Stadt: Berlin

Frist: 2017-10-31

Beginn: 2018-02-23

Ende: 2018-02-24

Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Freie Universität Berlin (23.-24. Februar 2018)

Organisation: Urs Büttner, Dorit Müller

Der von Menschen verursachte Klimawandel führt gleichermaßen Macht und Ohnmacht des Menschen vor Augen: Der Mensch ist in der Lage selbst das Erdklima zu verändern, doch diese Veränderungen vollziehen sich unbeabsichtigt und lassen sich nur schwer kontrollieren. Heute bestimmen die öffentlichen Debatten vor allem ein Gefühl der Ohnmacht und die Furcht, unumkehrbare Entwicklungen anzustoßen oder bereits angestoßen zu haben, die schwerwiegende Folgen für das Leben auf dem ganzen Planeten haben werden. Mit Bezug auf neuere Klimadaten verkündete erst kürzlich wieder ein Artikel von David Wallace-Wells (New York Magazine, 9.7.2017) die unausweichliche Selbstauslöschung des Menschen in naher Zukunft.

Das Gefühl der Ohnmacht ist jedoch verhältnismäßig neu. Bis in die 1970er Jahre dominierten Machtphantasien den Umgang mit dem Erdklima. Zuverlässigere Vorausberechnungen von Wetter- und Klimaentwicklungen nährten die Hoffnung auf Gestaltbarkeit und Verbesserung der klimatischen Verhältnisse. Die Vorstellung, dass das Klima eine veränderliche Größe darstellt, hat sich mit der Erforschung der Eiszeiten seit den 1830er Jahren durchgesetzt (Bolle 2003; Krüger 2008; Mauelshagen 2010). Mit der populären Aufnahme der Thermodynamik seit 1850 verbreiteten sich Befürchtungen, die Strahlkraft der Sonne könne abnehmen und die Erde würde allmählich erkalten (Brush 1987; Neswald 2006). Diese Diskussionen hielten bis in die 1930er Jahre an. Zwischen 1940 und Mitte der 1970er Jahre erfuhr die These des ›Global Cooling‹ eine erneute Konjunktur. Messungen hatten gezeigt, dass die Durchschnittstemperaturen seit einiger Zeit im Sinken begriffen waren. Als Ursache wurde erst in den 1970er Jahren die Luftverschmutzung identifiziert, die die Sonneneinstrahlung minderte (Kaiser 1971; Ponte 1976; Gilfond 1979). In Zeiten des Kalten Krieges bildete zudem die Vorstellung eines viele Jahre währenden ›Nuklearen Winters‹ eine reale Gefahr (Sagan, Turco 1990; Horn 2014). Erst seit den 1980er Jahren gewinnt die These einer längerfristigen Erderwärmung, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts aufgebracht wurde, langsam die Oberhand und wird seit dem Dritten IPCC Report von 2001 kaum mehr bestritten (Weart 2008; Hulme 2009; Darwall 2013).

Ein Blick in die Technikgeschichte zeigt, dass Projekte zur Gestaltung des Innenraumklimas bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Wärmetauscher, die das Kernstück von Klimaanlagen und Kühlschränken bilden, wurden in den 1870er Jahren zur Serienreife gebracht und rasch soweit verbessert, dass seit den 1930er Jahren Kühlschränke zum Standardküchenmöbel avancierten (Hellmann 1990; Täubrich, Tschoeke 1991; Rees 2016). Klimaanlagen erfuhren in warmen Klimaten in der Nachkriegszeit eine ähnliche Verbreitung und sind spätestens seit den 1990er Jahren ein Standardelement in öffentlichen und privaten Häusern, Autos, Flugzeugen und Zügen. Mit den technischen Möglichkeiten der Innenraumklimatisierung wurden seit den 1990er Jahren verschiedene Projekte unternommen. Für den Fall, dass die äußeren Klimabedingungen lebensfeindlich werden, sollen sie das menschliche Leben in einer künstlichen Atmosphäre weiter ermöglichen. Dazu gehören das gescheiterte Projekt Biosphere 2 sowie verschiedene Entwürfe sogenannter ›Klimakapseln‹ (Borries 2010; Horn 2015).

Darüber hinaus wurden im gesamten 20. Jahrhundert technologische Konzepte diskutiert, die einen gezielten Zugriff auf nicht-menschliche Raumdimensionen, nämlich den ganzen Planeten Erde, versprachen (v.a. mittels Atomkraft und Raumfahrt). Gerade wieder in jüngster Zeit erleben diese Überlegungen eine neue Konjunktur. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob sich nicht dadurch ein Ausweg eröffnet, die Erderwärmung technisch einzudämmen (vgl. u.a. die Sondierungsstudie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von Rickels u.a. 2011). Neben der zivilen Nutzung wurde seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder erwogen, ob ›Climate Engineering‹ sich nicht auch als Kriegswaffe verwenden ließe. Obwohl 1978 viele Nationen den ENMOD Vertrag der Vereinten Nationen (Convention on the Prohibition of Military or Any Other Hostile Use of Environmental Modification Techniques) unterzeichneten (ENMOD 1976), ist diese Diskussion keineswegs beendet. So gab das US Verteidigungsministerium in den 1990er Jahren eine Studie dazu in Auftrag (Col Tamzy J. House et. al. 1996). Auch ist die Funktion der HAARP Antennenanlage, die bis heute geheim gehalten wird, immer wieder Gegenstand von Verschwörungstheorien. Die Frage nach dem ›Climate Engineering‹ stellt sich nochmals neu, wenn man den Planeten Erde verlässt und sich auf einen unbewohnten Planeten begibt. Entwürfe zum sogenannten ›Terraforming‹ beschäftigen sich mit der Idee, ob sich für den Fall, dass die Erde unbewohnbar wird, nicht andere Planeten so umgestalten lassen, dass Menschen dort leben können (Fogg 1995; Sagan, Druyan 1997; Beech 2009). Alle diese Überlegungen stehen vor zwei lange bekannten Schwierigkeiten: Zum einen übertreffen die Phantasien der technischen Gestaltung des Klimas die realen technischen Möglichkeiten bei weitem und sogenannte Nebenfolgen sind schwer kalkulierbar. Zum anderen zeichnen sich schnell Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Erdteilen bzw. Raumfahrtnationen ab.

So weit dieser Menschheitstraum oder -alptraum der technischen Klimagestaltung auch von seiner mehr als experimentellen, realen Umsetzung entfernt ist, hat er doch immer wieder die Faszination von Literatur und Film auf sich gezogen. Das Phantasma lokaler künstlicher Wettererzeugung findet sich bereits in Utopien der Frühen Neuzeit; Entwürfe zur technischen Veränderung des Erdklimas verbreiten sich jedoch erst seit Ende des 19. Jahrhunderts (Spence 1980; Fleming 2012). Die Furcht vor dem ›Global Cooling‹ bringt verschiedene Konzepte zur Steigerung der Erdtemperatur und Enteisung der Gletscherregionen hervor. Mit der Durchsetzung der Auffassung, dass stattdessen mit ›Global Warming‹ zu rechnen sei, richten sich die Entwürfe auf Möglichkeiten, die Temperaturen nicht weiter steigen zu lassen oder gar zu senken (Lenton, Vaughan 2013; Hulme 2014; Hamilton 2014; Morton 2015).

Imaginativ wurden verschiedene dieser Entwürfe aufgegriffen, simuliert, zu Ende gedacht oder auch verworfen. Das Spektrum der fiktionalen Angebote in Literatur und Film reicht dabei von Darstellungen meteorologischer Experimente zur Eindämmung saisonaler Wetterschwankungen über Szenarien großangelegter globaler Klimamanipulationen als Weltrettungsversuch bis hin zu Klimakontrolle als Kriegstechnik und ›Terraforming‹. In den Klimatechnik-Fiktionen manifestieren sich nicht nur unterschiedliche Wahrnehmungsformen neuer technologischer Erfindungen und Praktiken, sie transferieren auch hochkomplexe Prozesse und Modelle in ein alltagsweltliches Wissen und verhandeln mögliche Konsequenzen, welche sich aus der Nutzung solcher Techniken für das menschliche und außermenschliche Leben ergeben können. Dieses spezifische Erkenntnispotential der Kunst gilt es genauer auszuloten. Gegenstand des Workshops sind deshalb literarische und filmische Repräsentationen des Klimas und seiner menschlichen Steuerung, Kontrolle und Gestaltung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Zentrum stehen dabei weniger die Katastrophenszenarien des Klimawandels selbst (Trexler, Johns-Putra 2011; Horn 2014; Mayer 2015) als vielmehr die Ideen, Konzepte und Praktiken, mit denen die Menschen auf veränderte klimatische Prozesse seit dem 19. Jahrhundert reagierten.

Als Gegenstand für Untersuchungen bieten sich etwa folgende Filme an: Ward Kimball: Eyes in Outer Space (1959); Daniel Mann: Our Man Flint (1966); Stanley Kubrick: 2001 – A Space Odyssee (1968); Michael Anderson: Logan’s Run (1976); Roland Emmerich: Das Arche Noah Prinzip (1984); Peter Weir: The Truman Show (1998); Jeremiah S. Chechik: The Avengers (1998); Harris Done: Storm (1999); Terry Cunningham: Storm Watch (2002); Bradford May: The Storm (2009); Robert Greene: Owning the Weather (2009); Bong Joon-ho: Snowpiercer (2013); Dean Devlin: Geostorm (2017). Im Bereich der Literatur kommen u.a. folgende Texte in Frage: Jules Vernes: Sans dessus dessous (1889); Gabriel Tarde: Fragment d’histoire future (1896); George Griffith: The Great Weather syndicate (1906); Louis P. Gatacap: The Evacuation of England. The Twist in the Gulf Stream (1908); Oskar Hoffmann: Bezwinger der Natur (1908); Hans Ludwig Rosegger: Der Golfstrom (1913); Alfred Döblin: Berge, Meere und Giganten (1924); Francis Beeding: The One Sane Man (1934); John Boland: White August (1955); Richard Cort Holden: Snow Fury (1955); Ernst Jünger: An der Zeitmauer (1959); Theodore L. Thomas: The Weather Man (1962); Kurt Vonnegut: Cat’s Cradle (1963); Peter Dickinson: The Weathermonger (1968); Paul Posnick: Weather War (1978); William B Rossow: Lear’s Daughters (1986); Michel Houellebecq: La Possibilité dʼune île (2005); Dietmar Dath: Waffenwetter (2007); Bernd Steinhardt: Impact (2010); Kim Stanley Robinson: Green Earth (2015); T.C. Boyle: The Terranauts (2016).

Fragen, die in den Vorträgen adressiert werden können:

  • Welche Modelle und Praktiken der Klimagestaltung werden repräsentiert?
  • Welche Topoi und Narrative bestimmen die künstlerische Auseinandersetzung mit Climate Engineering? In welchen Gattungen, Genres und medialen Formaten werden Klimatechniken verhandelt?
  • In welchem Verhältnis stehen sie zu den wissenschaftlichen und technischen Entwürfen der Zeit?
  • Inwiefern tragen sich die fiktionalen Bearbeitungen durch Modifikation, Ergänzung oder Subversion technologischer Konzepte und Handlungsoptionen in die öffentliche Debatte um Klimagestaltung ein?
  • Wie verändern sich die Thematisierungs- und Gestaltungsweisen in unterschiedlichen wissens-, technik- und medienhistorischen Konstellationen?

Vorschläge für einen 30-minütigen Vortrag erbitten wir in Form eines Abstracts (max. 350 Wörter und CV) bis zum 31. Oktober 2017 bei Urs Büttner (urs.buettner@fu-berlin.de) oder Dorit Müller (dorit.mueller@fu-berlin.de) einzureichen. Reise- und Hotelkosten werden übernommen. Eine Publikation der Beiträge ist vorgesehen.

Forschungsliteratur

Beech, Martin: Terraforming. The Creating of Habitable Worlds, New York 2009.
Bolle, Edmund Blair: Eiszeiten. Wie ein Professor, ein Politiker und ein Dichter das ewige Eis entdeckten, Frankfurt a.M. 2003.
Brush, Stephen G.: Die Temperatur der Geschichte, Braunschweig 1987.
Darwall, Rupert: The Age of Global Warming. A History, London 2013.
ENMOD Vertrag unter: http://www.un-documents.net/enmod.htm 1976.
Fleming, James Rodger: Fixing the Sky. The Checkered History of Weather and Climate Control, New York 2012.
Fogg, Marty J.: Terraforming. Engineering Planetary Environments, Warrendale 1995.
Gilfond, Henry: The New Ice Age. Watts, New York 1979.
Hamilton, Clive: Earthmasters. The Dawn of the Age of Climate Engineering, New Haven 2014.
Hellmann, Ullrich: Künstliche Kälte. Die Geschichte der Kühlung im Haushalt. Giessen 1990.
Horn, Eva: Air Conditioning. Die Zähmung des Klimas als Projekt der Moderne, in: Sinn und Form (2015), H. 4, S. 455–462.
Horn, Eva: Zukunft als Katastrophe, Frankfurt a. M. 2014.
House, Col Tamzy J. et. al.: Weather as a Force Multiplier. Owning the Weather in 2025 unter: http://csat.au.af.mil/2025/volume3/vol3ch15.pdf.
Hulme, Mike: Can Science fix Climate? A Case Against Climate Engineering, Cambridge, Malden 2014.
Hulme, Mike: Why We Disagree about Climate Change: Understanding Controversy, Inaction and Opportunity, Cambridge 2009.
Kaiser, Peter: Die Rückkehr der Gletscher. Die Welt vor einer Naturkatastrophe, Molden, Wien 1971.
Krüger, Tobias: Die Entdeckung der Eiszeiten. Internationale Rezeption und Konsequenzen für das Verständnis der Klimageschichte, Basel 2008.
Lenton, Tim, Vaughan, Naomi (Hg.): Geoengineering Responses to Climate Change: Selected Entries from the Encyclopedia of Sustainability Science and Technology New York 2013.
Mauelshagen, Franz: Klimageschichte der Neuzeit, Darmstadt 2010.
Mayer, Sylvia: Klimawandelroman, in: Gabriele Dürbeck, Urte Stobbe (Hg.): Ecocriticism. Eine Einführung. Köln u.a. 2015, S. 233–244.
Morton, Oliver: The Planet Remade. How Geoengineering Could Change the World, Princeton 2015.
Neswald, Elisabeth R.: Thermodynamik als kultureller Kampfplatz. Zur Faszinationsgeschichte der Entropie, 1850-1915, Freiburg i. Br. 2006.
Ponte, Lowell: The Cooling: Has the Next Ice Age Already Begun? Prentice-Hall, Englewood-Cliffs 1976.
Rees, Jonathan: Refigeration Nation. A History of Ice, Appliences, and Enterprise in America, Baltimore u.a. 2016.
Rickels, Wilfried u.a. (Hg.): Gezielte Eingriffe in das Klima? Eine Bestandsaufnahme der Debatte zu Climate Engineering. Sondierungsstudie für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (2011), unter: http://www.kiel-earth-institute.de/sondierungsstudie-climate-engineering.html?file=files/m….
Sagan, Carl, Turco, Richard: Geoengineering Responses to Climate Change. Selected Entries from the Encyclopedia of Sustainability Science and Technology, New York 1990.
Sagan, Carl, Druyan, Ann (1997): Pale Blue Dot. A Vision of the Human Future in Space. New York 1997.
Spence, Clark C.: The Rainmakers. American »Pluviculture« in World War II, Lincoln u.a. 1980.
Täubrich, Hans-Christian, Tschoeke, Jutta (Hg.): Unter Null. Kunsteis, Kälte und Kultur. München 1991.
Trexler, Adam, Johns-Putra, Adeline: Climate Change in Literatur and Literary Criticism, in: Wires. Climate Change 2 (2011), S. 185–200.
Weart, Spencer R.: Discovery of Global Warming, Cambridge u.a. 2008.

Beitrag von: Urs Büttner

Redaktion: Christof Schöch