Stadt: Eichstätt-Ingolstadt

Beginn: 2016-09-25

Ende: 2016-09-27

URL: http://www.ku.de/slf/romanistik/lehrstuehle-professuren/literaturwissenschaft/romanlitwi1/aktuelles/#c111014

Einer gängigen Beobachtung zufolge verlieren in der (literarischen) Moderne nicht nur Geschichtsteleologie und Providenzdenken ihre Überzeugungskraft, sondern beginnt auch die kosmologische Geschlossenheit, die noch im Neoklassizismus, in der Romantik und im Realismus Bestand hat, brüchig zu werden. Beides gemeinsam deutet jedoch weniger darauf hin, dass das Konzept der Unendlichkeit gänzlich ausgedient hat. Vielmehr wandern die Vorstellungen vom Infiniten lediglich aus den erzählten Geschichten aus, um sodann andernorts und anders wiederzukehren. Zum einen scheinen mithin Ideen und Verfahren des Unendlichen auf die Bauart des Erzählens überzugehen; zum anderen wird der Begriff der Unendlichkeit gleichsam horizontal reinterpretiert, so dass er vertikale Semantiken des Fortschritts und der Entwicklung, der Steigerung, der Totalität und der Transzendenz a priori unterläuft.

Auf diese zweifache Weise entstehen beispielsweise moderne Romane, deren Vertextungsmuster sich rekursiv, seriell, selbstreflexiv und ohne Rücksicht auf ihren ‹Sitz im Leben› unentwegt fortzeugen. Analoges lässt sich in diversen Formen (auto-)biographischen Schreibens beobachten: Statt vom Ende her zu erzählen und so eine Kontinuität zu konstruieren, erfährt und erzählt das Ich sich als fragmentarisch und lückenhaft, als vielfältig und widersprüchlich, als sich weder konstant noch sukzessive auf ein telos zubewegend. Entsprechend wirken die Texte oft, als könnten sie an jeder beliebigen Stelle eine Fortsetzung finden und so zu einer Art paradoxem ‹Unendlichkeitskonstrukt› werden, das gerade mit der Endlichkeit – des Lebens wie des Textes – operiert. Doch nicht allein in narrativen Texten der Moderne und Postmoderne findet die Auseinandersetzung mit Fragen der Endlichkeit und Unendlichkeit statt. So konfrontiert etwa das Theater in Stücken wie Becketts En attendant Godot und Fin de partie die finitude menschlichen Lebens mit potentiell unendlichen bzw. unendlich wiederhol- und variierbaren Strukturmustern, und in der Lyrik wird die Frage nach dem Unendlichen bereits im 19. Jahrhundert thematisch, wie die beiden Pioniere moderner Lyrik Leopardi und Baudelaire nicht nur in programmatischen Gedichten wie L’infinito und Le voyage demonstrieren.

Ziel des Workshops ist, anhand einer Reihe von Fallstudien die Bandbreite und möglichen Schnittstellen unterschiedlicher Formen und Funktionen, unterschiedlicher Konstrukte und Konstruktionsweisen von Unendlichkeit in der Literatur auszuloten. Nachzuvollziehen wäre derart, wie literarische Texte sich in Form und Poetik auch noch in und seit der Moderne am Phänomen der Unendlichkeit abarbeiten.

Veranstaltungsort:
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ehem. Kapuzinerkloster
Kapuzinergasse 2
85072 Eichstätt

Veranstalter:
PD Dr. Kurt Hahn (Würzburg)
Prof. Dr. Barbara Kuhn (Eichstätt)
Prof. Dr. Jobst Welge (Eichstätt)

Organisation:
Romanische Literaturwissenschaft I und II
Sekretariat
Tel: +49-8421-93 21540
E-Mail: gga052@ku.de

Programm

Sonntag, 25. September 2016

19.00 Uhr Ankunft – Begrüßung – Gemeinsames Essen –

Montag, 26. September 2016

9.00 Uhr Eröffnung der Tagung und thematische Einleitung (K. Hahn, B. Kuhn, J. Welge)
9.30 Uhr Dominik Finkelde (München): Inkonsistente Vielheiten – Zur Anti-Philosophie Alain Badious
10.15 Uhr Victor Ferretti (Kiel): Zu poietischer «Unendlichkeit» bei Barthes und Borges

11.00 Uhr – Kaffeepause –

11.30 Uhr Jobst Welge (Eichstätt): Objekte und Ordnungen: Figurationen der Unendlichkeit bei J.L. Borges
12.15 Uhr Katharina List (Konstanz): Carlo Emilio Gadda und die «apòcope dell’infinito»

13.00 Uhr – Mittagspause –

14.30 Uhr Michael Schwarze (Konstanz): «Perchè bramo Dio?» – Absenz bei Giuseppe Ungaretti

15.15 Uhr Stephanie Lang (Heidelberg): Bodenlose Geometrien und «infinituples» Schreiben bei Fernando Pessoa
16.00 Uhr – Kaffeepause –

16.30 Uhr Kurt Hahn (Würzburg): Unendliche Analytik der Endlichkeit – Zu den Todesdichtungen der mexikanischen Contemporáneos
17.15 Uhr Marco Menicacci (Konstanz): Eine «interrogazione senza fine»: Zur Poetik Mario Luzis
19.30 Uhr – Abendessen –

Dienstag, 27. September 2016

9.00 Uhr Dagmar Stöferle (München): Zwischen Providenz und Kontingenz. Unendlichkeit und das Ende der Literatur bei Manzoni
9.45 Uhr Angela Oster (München): Unkenntlichkeit von Unendlichkeit? Postmoderne Neoromantik in Italien

10.30 Uhr – Kaffeepause –

11.00 Uhr André Otto (Berlin): Strange Loops durch den Spiegel. Die Unendlichkeit textueller Relationalität in Christine Brooke-Roses Thru
11.45 Uhr Barbara Kuhn (Eichstätt): Endlose Endlichkeiten – Pierre Michons (Auto-)Portraits als «matière un peu moins mortelle que l’autre»

12.30 Uhr – Mittagspause –

14.00 Uhr Miriam Lay Brander (Konstanz): Unendlichkeitsdimensionen im iberoamerikanischen Aphorismus bei Barthes und Borges des 20. Jahrhunderts
14.45 Uhr Anna-Lisa Dieter (Konstanz / Eichstätt): Unendlichkeiten im Werk von Valeria Luiselli
15.30 Uhr Schlussbemerkungen
16.00 Uhr – Kaffee / Abreise –

Beitrag von: Chiara Savoldelli

Redaktion: Christof Schöch