Stadt: Bochum

Frist: 2020-04-01

Beginn: 2020-09-08

Ende: 2020-09-11

URL: https://gal2020.blogs.ruhr-uni-bochum.de/programm/uebersicht-symposien/norm-abweichung-autoritaet/

Norm, Abweichung, Autorität: Aushandlungsprozesse beim Arbeiten mit und an Sprache(n) in der sozialen Interaktion

Symposium der Sektion Gesprächsforschung
im Rahmen des GAL-Kongresses 2020
Sprache(n) bilden. Arbeit mit und an Sprache(n) in institutionellen und außerinstitutionellen Kontexten, 08.-11.09.2020 an der Ruhr-Universität Bochum
https://gal2020.blogs.ruhr-uni-bochum.de

Leitung: Oliver Ehmer (Freiburg), Florence Oloff (Oulu)

Das Erlernen, Lehren und Benutzen von Sprache(n) ist durch eine Vielzahl von Routinen, Normen und Erwartungen geprägt, die auf verschiedenen Ebenen der sozialen Interaktion liegen. Hierzu zählen beispielsweise sprachliche Normen im engeren Sinne, etwa in Bezug auf die Verwendung und Bedeutung von Begriffen, von grammatischen Strukturen oder korrekten Schreibweisen / Aussprachen (z.B. Cekaite/Björk-Willén 2013; Imo 2008; Szczepek Reed 2012). Hinzu kommen grundlegende sozio-pragmatische Normen, z.B. in Bezug auf lokal relevante Handlungen, auf die interaktive Herstellung institutioneller Kontexte oder auf die kategorienkonforme Verhaltensweise in bestimmten communities of practice (z.B. Drew/Heritage 1992; Hausendorf 2000; Llewellyn/Hindmarsh 2010).

Aus einer vollzugsorientierten Perspektive werden Normen in der sozialen Interaktion nicht nur einfach und automatisch implementiert, vielmehr werden durch jede Realisierung Normen erst aktiv (wieder)hergestellt (Garfinkel 1967; Hundt 2009). Neben einer solchen impliziten und permanent ablaufenden „Sicherung“ von Normen können diese aber auch explizit thematisiert, ausgehandelt und durchgesetzt werden bzw. (wie in didaktischen Kontexten) explizit zum Gegenstand einer Vermittlung werden. Zudem können sowohl in der institutionellen als auch in der alltäglichen Kommunikation Situationen vorliegen, in denen die lokal geltende Norm und mögliche Abweichungen von dieser überhaupt erst ausgehandelt werden müssen (De Stefani/Mondada 2018; Mondada 2018). Hierbei können einzelne oder Gruppen von Interagierenden ihre Position als Autorität lokal herstellen, sowohl in Bezug auf das Wissen (epistemische Autorität) als auch in Bezug auf das Recht der Durchsetzung (deontische Autorität) dieser Normen (Baker/Freebody 1989; Peräkylä 1998; Stevanovic/Peräkylä 2012). Es besteht also ein komplexes Wechselverhältnis zwischen Prozessen der Autoritätsherstellung und Handlungen, die eine Norm bzw. Abweichung relevant setzen (beispielsweise in Form von Korrekturen, Bewertungen oder Regelformulierungen), oder Handlungen, die eine Präferenz ausdrücken (beispielsweise in Hinblick auf die Wahl einer Sprache, einer Varietät, eines Fachbegriffs). Darüber hinaus sind Aspekte der lokalen Aushandlung und Relevantsetzung von Normen unmittelbar beziehbar auf situationsübergreifende, gesellschaftliche Dynamiken, in denen Institutionen oder Individuen als Normvertreter bzw. Autoritäten auftreten können (vgl. Ammon 2005).

Beiträge zu diesem Symposium können sich u.a. mit den folgenden Fragen auseinandersetzen:
• Welches sind Strategien der lokalen Relevantsetzung von Normen? Wie unterscheiden sich explizite (z.B. Normformulierung, Evaluationen) von eher impliziten Relevantsetzungen (z.B. Kategorienbenennungen und ad-hoc Etablierungen)? Welche Verfahren sind auf welchen sprachlichen und interaktionalen Ebenen zu finden (Deppermann/De Stefani 2019, Helmer/Zinken 2019)?
• Wie werden auf körperlich-räumlicher Ebene Normen interaktional relevant und durchgesetzt (Goodwin/Cekaite 2019; Kern 2018)? Wie werden Räume normativ-symbolisch strukturiert, oder wie werden angemessene und erwartbare Bewegungsabläufe interaktional bearbeitet?
• Welche Strategien und Ressourcen setzen die TeilnehmerInnen ein, um Abweichungen von einer spezifischen Norm zu thematisieren und zu bearbeiten (Goodwin/Kyratzis 2007)? Welche Strategien werden eingesetzt, um einander widersprechende Normen gemeinsam zu verhandeln?
• Welche Konsequenzen haben bestimmte Strategien des Umgangs mit Abweichungen, beispielsweise für den Lernfortschritt? Wie wirken sich Normverhandlungen auf die Konstitution einer Gruppe aus (Kern et al. 2015)?
• Welches Wechselverhältnis besteht zwischen der lokalen Durchsetzung von Normen und der Herstellung von Autorität? Welche Gesprächsaktivitäten dienen in welcher Weise der interaktiven Herstellung oder Ablehnung von Autorität?
• Wie können Prozesse der lokalen Aushandlung von Normen und Herstellung von Autorität mit der Ebene des Diskurses oder mit gesamtgesellschaftlichen Dynamiken miteinander in Bezug gesetzt werden?

Erwünscht ist eine empirische Ausrichtung der Beiträge. Methodisch zielt dieses Symposium insbesondere auf Beiträge aus der Konversationsanalyse, der Gesprächsforschung und der Gesprochene-Sprache-Forschung ab, wir begrüßen aber auch Vorschläge aus angrenzenden Disziplinen wie der Discursive Psychology, der Diskursanalyse, der Ethnomethodologie, der Pragmatik u. a..
Es können Vorträge nach herkömmlichem Muster angeboten werden. Die Arbeitssprache der Sektion ist vornehmlich Deutsch, englischsprachige Beiträge sind ebenfalls willkommen. Bitte reichen Sie die Beitragsvorschläge (ca. 300 Wörter ohne Literaturangaben) bis zum 01.04.2020 über das ConfTool ein: http://www.conftool.com/gal2020

Weitere Informationen zur Tagung finden Sie hier:
https://gal2020.blogs.ruhr-uni-bochum.de

Oliver Ehmer
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Romanisches Seminar
Platz der Universität 3, Raum 1275, D-79098 Freiburg
Tel. +49 (761) 203-97676
http://www.oliverehmer.de
oliver.ehmer@romanistik.uni-freiburg.de

Florence Oloff
University of Oulu, Faculty of Humanities, Research Unit of Languages and Literature
P.O. Box 1000, FI – 90014 University of Oulu
https://www.oulu.fi/university/researcher/florence-oloff
florence.oloff@oulu.fi

Literatur
• Ammon, U. 2005. Standard und Variation: Norm, Autorität, Legitimation. In: Eichinger, L. M./ Kallmeyer, W. (Hgg.): Standardvariation. Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache? Berlin, New York: de Gruyter, 28-40.
• Baker, C./ Freebody, P. 1989. Talk around text: constructions of texual and teacher authority in classroom discourse. In Castell, S. de/ Luke, A./ Luke, C. (eds.), Language, authority and criticism: Readings on the school textbook, 263-283. London: Falmer Press.
• Cekaite, A./ Björk-Willén, P. 2013. Peer group interactions in multilingual educational settings: Co- constructing social order and norms for language use. International Journal of Bilingualism, 17(2), 174–188.
• De Stefani, E./ Mondada, L. 2018. Encounters in public space. How acquainted vs. unacquainted persons establish social and spatial arrangements. Research on Language and Social Interaction 51(3). 248-270.
• Deppermann, A./ De Stefani, E. 2019. Defining in talk-in-interaction: Recipient-design through negative definitional components. Journal of Pragmatics 140. 140-155.
• Drew, P./ Heritage, J. (eds.). 1992. Talk at Work. Interaction in Institutional Settings. Cambridge: Cambridge University Press.
• Garfinkel, H. 1967. Studies in Ethnomethodology. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall.
• Goodwin, M. H./ Cekaite, A. 2019. Embodied Family Choreography. Practices of Control, Care, and Mundane Creativity. New York: Routledge.
• Goodwin, M. H./ Kyratzis, A. 2007. Children Socializing Children: Practices for Negotiating the Social Order Among Peers. Research on Language and Social Interaction, 40(4), 279-289.
• Hausendorf, H. 2000. Zuordnen, Zuschreiben und Bewerten: Die Konstruktion kollektiver Identität in Alltagsgesprächen. In Reichmann, E. (Hg.), Narrative Konstruktion nationaler Identität, 343–361. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag.
• Helmer, H./ Zinken, J. 2019. Das Heißt (“That Means”) for Formulations and Du Meinst (“You Mean”) for Repair? Interpretations of Prior Speakers’ Turns in German. Research on Language and Social Interaction, 52(2), 159-176.
• Hundt, M. 2009. Normverletzungen und neue Normen. In: Konopka, M. /Strecker, B. (Hgg.): Deutsche Grammatik – Regeln, Normen, Sprachgebrauch. Berlin, New York: de Gruyter, 117-140.
• Imo, W. 2008. Wenn mündliche Syntax zum schriftlichen Standard wird: Konsequenzen für den Normbegriff im Deutschunterricht. In Denkler, Markus and et al. (eds.), frischwärts und unkaputtbar. Sprachwandel oder Sprachverfall im Deutschen?, 153 – 180. Münster: Aschendorff.
• Kern, F. 2018. Mastering the body – Correcting bodily conduct in adult-child interaction. Research on Children and Social Interaction. 2(2): 213-234.
• Kern, F./ Lingnau, B./ Paul, I. 2015. The construction of ‘academic language’ in German classrooms: Communicative practices and linguistic norms in ‘morning circles’. Linguistics and Education 31: 07-220.
• Llewellyn, N./ Hindmarsh, J. (eds.). 2010. Organisation, Interaction and Practice: Studies of Ethnomethodology and Conversation Analysis. Cambridge: Cambridge University Press.
• Mondada, L. 2018. Greetings as a device to find out and establish the language of service encounters in multilingual settings. Journal of pragmatics. Elsevier, (126), p. 10-28.
• Peräkylä, A. 1998. Authority and Accountability. Social Psychology Quarterly 61(4). 301–320.
• Stevanovic, M./ Peräkylä, A. 2012. Deontic Authority in Interaction: The Right to Announce, Propose, and Decide. Research on Language and Social Interaction 45(3). 297–321.
• Szczepek Reed, B. 2012. A conversation analytic perspective on teaching English pronunciation: The case of speech rhythm. International Journal of Applied Linguistics, 22: 67-87.

Beitrag von: Oliver Ehmer

Redaktion: Robert Hesselbach