasson