Stadt: Leipzig

Beginn: 2014-06-13

Ende: 2014-06-14

Die Herausbildung eines neuen Filmverständnisses, die in Frankreich seit Mitte der 1950er Jahre stattfand, ist als ein Phänomen zu verstehen, das über ästhetische Merkmale, persönliche Karrierewege und die Entstehung bestimmter Institutionen hinausgeht. Es handelte sich, in den Worten des Filmhistorikers Antoine de Baecque, um eine neue Art, „sich die Filme anzuschauen, über sie zu reden und diesen Diskurs zu verbreiten“, um eine auf der Seite der Rezeption stattgefundene aktivere, leidenschaftliche Teilnahme am „filmischen Erlebnis“. In den Verhaltensweisen bei der filmischen Aneignung, in den Ritualen und Diskursen dieser Filmliebhaber (Cinéphilen) ist der Kern jener Generation zu finden, die kaum ein Jahrzehnt später hinter der Geburt des modernen Kinos stand. Die Cinéphilie bereitete und begleitete somit die Entstehung und Verbreitung eines der wichtigsten Umbrüche der Filmgeschichte.

Traditionell hat sich die Filmgeschichtsschreibung in der Deutung dieser Umbrüche auf die Entwicklungen in den westeuropäischen Ländern und den USA bezogen. Ziel des Workshops ist es, über diese herkömmlichen nationalen Annahmen hinaus zu gehen und alternative Formen der cinéphilen Erfahrung zu untersuchen. Dabei will diese Veranstaltung besonders jene Ausprägungen unter die Lupe nehmen, die sich jenseits des traditionellen cinéphilen Forschungsblicks entfalteten – etwa Prozesse internationalen Kulturtransfers, die oft auf privaten oder inoffiziellen Wegen stattfanden, oder jene ‚peripheren‘ Filmkulturen in der DDR, im Ostblock oder in den südeuropäischen Diktaturen der 1950er und 1960er Jahre, die sich unter anderen kulturpolitischen Bedingungen und im Folge unterschiedlicher Traditionen entwickeln sollten.

Methodisch knüpft dieser Workshop an jene Ansätze der Filmgeschichtsschreibung an, die seit Mitte der 1980er Jahre und unter dem Namen New Film History die Rolle des Kinos als Institution des sozialen und kulturellen Austausches thematisieren. Zeitlich liegt der Fokus auf der Periode zwischen 1945 und 1989.

PROGRAMM

Freitag, 13.06.

EINFÜHRUNG
13:30 Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz und Dr. Fernando Ramos, Universität Leipzig

PANEL I. FILMKULTURELLE TRANSFERS

14:00 – 15:20
- Juliane Scholz, Universität Leipzig
Die verlorene Aura des Drehbuchautors in den USA und in Deutschland seit den 1960er Jahren
- Jerome P. Schäfer, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Filmkritiken: Manifeste der Cinéphilie?

15:30 – 16:50
- Dr. Fernando Ramos, Universität Leipzig
Faszination auf Distanz. Kulturtransfer, modernes Kino und die problematische Stellung der Nouvelle Vague unter spanischen Cinéphilen
- Dr. Alexander Friedman, Universität Luxemburg
Fantomas in der Sowjetunion: Zur Rezeption der französischen Kriminalkomödie hinter dem „eisernen Vorhang“

PANEL II. SPEKTAKEL, KUNST UND CINÉPHILIE

17:00 – 19:00
- Dr. Simon Frisch, Bauhaus-Universität Weimar
Gegen das Kunstwerk: Film als Spektakel, ephemeres Ereignis und Pop. Cinéphile Diskurse der 1960er und 70er Jahre in England und USA
- Dr. Fred Truniger, Hochschule Luzern – Design & Kunst und Thomas Schärer, Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)
Supervisuell doch unsichtbar
- Dr. Lena Christolova, Universität Konstanz
Cinéphilie und Situationismus: Guy Debord und Olivier Assayas

19:30 Dinner/Come together

Samstag, 14.06.

PANEL III. CINÉPHILIE IM OSTBLOCK

9:30 – 11:30
- Dr. Heidi Flagner, Universität Leipzig / Bukarest
Subversive Affirmation und (post-)moderne Selbstreflexivität im rumänischen Autorenkino unter der Ceauşescu-Diktatur (1965-1989)
- Prof. Dr. Sabine Hake, University of Texas
Media Convergence, Opera Film, and the Cold War: On Walter Felsenstein’s Fidelio
- Dr. Andreas Kötzing, Hannah-Arendt-Institut Dresden
„Wir sehen uns im ‚Club’…“ Der Ost‐Berliner Künstlerclub „Die Möwe“ und die deutsch‐deutschen Filmbeziehungen

11: 30 – 13:00 Mittagspause

PANEL IV. CINÉPHILES ERBE

13:00 – 14:20
- Dr. Bettina Henzler, Universität Bremen
Die Schulung des Blicks: Cinéphilie und Vermittlung in Frankreich
- Prof. Dr. Florian Mundhenke, Universität Leipzig
Dies- und Jenseits des filmischen Textes: Paratexte als Orientierungskategorien zwischen industrieller Filmherstellung und cinéphiler Filmrezeption

14:30 – 15:50
- Dr. Ivo Ritzer, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
„Antonioni est le Cottafavi du pauvre“: Zum cinéphilen Gedächtnis in Luc Moullets LES SIÈGES DE L’ALCAZAR (1989)
- Dr. Simon Ryan, University of Otago
„Damals im Kino …”: Re-reading Handke’s Cinephilia of the 1960’s and 1970’s against Bernard Stiegler’s Philosophy of Cultural Memory and Vision of a Collapsing Libidinal Economy

16:00 – 16:30 Zusammenfassung der Ergebnisse und Abschlussdiskussion

Tagungsort: Leipzig, Zeitgeschichtliches Forum Grimmaische Straße 6, 04109 Leipzig
Öffentliche Veranstaltung. Eine Teilnehmergebühr wird nicht erhoben.

Um Voranmeldung wird aus organisatorischen Gründen gebeten an:
- Dr. Fernando Ramos Arenas [fernando.ramos@uni-leipzig.de]
- Dr. Judith Kretzschmar [jkretz@uni-leipzig.de]

Der Workshop ist Teil des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekts Cinéphilie unter der Diktatur. Europäische Filmkultur zwischen 1955 und 1975 am Beispiel Spaniens und der DDR, das zurzeit am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig durchgeführt wird. Er wird vom Zentrum für Wissenschaft & Forschung | Medien e.V. und vom Lehrstuhl Medienwissenschaft/Medienkultur am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig veranstaltet.

Beitrag von: Fernando Ramos Arenas

Redaktion: Christof Schöch