Stadt: Paderborn

Frist: 2014-06-29

Beginn: 2014-09-17

Ende: 2014-09-18

Ästhetik des Tabuisierten in der Literatur-und Kulturgeschichte
Studentischer Workshop des Masterstudiengangs Komparatistik/Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft an der Universität Paderborn; 17. – 18. September 2014

Das Thema der Ästhetik des Tabuisierten wird seit geraumer Zeit in den Kulturwissenschaften breit diskutiert, da Tabus als Ausdruck des Verbotenen, Untersagten und Sittenwidrigen die Normen und Werte einer Gesellschaft zur Anschauung bringen. Sie fungieren als gesellschaftliche Regulative, die das zwischenmenschliche aber auch das überindividuelle Miteinander steuern. Besonders hervorhebenswert ist dabei, dass Tabus in der Regel kulturspezifisch konturiert und dementsprechend historisch wandelbar sind, während nur wenige Tabus wie das Inzest- und das Tötungstabu als anthropologische Universalien gelten. Ihre Analyse birgt folglich ein bemerkenswertes kulturdiagnostisches Potential, da sie in besonderer Weise kulturelle Entwicklungen sicht- und verstehbar machen. Prägnant sind in diesem Zusammenhang die kulturtheoretischen Schriften Sigmund Freuds, da diese dem Tabu sogar eine spezifische kulturstiftende Funktion zuweisen (Freud 2000, S. 287-444), die Gemeinschaftsbildung allererst ermöglicht.

Komplementär zum gestiegenen wissenschaftlichen Interesse an Tabubrüchen sowie an Inszenierungen des Tabubruchs lässt sich in den Medien eine deutliche Tendenz zu expliziten Tabuverletzungen beobachten: Die gegenwärtige Popkultur zum Beispiel zelebriert durch Bühnenshows und Musikvideos mit sexuell freizügigen und oft morbiden und extremen Inhalten öffentlich Tabubrüche, die zugleich den Wandel des Tabuisierten vor Augen stellen: Galten sie vor einigen Jahren noch als skandalträchtig, werden sie heute als Medienereignis oder Happening konsumiert. Angesichts der skizzierten kulturellen Entwicklung stellt sich die Frage nach dem Stellenwert und der Funktion von Tabuisierungen und ihrer Verletzungen in der Gegenwart, in der so viele unumstößlich scheinende Tabugrenzen bereits gefallen sind. (Braun 2007)

Das kulturdiagnostische Potential der Betrachtung von Tabuisierungen betrifft zudem wesentlich den Bereich der Geschlechterordnung, da Tabus in der Regel geschlechtsspezifisch kodiert sind und unterschiedliche Geltung in Bezug auf die Geschlechter haben. (Benthien; Gutjahr 2008) Darüber hinaus wird in der Forschung ihre Bedeutung für den Bereich des interkulturellen Austauschs betont: Tabus erweisen sich in diesem Kontext einerseits als Regulatoren kulturübergreifender Kommunikation, indem sie ihr Spannungs- und Konfliktpotential durch Grenzziehungen reduzieren (Benthien; Gutjahr 2008; Eggert; Golec 2002), während sie andererseits kulturelle Differenzen herausstellen.
Geplant sind entsprechend der skizzierten Themenbereiche drei thematische Sektionen, die erstens den Bereich Tabu und (Inter)Medialität, zweitens den Zusammenhang zwischen Tabu und Gender, drittens das Verhältnis von Tabu und Interkulturalität in Literatur, Medien und Kunst betreffen. Dementsprechend ergeben sich für die Vorträge im Rahmen der Tagung zahlreiche Forschungsfragen.

Beispielhafte Fragen, die durch die Beiträge des Workshops aufgegriffen werden können, sind unter anderem:
Welche Modi der Affirmation und Dekonstruktion von Tabugrenzen lassen sich in Literatur, Medien und Künsten verzeichnen?
Birgt die Fiktion durch ihr spielerisches Potential im Umgang mit der außerfiktionalen ‚Realität‘ eine besondere Affinität zu Grenzübertretungen?
Welche gesellschaftlichen Tabus werden zu welcher Zeit bevorzugt in Literatur, Kunst und Medien verhandelt und wie steht es um die Gründe für die Popularität bestimmter Tabus?
Sind geschlechtsspezifische Dimensionen der Ästhetisierung von Tabus und Tabubrüchen zu erkennen und welche Bedeutung bergen sie?
Die Frage nach der grenzüberschreitenden Funktion von Literatur und Kunst evoziert ferner eine Diskussion der Grenzen von Kunst: Was darf Kunst eigentlich? (Eggert; Golec 2002)
Lässt sich überdies ein fruchtbarer Zusammenhang zwischen Ästhetik der Grenzüberschreitung und literarischer Gattung bzw. medialem Genre erkennen?

Neben Vorträgen, die gegenwärtige Inszenierungen von Tabus und Tabuverletzung in Literatur, Medien und Künsten in den Blick nehmen, sind Beiträge erwünscht, die eine historische Perspektive einnehmen und nach der je epochenspezifischen Funktionsweise von Literatur, Kunst und Medien hinsichtlich der Ausstellung, Diskussion und Dekonstruktion von Tabugrenzen fragen. Willkommen sind selbstverständlich auch Themenvorschläge, die sich der Bedeutung des Tabus aus einer übergreifenden kulturtheoretischen Perspektive nähern.
Studierende kulturwissenschaftlicher Disziplinen an deutschsprachigen Universitäten sind herzlich eingeladen, sich mit einem kurzen Abstract für einen Vortrag im Rahmen der Veranstaltung zu bewerben. Die Dauer der Einzelvorträge wird sich auf ca. 30 Minuten belaufen (15-20 Min. Vortrag + 10 Min. Diskussion).

Eine Open-Access-Publikation aller Vorträge der Tagung ist geplant. Anfallende Reisekosten können, die Verfügbarkeit von Mitteln vorausgesetzt, in begrenztem Umfang übernommen werden. Interessenten werden gebeten, ein Abstract zum Vortragsthema im Umfang von 200-300 Wörtern bis zum 29.06.2014 an Frau Leonie Süwolto, M.A. (Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Paderborn) zu schicken. Bei weiteren Fragen melden Sie sich ebenfalls gern bei

Leonie Süwolto, M.A. (Koordinatorin des Masterstudiengangs Komparatistik/ Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft)
Universität Paderborn
Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft
Warburger Str. 100
33 098 Paderborn
05251/ 60-28 93
schultel@mail.uni-paderborn.de

Auswahlbibliographie
Benthien, Claudia und Gutjahr, Ortrud (Hg.): Tabu. Interkulturalität und Gender. München: Wilhelm Fink Verlag 2008.
Braun, Michael (Hg.): Tabu und Tabubruch in Literatur und Film. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2007.
Detering, Heinrich: Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann. Göttingen 2002.
Eggert, Hartmut; Golec, Janusz (Hg.): Tabu und Tabubruch. Literarische und sprachliche Strategien im 20. Jahrhundert. Stuttgart 2002.
Freud, Sigmund: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, in: ders.: Studienausgabe, Bd. IX: Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion. Frankfurt a. M. 2000, S. 287-444.
Frietsch, Ute; Hanitzsch, Konstanze; John, Jennifer; Michaelis, Beatrice (Hg.): Geschlecht als Tabu. Orte, Dynamiken und Funktionen der De/Thematisierung von Geschlecht. Bielefeld 2008.
Jackson, David (Hg.): Taboos in German Literature. Providence, USA und Oxfors, United Kingdom: Berghan Books, 1996.
Radeck, Heike (Hg.): Tabu. Welche Grenzen sollten wir überschreiten? In: Hofgeismarer Protokolle Nr. 342. Hofgeismar: Evangelische Akademie Hofgeismar, 2006.
Schröder, Hartmut: Tabuforschung als Aufgabe interkultureller Germanistik: ein Plädoyer, in: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache 21 (1995), S. 15-35.
Schwerfel, Heinz-Peter: Kunstskandale. Über Tabu und Skandal, Verdammung und Verehrung zeitgenössischer Kunst. Köln 2000.
Shattuck, Roger: Tabu. Eine Kulturgeschichte des verbotenen Wissens. München, Zürich 2000.
Vilar, Esther: Denkverbote. Tabus an der Jahrtausendwende. Bergisch Gladbach 1998.


Eine Meldung von Leonie Süwolto.

Beitrag von: Christof Schöch

Redaktion: Christof Schöch