Frist: 2017-01-06

Beginn: 2017-10-08

Ende: 2017-10-12

Sprachwissenschaftliche Sektion beim XXXV. Romanistentag des DRV: „Dynamik, Begegnung, Migration“, Zürich 2017

Mehrsprachigkeit und Sprachkontakt im Mittelalter: Syntax und Semantik von Verben

Sektionsleitung: Katrin Axel-Tober (Tübingen), Sarah Dessì Schmid (Tübingen), Achim Stein (Stuttgart), Carola Trips (Mannheim)

Die Sektion befasst sich mit Mehrsprachigkeit im Mittelalter im europäischen Raum und konzentriert sich auf Sprachkontaktphänomene im Bereich der Syntax und Semantik von Verben. Daneben strebt sie an, die Leitbegriffe dieser DRV-Tagung durch die Kooperation von Romanistik, Anglistik und Germanistik auch institutionell umzusetzen. Sowohl in der Germania als auch in der Romania war das Mittelalter (hier zwischen dem 9. und dem 15. Jh.) gekennzeichnet durch eine komplexe sprachliche Situation, die sich deutlich in der der schriftlichen Produktion sowie – wie wir annehmen dürfen – wohl auch in der mündlichen Kommunikation zeigte. Das Lateinische, das die Bildungs- und Verwaltungssprache war, stand im Gegensatz zu den Volkssprachen Alt- und Mittelenglisch, Althochdeutsch und Mittelhochdeutsch sowie den verschiedenen altromanischen Volkssprachen. Für die Romania gilt dies in besonderer Weise, da diese direkt aus dem Lateinischen entstanden und gerade der Ausgangspunkt ihrer Herauskristallisierung und ihres ersten Ausbaus eine Diglossie-Situation darstellte, in der für distanzsprachliche Zwecke das Lateinische verwendet wurde, während die nähesprachliche Kommunikation (vgl. Koch/Oesterreicher 1990) im volkssprachlichen Idiom realisiert wurde. Hinzu kamen Kontaktsituationen, die durch politische (beispielsweise den Kontakt zwischen dem Anglo-Normannischen und dem Mittelenglischen) und kulturelle Ereignisse ausgelöst wurden.

Obwohl hinreichend bekannt ist, dass Mehrsprachigkeit im europäischen Mittelalter bestand, haben sich aus systemlinguistischer Sicht bislang sehr wenige Arbeiten damit beschäftigt, sowohl in den Einzelphilologien (Anglistik, Germanistik und Romanistik) als auch sprachübergreifend (vgl. Schendl/Wright 2011, Schendl 2012). Im anglistischen Kontext wird die Sprachkontaktsituation zwischen dem Anglo-Normannischen und Mittelenglischen, die von 1066 bis ins 15. Jahrhundert bestand, als die bedeutendste im Mittelalter angesehen (vgl. z. B. Rothwell 2001, Ingham 2012). Es liegt zwar eine Reihe von Arbeiten zum Lehnwortschatz vor, aber nur einige wenige zur strukturellen Entlehnung von Verben und Verbkonstruktionen. In der Germanistik wird die Rolle lateinischer Vorlagen bzw. der lateinischen Bildung der Verfasser/Schreiber auf die Grammatik/Syntax des mittelalterlichen Deutsch kontrovers diskutiert. Die ältere Einschätzung Max Wehrlis, welche der deutschen Sprachgeschichte noch jegliche autonome Entwicklung abspricht, ist einem differenzierten Blick auf Interferenzerscheinungen gewichen (z.B. Lötscher 1990 zu erweiterten Adjektiv- und Partizipialattributen, Speyer 2001 zum AcI), dennoch mangelt es nach wie vor an „Spezialuntersuchungen, die das Verhältnis Deutsch Latein an entsprechenden Texten unvoreingenommen überprüfen“ (Prell 2001: 9). Die Romanistik hat sich der Erforschung der Mehrsprachigkeit in der Romania aus einer allgemein-theoretischen varietätenlinguistischen, sprachgeschichtlichen oder philologischen Perspektive gewidmet und sich dabei meist auf Verschriftung vs. Verschriftlichung der romanischen Volkssprachen, auf Diskussionen zur Koineisierung bzw. Standardisierung und auf Varietätenkontaktphänomene konzentriert (u.v.a. Frank et al 1997, Gärtner et al. 2001, Grübl 2014, Koch 2008, Lodge 2004 und 2009, Lüdi 1985, Lusignan 2004, Selig 2008, Völker 2003 und Wright 2002). Es liegen auch Untersuchungen zu speziellen grammatikalischen und syntaktischen Phänomene vor (Sornicola 2007, 2008 und 2014), zur Semantik und (Morpho)syntax des Verbalbereichs ist jedoch noch kaum eine Untersuchung zu finden.

Die Sektion – die theoretische und historische Perspektive zusammenführt – möchte nun diese thematische Lücke füllen und aus der gewählten Perspektive – philologieübergreifend – Formen der Mehrsprachigkeit untersuchen, wie Bilingualismus, lateinisch-romanische Volkssprachen bzw. lateinisch-deutsche und lateinisch-englische Zweisprachigkeit, Code-switching in gemischten Texten etc. Mögliche, zu untersuchende Phänomene aus dem Bereich der Syntax und Semantik von Verben sind etwa Entlehnung von Argumentstruktur (syntaktische wie semantische Valenz), Partizipial- und Infinitivkonstruktionen, satzwertige Elemente, Kollokationen, verbalperiphrastische Konstruktionen, Übersetzungs- und Lehnsyntax und Verbstellung. Die Behandlung dieser Phänomene legt eine enge Verbindung auch mit Themen der Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit, Volkssprache vs. Literatursprache sowie der Textsorten und Diskurstraditionen nahe.

Wir hoffen auf Ihre Beiträge und auf rege Diskussionen zu den oben genannten Themen. Bitte senden Sie Ihr Abstract (ca. 300 Wörter) zu einem etwa 30-minütigen Vortrag sowie eine kurze biographische Notiz bis spätestens zum 06.01.2017 per Email an sarah.dessi@uni-tuebingen.de. Vortragssprachen sind: Englisch Französisch, Italienisch, Spanisch und Deutsch. Es ist eine Publikation ausgewählter Beiträge der Sektion geplant.

Beitrag von: Serena Bartali

Redaktion: Christof Schöch