Stadt: Augsburg

Frist: 2021-02-28

Beginn: 2021-10-04

Ende: 2021-10-07

BEWEGUNG und RAUM zählen zu den grundlegenden sensomotorischen Erfahrungen und stellen zentrale Komponenten der menschlichen Kognition dar. Der Ausdruck von realer und fiktiver Bewegung ist Teil unseres alltäglichen sprachlichen Handelns. Bewegungsverben übernehmen dabei eine zentrale Rolle, was sich unter anderem bereits im Spracherwerb widerspiegelt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nur wenig, dass Bewegungsverben häufig an Sprachwandel- und Grammatikalisierungsprozessen beteiligt sind. In den romanischen Sprachen wurde seit Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem die Entwicklung von periphrastischen Konstruktionen zum Ausdruck von Tempus, Modus und Aspekt (z.B. frz. aller + Infinitiv/span. ir a + Infinitiv ‚etw. tun werden‘) intensiv erforscht. Jüngere Arbeiten haben differenzierte diachrone und semantische Analysen entwickelt und gezeigt, dass es neben parallelen Entwicklungen auch spezifische Unterschiede gibt (vgl. katalanisch anar + Infinitiv ‚etw. getan haben‘) (u.a. Projekt GRADIA).

Insgesamt weniger Aufmerksamkeit haben die romanischen Bewegungsverben in anderen Sprachwandelprozessen erfahren, wie etwa bei der Herausbildung von Verb-Partikel-Konstruktionen (z.B. span. echarse atrás ‚einen Rückzieher machen‘), von Kopulaverben (z.B. rumän. a ajunge ‚ankommen‘ > ‚werden‘), Passivauxiliaren (z.B. ital. venire ‚kommen‘ > ‚sein‘; rumän. a veni ‚kommen‘ > ‚sein‘) oder Diskurs- und Fokusmarkern (z.B. pen.span. venga, mex.span. ándale, Frz. in Kamerun j’arrive im Kontext der Verabschiedung) (u.a. Iacobini 2015; Devos/van der Wal 2014). Nicht zuletzt stellen Bewegungsverben in den romanischen Sprachen auch eine wichtige Komponente von phraseologischen Konstruktionen und Kollokationen dar (vgl. Serradilla Castaño 2012; Siepmann/Bürgel 2019), wie u.a. die zahlreichen phraseologischen Wendungen auf der Grundlage des Verbs andar z.B. im mexikanischen Spanisch belegen: andar bruja ‚estar sin dinero‘, ya le anda ‚ya le urge‘.

Weniger untersucht ist bis heute auch die Bedeutung von Konstruktionen mit Bewegungsverben in den vielfältigen Sprachkontaktsituationen der europäischen und außereuropäischen Romania. Eine Ausnahme stellen die TMA-Periphrasen und Verb-Partikel-Konstruktionen im kanadischen Französisch dar. Daneben finden sich einige Arbeiten zum Galizisch- und Katalanisch-Spanischen Sprachkontakt (u.a. Hernández García 1998) sowie zur kontaktinduzierten Grammatikalisierung im andinen Spanisch (u.a. Olbertz 2003). Nahezu unberücksichtigt geblieben sind die Entwicklungen in den romanischen Sprachen in Afrika, die dort mit einer Vielzahl von afrikanischen Sprachen aus verschiedenen Sprachfamilien in Kontakt stehen (vgl. Pfadenhauer 2020). Bewegungsverben spielen unter anderem eine zentrale Rolle in seriellen Verbkonstruktionen bestimmter afrikanischer Sprachen und werden im Kontext der Kreolgenese auch für romanisch basierte Kreolsprachen diskutiert.

Aufbauend auf diesen Forschungsergebnissen verfolgt die Sektion die folgenden Ziele: Um das grammatische, semantische und diskursive Potential von Bewegungsverben vollständiger zu erfassen, sollen zum einen die Erkenntnisse zu bereits bekannten Sprachwandel- und Grammatikalisierungsprozessen um Fragestellungen erweitert werden, die bisher weniger beachtete Entwicklungen in den romanischen Sprachen fokussieren. Hierbei soll eine weite Perspektive auf Sprachwandel eingenommen werden, die nicht nur Grammatikalisierungsprozesse, sondern auch diskursive, lexikalische und phraseologische Phänomene und damit den Zwischenbereich von Lexikon und Grammatik in den Blick nimmt. Zum anderen soll das besondere Augenmerk der Sektionsarbeit den bislang weniger untersuchten romanischen Sprachen und Varietäten und den Entwicklungen von Bewegungsverben in inner- und außereuropäischen Sprachkontaktsituationen gelten.

Mögliche Beiträge sollten sich schwerpunktmäßig auf folgende Fragen konzentrieren:

  • Welche bisher weniger bekannten Sprachwandel- und Grammatikalisierungspfade von Bewegungsverben finden sich in den romanischen Sprachen?
  • Zeichnen sich im aktuellen Sprachgebrauch neue Entwicklungen bzw. Funktionen bei den bereits existierenden Konstruktionen mit Bewegungsverben ab?
  • Welche Erkenntnisse liefern Studien zu bisher weniger beachteten romanischen Sprachen und Varietäten?
  • Welche Rolle spielen Bewegungsverben in Sprachkontaktsituationen in Europa und in der außereuropäischen Romania?
  • Wie lassen sich Erkenntnisse aus der Typologie und der Forschung zu amerindischen und afrikanischen Sprachen besser mit der klassisch-romanistischen Forschung verknüpfen und für die Romanistik nutzbar machen?
  • Inwiefern können sich Arbeiten aus der Grammatikalisierungsforschung, der (historischen) Semantik und Pragmatik sowie der Phraseologie komplementieren oder gegenseitig befruchten?

Abstracts für Sektionsbeiträge können bis zum 30. Januar 2021 an unsere E-Mailadressen (katrin.pfadenhauer@uni-bayreuth.de, evelyn.wiesinger@ur.de) eingereicht werden (max. 400 Wörter exklusive Bibliographie). Beitragssprachen sind alle romanischen Sprachen sowie Deutsch.

Beitrag von: Katrin Pfadenhauer

Redaktion: Robert Hesselbach