Nachruf auf Peter Ronge (1934-2020)

Ein inspirierender Lehrender des Romanischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität ist am 13. August 2020 im Alter von 86 Jahren verstorben. Er war ein international anerkannter Forscher und ein passionierter Buch- und Bildersammler. Auch das Fotografieren zählte zu seinen Leidenschaften. Maßgeblich geprägt hat ihn sein Lehrer Heinrich Lausberg, von dem er seinen Hang zur rhetorischen Analyse von Texten und von Bildern und zur Erkundung der Strategien sowie Techniken der Verknüpfung zwischen beiden erbte. Seine Dissertation über Polemik, Parodie und Satire: Elemente einer Theatertheorie und Formen des Theaters über das Theater (1967) wurde von vielen Fachleuten gelobt. Bis zu seiner Emeritierung bot er jedes Semester eine Einführung in die Literaturwissenschaft (oft in französischer Sprache) an und behandelte immer wieder kanonische Schriftsteller wie Diderot, Laclos, Flaubert, Maupassant, Mallarmé. Er setzte sich auch zum Ziel, einen Einblick in den komplexen ethnopolitischen Hintergrund franko-karibischer Autoren wie zum Beispiel Chamoiseau zu vermitteln oder widmete mehrmals Veranstaltungen Chansonniers wie Ferré, Brassens, Brel, Gainsbourg, Renaud oder Boby Lapointe, deren Gabe für Sprache und Sprachspiele er den Studierenden zu vermitteln wußte. Seine persönlichen literarischen Neigungen galten aber vor allem Queneau und der berühmten Literaturvereinigung OULIPO (OUvroir de LIttérature POtentielle), insbesondere George Perec, den er ins Deutsche übersetzte. Den lipogrammatischen Roman Les Revenentes, worin alle anderen Vokale außer „e“ verbannt sind, hat er z. B. meisterhaft unter dem Titel Dee Weedergengen 2003 wiedergegeben.

Im Laufe seines akademischen Lebens schenkte er jedoch immer mehr der Bildsatire seine Aufmerksamkeit, insbesondere der politischen Pressezeichnung. Der schonungslosen Bildsatire eines Siné oder eines Rainer Hachfeld fühlte er sich sehr nahe. Beide Zeichner waren seine Freunde. Unter seinen zahlreichen Beiträgen in dieser Domäne ragt sicherlich die Ausstellung Von de Gaulle bis Mitterrand – Politische Karikatur in Frankreich 1958 – 1987 (Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Dezember 1987 – Februar 1988) hervor. Bisher war in deutschen Museen vorwiegend die historische Bildsatire Frankreichs (vor allem Daumier) beachtet worden: Hier wurde erstmals ein Überblick über die zeitgenössische politische Karikatur des Nachbarlandes geboten. Diese Ausstellung versuchte – mit über 300 Originalzeichnungen von 20 Zeichnern unterschiedlicher Couleur – zu umreißen, was politische Bildsatire während der V. Republik ausmachte, wie sie sich entwickelte und auch durch neue Medien verbreitet wurde. Als Spiegel der Zeitgeschichte ließ die Ausstellung erkennen, wie angriffslustig und vielfältig in der Form wie auch in der Vermittlung die politische Bildsatire Frankreichs war und bis heute ist (man denke nur an die nach den Attentaten wieder aufgelegte Wochenzeitschrift Charlie Hebdo; Von WDR Aktuell wurde Peter Ronge damals interviewt und er kommentierte kenntnisreich den Kontext). Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen über die einzelnen Zeichner, von denen einige (wie Siné, Wolinski oder Reiser) internationalen Ruf genossen, sowie über ihr Werk mit erschließender Kommentierung aller Exponate. Das LWM Museum liegt eine Rufweite entfernt vom Münsterschen Bischofssitz und einiges an diesen Karikaturen mochte manchen deutschen Betrachter irritieren. Dazu gehörten die scharfen antiklerikalen und anarchistischen Tendenzen sowie ihre ausgesprochene und ausgemalte Sexualfreundlichkeit, vor denen Peter Ronge den Leser im Katalog warnte. Pornographie als Darstellungsmittel eignete sich hervorragend als politische Waffe gegen Einzelpersonen. Jedenfalls war dies ein zu brisanter Stoff für die Museumsleute, die in letzter Minute vor der Eröffnung 16 Zeichnungen entfernen ließen. Das Musée d‘Histoire Contemporaine – BDIC übernahm zwei Jahre später unzensiert die Ausstellung mit dem Titel De de Gaulle à Mitterrand – Trente ans de dessins d’actualité en France. Es wurde ein neuer Katalog hergestellt, der den Erwartungen des französischen Publikums mehr entsprach. Beide Kataloge sind aus einem zweieinhalbjährigen Fachdidaktik-Hauptseminar unter der Leitung von Peter Ronge und Alain Deligne entstanden und zeugen sowohl von der guten Zusammenarbeit zwischen Studierenden und Lehrenden – Karl-Heinrich Biermann schloss sich an – als auch von einer zwar nicht immer reibungslosen, aber dennoch wirksamen Kooperation mit Museen. Schließlich bot sich mit dieser Initiative die Möglichkeit, einen Kontakt zwischen Universität und Öffentlichkeit herzustellen: Peter Ronge war es wichtig, wissenschaftlicher Verantwortung nachkommen zu können. Zwecks Vorarbeiten zu Biographien und Werkanalysen, Interviews mit den Künstlern, Durchforsten von Archiven, Sichtung von Bildsammlungen und Beschaffung von Vorlagen für die Fotodokumentation ist die Arbeitsgruppe unzählige Male nach Paris gefahren. So sind auch Freundschaften mit den Karikaturisten entstanden.

Der Wunsch von Peter Ronge, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Bildsatire am Romanischen Seminar zu vertiefen, wurde erfüllt, als er von dem französischen Germanisten Jean-Claude Gardes und der Medienspezialistin Ursula E. Koch 1992 zwecks der Gründung einer theoretisch-historischen Zeitschrift über Bildsatire kontaktiert wurde. Peter Ronge zählt so zu den Mitbegründern von Ridiculosa. L‘Affaire Dreyfus dans la caricature internationale lautete der Titel der ersten Nummer (1994). Gleichzeitig riefen die Begründer eine équipe de recherche (eiris – équipe disciplinaire de recherche sur l’image satirique) ins Leben. Treffpunkt wurden sukzessiv: Paris-Nanterre-Université, La Maison des Sciences de l’homme und im letzten Jahrzehnt die alte Bibliothèque Nationale (rue Richelieu), mit der eine fruchtbare Kooperation entstand: Inzwischen sind 26 Nummern erschienen (die letzte Nummer aus dem Jahr 2019: Caricature et écologie) und viele Kolloquien zur Geschichte und Rolle der internationalen satirischen Presse wurden veranstaltet. Bis zu seinem Tode blieb Peter Ronge Mitherausgeber der Zeitschrift. Die Leser seiner Rezensionen wissen, dass er ein unerbittlicher Kritiker sein konnte. Er ging das Risiko ein, eher ungerecht und exzessiv als lau oder milde zu sein. Ein Mensch solchen Schlages würde auch nicht verstehen, wenn die Schwierigkeiten unerwähnt blieben, die mit seiner direkten und schonungslosen Art verbunden waren. Manche Freundschaft erlitt einen Kollateralschaden.

Jede Reise nach Paris bot Peter Ronge die Gelegenheit, seine Privatsammlung an Kunstkatalogen, Ersteditionen, Zeitschriften, Fotos bzw. Originalzeichnungen zu bereichern. Wir dürfen hoffen, dass das materielle Erbe, das er im Laufe seines Lebens konstituierte, seinen Platz als Fonds Peter Ronge in einer großen der Bildsatire gewidmeten Institution finden wird. So wäre das Überleben eines wichtigen Teils seiner lebenslangen Arbeit gesichert.

Prof. Dr. Alain Deligne
Romanisches Seminar, Münster

Beitrag von: Karen Forner

Redaktion: Robert Hesselbach