Frist: 2024-06-15

Aufruf zur Mitwirkung an einem Sammelband von Christoph Oliver Mayer / Beatrice Nickel (Hg.)

Lyon ist nach Paris die zweitbedeutendste Stadt Frankreichs und wurde vom Globalization and World Cities Research Network (GaWC) im Jahr 2020 zu einer Weltstadt der Kategorie Beta erklärt. Nicht erst seit der Eröffnung des Musée des Confluence als Wahrzeichen des Stadtviertels La Confluence am Zusammenfluss von Rhône und Saône am 21. Dezember 2014 und der muss diese Stadt real wie symbolisch als Urbild des Zusammenfließens der Kulturen gelten. Von der Antike (Römer-Gallier) über Mittelalter und Renaissance (Frank-reich-Italien, katholische Orthodoxie vs. Protestantismus) bzw. Frühe Neuzeit (Buchdruck, Seidenweberei) zeigen sich klassische kulturelle Transferphänomene bis in den heutigen Tag, die in der Stadt selbst ihre Spuren hinterlassen haben (Architektur, Museen, Gedenkstät-ten etc.) und am beeindruckendsten wohl in der Fresque des Lyonnais und der Mur de la Bib-liothèque als Wandmalereien im Stadtbild kanonisiert und somit im kollektiven Gedächtnis verewigt sind. Gerade in der Stadtforschung (vgl. Gaulin/Rau 2009) wurde bereits nach-drücklich auf die kulturelle Bedeutung hingewiesen, die Lyon als Ort der Bündelung mehre-rer Kulturtransferprozesse vorweisen kann. Dabei sind bis dato aber v.a. Händler, Architektu-ren, Reformatoren oder Ökosysteme in den Mittelpunkt gerückt worden, und es wurde auch über die symbolische und materielle Bedeutung der Flüsse Rhône und Saône nachgedacht (vgl. Rossiaud 2007). Die Romanistik hingegen hat der Stadt Lyon als lebendiges Palimpsest (vgl. Assmann 2007 und Mieg 2013) von Kultur und Literatur verschiedener Epochen bislang nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dies soll in der geplanten Publikation nachgeholt werden, indem zentral der Frage nach der Bedeutung Lyons in diachroner kultur- und litera-turwissenschaftlicher Perspektive nachgegangen werden soll. Angestrebt wird dabei ein so-wohl interdisziplinär als auch intermedial gestalteter Sammelband.
Das Konzept der ‚Confluence‘ soll als Ausgangspunkt für einen neuen Impuls genutzt wer-den, um den Kulturtransfer in seinen urbanen Spuren und der damit verbundenen Kanonisie-rung aufzuzeigen und auch das didaktische Potenzial herauszustellen. Ausgehend von kul-turwissenschaftlichen Annäherungen an die Stadt, die von einer Eigenlogik (vgl. Ber-king/Löw 2008) oder gar einem Habitus von Städten (vgl. Lindner 2008) sprechen, werden nicht nur Phänomene wie das ‚Crowding‘ interessant für eine kulturgeschichtliche Perspekti-ve. Genauso kann das Paradigma ‚Confluence‘ den spezifischen Kulturtransfer der Stadt Lyon prägen. Dass in Lyon ein produktives Zusammenfließen von Kulturen und Ideen festge-stellt werden kann, muss nicht erklärt werden, die Untersuchungen sollten sich aber vom Stadtbild aus leiten lassen und herausarbeiten, wie der Ort selbst seinen Beitrag zur Aneig-nung von alten wie neuen Kulturen, Artefakten und literarischen Werken leistet bzw. wie sich diese Kulturtransferprozesse adäquat beschreiben lassen. In den Blick genommen wer-den können und sollen dabei sowohl das reale Lyon als auch die mannigfaltigen Imaginatio-nen der Stadt.
Mögliche, aber keinesfalls erschöpfende Ansatzpunkte für Einzeluntersuchungen könnten dabei sein:
- Das gallische Erbe
- Lyon, Avignon und Petrarca
- Lyon als ‚Einfallstor‘ des italienischen Humanismus
- Lyon und die Reformation
- Der Buchdruck in Frankreich
- Das Hôtel Dieu, die Medizin und Rabelais
- Lyon als Transitionsort für Autor_innen
- Die Rue de la Belle Cordière und die ‚école lyonnaise‘
- Claude Brosset und die Académie des Sciences, Belles Lettres et Arts de Lyon
- Die Bedeutung Lyons im Zeitalter der Aufklärung
- Jean-Jacques Rousseau in Lyon („La nuit à la belle étoile“)
- Volkskultur: Guignol
- Das Phänomen François Dard
- Gastronomie zwischen Bouchons und Haute Cuisine
- Charles Baudelaires Zeit in Lyon
- Alphonse Daudets literarische Beschreibungen von Lyon
- Lyon als Stadt von Saint-Exupéry
- Die Résistance und Repression in Lyon (Centre d’Histoire de la Résistance et de la Déportation)
- Lyon als Gedenkort
- Lyoneser Autor_innen über Lyon und seine Einwohner_innen in der Literatur des 20. Jahrhunderts (z.B. Claude Farrere, Henri Béraud, Joseph Jolinon, Jean Reverzy)
- Lyon und die Erfindung des UNESCO-Weltkulturerbes
- Lyon als Stadt zeitgenössischer Musik
Kurze Beitragsabstracts in deutscher oder französischer Sprache von nicht mehr als 400 Wörtern senden Sie bitte bis zum 15.06.2024 an: christoph.mayer@hu-berlin.de und beatrice.nickel@ilw.uni-stuttgart.de. Die fertigen Beiträge in deutscher oder französischer Sprache (max. 45.000 Zeichen, inkl. Leerzeichen) werden erbeten bis zum 30.11.2024. Geplant ist eine Publikation im Umfang von ca. 300 Seiten und insgesamt 50 Abbildungen. Die Publikation ist insofern kein klassischer Sammelband, als der Argumentations- und Erzählstrang von den Herausgebenden zusammengehalten wird und die Beiträge organisch als vertiefende Expertenexkurse eingebunden werden. So soll eine Monographie aus mehreren Stimmen und Sprachen entstehen.

Beitrag von: Christoph Mayer

Redaktion: Julius Goldmann