Stadt: Konstanz

Frist: 2017-03-31

Beginn: 2017-06-22

Ende: 2017-06-24

Über lange Jahre hinweg hat sich Leopardi in seinem Zibaldone bekanntlich mit vielerlei Aspekten der Metapher einerseits, mit dem Wirken und der Bedeutung der Imagination andererseits befasst. Beide Fragenkomplexe gemeinsam entwerfen in jener teils aphoristischen, teils tentativ-repetitiven Denk- und Schreibweise, wie sie dem Zibaldone di pensieri zu eigen ist, nicht schon eine Theorie – die theoria, die ‹göttliche Schau› in Form eines abschließbaren und letztlich abgeschlossenen Traktats wird weder erstrebt noch erreicht –, aber doch eine komplexe, möglicherweise aus eben diesem Grund desto komplexere, weil beweglichere Gedankenmatrix, an die sich viele frühere und spätere Überlegungen zur Bildlichkeit literarischer und anderer Texte anschließen lassen. So berühren sich Leopardis Formulierungen zur «metafora ardita» und «parola pellegrina» in vielen Punkten und, gemessen an der traditionellen Rubrizierung des Autors als ‹Romantiker› oder als zwischen Klassik und Romantik stehender Dichter, in oft überraschender Weise mit jenen, die Emanuele Tesauro im Cannocchiale aristotelico anstellt. Die Nähe zum Barock jedoch scheint sowohl der romantischen als auch der anti-romantischen, klassizistischen Tendenz eines Werks zu widersprechen, das in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in lebhafter Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Entwicklungen einerseits, mit der Antike andererseits entsteht. Desto mehr stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, welche Verbindungslinien sich ziehen lassen von der «metafora ardita e pellegrina» des 17. Jahrhunderts zur kühnen Metapher und zur «parola pellegrina» des 19. Jahrhunderts. Mit anderen Worten, es stellt sich die Frage, ob, ausgehend von der Bildlichkeit des Leopardischen Werks wie auch ausgehend von Leopardis Reflexion über Bildlichkeit und Imagination in Briefen, im Zibaldone und in anderen Schriften andere Bezüge als bislang vermutet sichtbar werden, die zugleich Canti, Operette morali und weitere Werke des Dichters aus Recanati in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Ein zweiter Fokus der Konstanzer Leopardi-Tagung wird dementsprechend auf der Bildlichkeit der Texte Leopardis liegen. Denn wenngleich – eben aufgrund der angesprochenen Reflexionen im Zibaldone – immer wieder die Frage nach der Metapher im Werk Leopardis gestellt wurde, werfen die Texte doch im Zusammenhang mit Bild und Bildlichkeit weiterreichende Fragen auf, die sowohl an einzelne Texte als auch an ein größeres Textkorpus, und ebenso etwa an Leopardis Übersetzungen aus dem Griechischen, gerichtet werden können. Beispielsweise bleibt – um an die zu Beginn evozierte Traditionslinie anzuknüpfen – genauer, als bislang geschehen, zu analysieren, in welchem Verhältnis etwa ein Gedicht wie Sopra il ritratto di una bella donna zu anderen Portraitgedichten z.B. des Barock steht und welche Wirkung das evozierte bildliche Kunstwerk im sprachlichen ausübt. Generell standen Visualisierungsstrategien und Visualisierungseffekte bisher kaum je im Zentrum der Forschung zu Leopardis Werk und Wirkung.

Damit verknüpft sich zugleich ein drittes Erkenntnisinteresse, das bei der Konstanzer Tagung verfolgt werden soll: die Frage nach der ‹produktiven Rezeption› der Bilder Leopardis in seither entstandenen Sprachkunstwerken, nach der Funktion von Bildern und nach Dialogen zwischen Texten, die über deren sprachlich konstituierte Bildlichkeit und, allgemeiner, Visualität, zustande kommen. Bekanntestes Beispiel ist hier wohl die Vorstellung des Unendlichen und, im Blick auf Leopardi mit ihm untrennbar verbunden, die des «naufragar […] dolce». Aber auch über diese spezifische Version der ‹unendlichen Fahrt› (Manfred Frank) und des Schiffbruchs, auch über dieses berühmteste Gedicht hinaus, das – etwa in Tiziano Scarpas Stück L’infinito – im 21. Jahrhundert sogar den Weg auf die Theaterbühne gefunden hat, lassen sich Reflexe und Reflexionen Leopardischer Bildlichkeit in zahlreichen Texten des 19.-21. Jahrhunderts aufspüren: Erinnert sei nur an die diversen Leopardi-Zitate in Romanen Antonio Tabucchis oder an den Dialog zwischen Leopardis Werk und der Lyrik eines Giuseppe Ungaretti oder eines Eugenio Montale.

Auf diesen drei Pfaden – Reflexion von immagine und immaginazione in Leopardis Schriften, Bildlichkeit und Visualität in Leopardis Werk, Leopardis Bilder in der Literatur des 19.- 21. Jahrhunderts – wird sich die gemeinsam von der Deutschen Leopardi-Gesellschaft und der romanistischen Literaturwissenschaft der Universität Konstanz veranstaltete Tagung vom 22.-24. Juni 2017 in Konstanz dem Werk und Wirken Leopardis widmen. Vorschläge für Tagungsbeiträge sind willkommen und können bis 31. März 2017 eingereicht werden an die
Präsidentin der Deutschen Leopardigesellschaft, Prof. Dr. Barbara Kuhn (barbara.kuhn@ku.de).

Auf Ihre Vorschläge und Ihr Kommen freuen sich:
Prof. Dr. Barbara Kuhn,
Romanische Literaturwissenschaft I
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Prof. Dr. Michael Schwarze Universität Konstanz Romanische Literaturwissenschaft
Romanische Literaturwissenschaft
Universität Konstanz

Beitrag von: Chiara Savoldelli

Redaktion: Christof Schöch