Stadt: Osnabrück

Frist: 2018-01-15

Beginn: 2018-09-26

Ende: 2018-09-29

11. Frankoromanistentag, 26.-29.9.2018 in Osnabrück
PD Dr. Susanne Greilich/Dr. Dagmar Schmelzer (Universität Regensburg)

Die durch Migration, Multiethnie und die postkoloniale Situation geprägten Gesellschaften der Frankophonie charakterisieren sich im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert durch ein Nebeneinander heterogener sozialer und kultureller Muster, vor deren Hin-tergrund die Frage nach (national)kultureller Eigen- und Andersheit nicht nur im politischen Diskurs in regelmäßigen Abständen aufgeworfen, sondern auch in den künstlerischen Produkten ihrer Bewohner immer wieder neu thematisiert und ausgehandelt wird. Vielfach ausgehend von alltäglichen Erfahrungen mit Vorurteil und Rassismus einerseits und dem Gefühl der Ortlosigkeit andererseits, gerät die Frage nach den Funktionsmechanismen kultureller Gemeinschaft in den Blick.

Nachdem sich die französische Literatur und das Kino der 1980er und 1990er Jahre den skizzierten Problemfeldern noch aus einer vorwiegend ernsthaft-kritischen Perspektive heraus genähert hatten, lässt sich seit der Jahrtausendwende auch ein anderer Zugriff auf die Thematik beobachten: die Verhandlung kultureller Konflikte, Vorurteile und Ressentiments, des Umgangs mit Eigen- und Andersheit im Modus des Lachens und mit den Mitteln des Humors.

Spätestens seit Nakaches/Tolédanos Intouchables (2011) feiern sogenannte „interkulturelle Komödien“ an den Kinokassen regelmäßig Erfolge: Man denke an Samba (2014), Qu’est-ce qu’on a fait au bon Dieu? (2014) oder Bienvenue à Marly-Gomont (2016). Dabei rücken neben der vermeintlichen kulturellen Differenz zwischen Français de souche und den afrikanisch- bzw. asiatischstämmigen Franzosen und Immigranten auch das die französischen Regionen in kultureller Hinsicht Trennende bzw. Verbindende in den Mittelpunkt (Bienvenue chez les Ch’tis_, 2008) oder aber Vorurteile und Kulturkonflikte entlang der Grenzen zu den Nachbarländern (_Rien à déclarer, 2010). Auf der Bühne sind Komiker maghrebinischer Herkunft wie Jamel Debbouze oder Gad Elmaleh zu Stars geworden, in deren Bühnenprogrammen die hybride Identität, das Erlebnis der Anders-heit im eigenen Land, die Konfrontation mit Stereotyp und Vorurteil zu einem Thema gemacht werden, das über den Humor trans-portiert wird und dessen kritische Dimensionen über das Lachen ihre Wirkung entfalten.

Angesichts ihres Erfolgs bei einem breiteren Publikum wird Komikern wie interkulturellen Komödien regelmäßig der Vorwurf gemacht, soziale Problematiken zu verharmlosen und drängende gesellschaftliche Auseinandersetzungen unter Wohlfühlatmosphäre und Sentimentalität zu begraben, ergo: gesellschaftspolitisch letztendlich irrelevant zu sein. Diese These gilt es zu hinterfragen oder spezifischer formuliert: Es gilt zu untersuchen, welche Potentiale der Humor als eine wohlwollende Spielart der Komik – etwa im Unterschied zum Spott als seinem gleichsam ‚bösartigen‘ Zwilling – im Kontext der Verhandlung von Identität, Alterität und Differenz und der Auseinandersetzung mit Stereotyp und Vorurteil entfalten kann. Humor als bestimmte Ausprägung des Komischen, für die eine grundsätzliche Gelassenheit gegenüber den Unzulänglichkeiten des Lebens einerseits Voraussetzung ist und die diese Gelassenheit andererseits mustergültig in Form amüsiert-nachsichtiger Komik vorführt, kann geeignet sein, zur Überwindung von Konflikten und zur gesellschaftlichen Befriedung beizutragen, indem er im Sinne des romantischen Komischen ideologische Verabsolutierungen ‚erdet‘ (Jean Paul), das Ich gegen Verletzlichkeiten immunisiert (Freud) und zur ‚epistemischen Selbstdistanz‘ (Sindermann) anleitet. Da Komik auf Grundlage kultureller, sozial geteilter Erwartungshaltungen an die Wirklichkeit als Ensemble habitualisierter, typisierter Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster zustande kommt, kann sie im Dienste kollektiver Einstellungswandel stehen, kulturelle Selbstverständlichkeiten destabilisieren und Machtstrukturen unterlaufen.

Vor dem Hintergrund pragmalinguistischer, literarischer, psychologischer und philo-sophischer Komik- und Humortheorien und im Sinne einer interkulturellen Medienanalyse soll anhand konkreter Beispiele herausgearbeitet werden, worin der spezifische Beitrag von interkulturellen Komödien, Ethno-Comedy-Programmen und Culture Clash-Literatur zur Auseinandersetzung mit kultureller Diversität in den heutigen Migrationsgesellschaften besteht. Die Sektion nimmt das skizzierte Problemfeld dabei aus einer doppelten Perspektive heraus in den Blick. So fragt sie einerseits nach der humorigen Inszenierung von Culture Clash und Interkulturalität in massentauglichen Formaten wie Filmkomödie, Fernsehserie, Stand-up-Comedy, Comic und Literatur und fokussiert andererseits auf die transnationale und transkulturelle Dimension des Lachens über Vorurteil und Stereotyp hinweg. Denn tatsächlich ist der skizzierte Aufschwung interkultureller Komödien ein Medienphänomen, das sich in ähnlicher Art und Weise auch in Italien oder in Deutschland beobachten lässt.

Es können in den Beiträgen z.B. folgende Fragen thematisiert bzw. fokussiert werden:

  • Wie wird die Idee kultureller Gemeinschaft entworfen? Wird Identität jenseits der Dichotomisierung von Eigenem und Anderem formuliert?
  • Wer lacht wann über wen? Wie ist das Verhältnis von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft ausgeprägt – auf der Ebene der thematisierten critical incidents wie auf der Ebene der Kommunikation zwischen Autoren und Rezipienten?
  • Wie wird erreicht, dass statt Gradations- und Degradationsprozessen eine gemeinschaft-liche Haltung des Humors erzielt wird, dass nicht verlacht, sondern mitgelacht wird?
  • Welchen Anteil haben kulturelle Differenzen an der Herstellung von pragmatischen In-kongruenzen und diskursiven Rahmenbrüchen? Welcher Art sind die inszenierten Diffe-renzen und wie trägt deren Auswahl dazu bei, eine ‚humorige‘ Rezeptionshaltung zu för-dern?
  • Wo schlägt Humor in aggressivere Formen der Komik um, wo wird er gegebenenfalls perlokutionär ambivalent und von Rezipienten „nicht-humorig“ aufgefasst? Lässt sich aus Fallbeispielen etwas über die Grenzen der kulturellen Akzeptanz von Humor und Komik aufzeigen?
  • Wo gelingt es, vermittels des Komischen als Kipp-Phänomen (Iser) Selbst- und Fremdbilder zum Kippen zu bringen? Wo geraten vor diesem Hintergrund Gewissheiten über die eigene Subjektivität und kulturell definierte kollektive Identität ins Wanken?
  • Und wo werden schließlich sinnstiftende Erzählungen von kultureller Identität und Gemeinschaft als eben solche – nämlich als „Erzählung“– offen gelegt und damit letztlich „Kultur“ als diskursives Konstrukt und Narrativ offenbar?

Beiträge zu Film, Fernsehen und Stand-up-Comedy sind ebenso willkommen wie solche zu Comics, Karikaturen und literarischen Texten. Dabei können originär frankophone Produktionen ebenso Gegenstand der Analyse sein wie ins Französische übersetzte Adaptionen.

susanne.greilich@ur.de; dagmar.schmelzer@ur.de

Beitrag von: Susanne Greilich

Redaktion: Christof Schöch