Hans Manfred Bock (1940 – 2022) ist als Politikwissenschaftler eng mit der Geschichte der Romanistik des vergangenen halben Jahrhunderts verbunden. Am 13. Mai 1940 in Kassel geboren, stirbt er am 22. August 2022 in Zierenberg (bei Kassel). 1968 promoviert er bei Wolfgang Abendroth mit einer Arbeit zum Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Ab 1969 arbeitet er an der Reform des Germanistik-Studiums am Institut d’Allemand d’Asnières, wo er 1970 zum „professeur associé“ ernannt wird, 1971 erhält einen Ruf auf eine politikwissenschaftliche Professur an der Gesamthochschule Kassel, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 wahrnimmt. Nach der Veröffentlichung der Geschichte des ‚linken Radikalismus‘ in Deutschland. Ein Versuch (Suhrkamp 1976), untersucht er seit Mitte der 1970er Jahre vor allem die politische und soziale Situation des gegenwärtigen Frankreich sowie Konzeption und Didaktik der „Civilisation“.

Seit 1975 veröffentlicht er regelmäßig in der neugegründeten Zeitschrift lendemains, und seit dieser Zeit kooperiert er auch mit dem Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, in beiden „Institutionen“ engagiert er sich umfassend seit der Mitte der 1980er Jahre. Von 1991 bis 2005 ist Manfred Bock neben Robert Picht, Marieluise Christadler und anderen Mitherausgeber des Frankreich Jahrbuchs, und es wird erfolgreich versucht, mit den jährlichen Frankreichforscher-Tagungen ein Netzwerk der Frankreichforschung zu etablieren. Programmatisch steht dafür ein Beitrag des Jahres 1991: „Von der geisteswissenschaftlichen zur sozialwissenschaftlichen Frankreichforschung“.

Seit 1988 gibt Manfred Bock mit Michael Nerlich die Zeitschrift für „Vergleichende Frankreichforschung“, lendemains, heraus. Er wird einer ihrer regelmäßigen und wohl ihr profiliertester sozialwissenschaftlicher Mitarbeiter. Den Bereich der sozialwissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Frankreich-Forschung sollte er fast ein Vierteljahrhundert (bis 2012) betreuen. Im Zentrum seiner Frankreichforschung steht die Mittler-Problematik, und damit auch die Frage der Perzeption. Symptomatisch dafür ist eine kritische Revision des Selbstbildes der Romanistik, etwa in seinem höchst kontrovers diskutierten Artikel „Zu Ernst Robert Curtius‘ Ort im politisch-intellektuellen Leben der Weimarer Republik“ (1990). Mit einem Dossier zu französischen Intellektuellen der Zwischenkriegszeit erschließt Manfred Bock ein neues Forschungsfeld, die Vergleichende Intellektuellenforschung, wie sie auch den zweibändigen Sammelband Entre Locarno et Vichy. Les relations culturelles franco-allemandes dans les années 1930 (CNRS-Éditions 1993, mit Reinhart Meyer-Kalkus und Michel Trebitsch) charakterisiert. Dem folgen Großprojekte in Kooperation mit Michel Grunewald (Metz), etwa: Le discours européen dans les revues allemandes in vier Bänden (1996 – 2001) oder, erneut mit Michel Grunewald, vier Bände zum Milieu intellectuel en Allemagne (2002 – 2008). Noch 2012 nimmt er mit dem Beitrag „Nekrologe auf Widerruf. Legenden vom Tod des Intellektuellen“ am Schwerpunkt „Macht und Ohnmacht der Experten“ des Septemberheftes des Merkur teil.

Zwei Bände der edition lendemains bilden eine Bilanz des Bockschen Konzepts der „Frankreichforschung“: Die Studien zu „Mittlern zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, so der Untertitel, Kulturelle Wegbereiter politischer Konfliktlösung (Band 2, 2005), und der voluminöse Band Versöhnung oder Subversion? Deutsch-französische Verständigungs-Organisationen und -Netzwerke der Zwischenkriegszeit (Bd. 30, 2014).

Manfred Bock repräsentiert schon wegen seiner akademischen Sozialisation im Marburg der 1960er Jahre einen sozial- und ideologiekritischen Aufbruch, mit dem der Versuch verbunden ist, Studium und Forschung auf die Gesellschaft hin zu öffnen, und d.h. die Fächer und ihre Struktur, in diesem Falle die Romanistik, zu verändern. Mit seinem Forschungsprofil einer historischen Intellektuellenforschung, den Untersuchungen transnationaler Gesellschafts- und Kulturbeziehungen, der Wegbereiter und Mittler zwischen Nationen und von nationalen und transnationalen Milieus und Netzwerken sowie der damit verbundenen Ideengeschichte steht Manfred Bock für eine „andere“ Romanistik, die sich auch dem kulturellen, intellektuellen und politischen „Kontext“ ihres Ziellandes widmet. Doch seine Hoffnung, Elemente der „Civilisation“, zu deren Konzeption und Institutionalisierung in der französischen Germanistik er maßgeblich beigetragen hat, für die Romanistik akzeptabel und mit ihr kompatibel zu machen, stellt sich als eine Illusion heraus, die er am Ende seines wissenschaftlichen Engagements verloren geben muss, auch weil die Romanistik, die anders als die französische Germanistik, mehrere Sprachen und Literaturen vereint, von denen in dieser Zeit gerade das Spanische immer wichtiger wird, sich einem solchen Paradigmenwechsel, zumal angestoßen durch einen „Nicht-Romanisten“, verweigert hat.

Manfred Bock ist 2005, herausgegeben von François Beilecke und Katja Marmetschke, eine 800seitige Festschrift gewidmet worden: Der Intellektuelle und der Mandarin. Für Hans Manfred Bock (Kassel UP, Intervalle 8). Neben mehr als 30 Beiträgen enthält sie auch eine Bibliographie sämtlicher bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichter Arbeiten.

Manfred Bock ist zum Grenzgänger und Mittler zwischen den Sozialwissenschaften und der Romanistik geworden. Gerade in der Distanz dieser beiden Fächer zu seinen Forschungsprojekten wird deren Bedeutung umso deutlicher. Die Kultur- und Gesellschaftsbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland, aber auch in ihrer europäischen Dimension, sind durch seine Studien nicht nur in außergewöhnlich gut dokumentierter Weise und häufig erstmals aufgearbeitet worden, kultur- und sozialgeschichtliche Forschungen, insbesondere wenn sie der Zwischenkriegszeit gewidmet sind, werden an ihnen nicht vorbeigehen können.

Eine ausführliche Würdigung der Person und des Werkes von Hans Manfred Bock wird in Heft 185 (2022) von lendemains erscheinen.

Wolfgang Asholt

Beitrag von: Lars Schneider

Redaktion: Redaktion romanistik.de