„Schön und rein? – Normierung und Ästhetik im Sprachpurismus der Frühen Neuzeit“

Call for Papers zur geplanten Tagung des TP A03 im SFB 1391 Andere Ästhetik
Tübingen, 19.01.–21.01.2022

Sprachpuristische Bestrebungen haben eine lange Tradition: Reinheit der Sprache bzw. des Ausdrucks (puritas sermonis, sermo purus) ist schon in der antiken Grammatik und Rhetorik zentrale Voraussetzung wohl geformter, ‚schöner‘ Rede. In der Frühen Neuzeit wird mit der antiken Rhetorik auch das Konzept der puritas sermonis breit rezipiert. Vergleicht man die antiken Reflexionen über Sprachpurismus (v. a. bei Quintilian) mit ihrer Wiederaufnahme vom 15. bis ins 18. Jahrhundert, so zeichnen sich Akzentverschiebungen in Begründungen, Reichweiten und Kontexten ab: In der Antike bleiben sprachpuristische Argumentationen im Wesentlichen auf Grammatik und Stiltheorie (elocutio) begrenzt. Als ‚rein‘ oder ‚unrein‘ wird hier zunächst vor allem der individuelle Sprachgebrauch (sermo / parole) bewertet und weniger die Sprache als System (lingua / langue). Dies ändert bzw. verschiebt sich in der Frühen Neuzeit: In Italien betont etwa Lionardo Salviati, der die Wörterbucharbeit der Accademia della Crusca maßgeblich vorantreiben wird, dass den „scritture, adunque che lungamente restar debbano in vita, le pure voci solamente convengono, e i puri favellari.“ (Avvertimenti, 1584). Die Académie française benennt es als ihr Hauptziel, die französische Sprache in ihrer Ganzheit „pure, éloquente et capable de traiter les arts et les sciences“ (Art. 24 der Satzung) zu machen, in Deutschland wählt Georg Philipp Harsdörffer den prägnanten Begriff der „Spracharbeit“ zur Bezeichnung seines Vorhabens (Schutzschrift für die Teutsche Spracharbeit, 1644). Als rein oder unrein, kultiviert oder barbarisch gelten nun also ganze Sprachen. Die Debatte um die ‚reine Sprache‘ findet Eingang in eine Pluralität von Normierungsmodellen, welche nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen des (Un-)Reinen und (Un-)Schönen zueinander in Konkurrenz treten. Sie bilden das theoretische Fundament einer institutionell verankerten Sprachpolitik, insofern aus ihnen Praktiken der Normierung abgeleitet werden, an deren Verwirklichung insbesondere die Sprachakademien und Sprachgesellschaften maßgeblich beteiligt sind. Damit gewinnt der Sprachpurismus mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen auch eine programmatische Bedeutung für die Konstitution der europäischen Volkssprachen. Er wird Teil einer Sprach- und Identitätspolitik, die sich in ganz Europa in unterschiedlichen Konstellationen und interkulturellen Wechselwirkungen vollzieht.

Die Forschung hat zuletzt gezeigt, dass Fragen der Sprachnormierung in der Frühen Neuzeit eng mit allgemeinen Prozessen der Pluralisierung und Praktiken der Autorisierung bzw. der „normativen Zentrierung“ (Berndt Hamm) verbunden sind. Damit tritt hier – im Sinne des praxeologischen Modells des SFBs 1391 Andere Ästhetik, der Akte und Artefakte der europäischen Vormoderne in einem dynamischen Spannungsfeld von Autologie und Heterologie untersucht – insbesondere die heterologische Sphäre stärker zutage: Einerseits verwenden (mehr oder weniger puristische) sprachtheoretische Texte Bilder und Metaphern aus sozialen Systemen – sie stellen u.a. Bezüge zu Fragen des Rechts, der Religion, Politik oder Moral her –, andererseits avanciert aber auch umgekehrt die ‚schöne‘ Sprache zu einem wichtigen Aspekt sozialen Verhaltens: Im Diskurs um den idealen Hofmann ( Il Cortegiano von Castiglione, 1528) etwa wird die Normierung der Sprache unentbehrlicher Bestandteil der Normierung höfischer Manier, denn das höfische Verhaltensideal der sprezzatura vereint die rhetorisch-poetologischen Konzepte der dissimulatio und der elegantia. Die ‚schöne‘ Sprache ist Teil der ‚schönen‘ und ‚richtigen‘ Performanz am Hof. Doch während für Claude Favre de Vaugelas in Frankreich einzig „la façon de parler de la plus saine partie de la Cour, conformément à la façon d’escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps“ (Préface in Remarques sur la langue françoise, 1647), als Vorbild des ‚schönen‘ Sprachgebrauchs dient, bildet sich in Italien eine Vielzahl unterschiedlicher Normierungsmodelle aus. Bemerkenswert ist dabei die Dynamik des Zusammenhangs des Reinen bzw. Unreinen mit dem Schönen bzw. Hässlichen, denn ‚schön‘ ist bei Castiglione gerade nicht die ‚reine‘ Sprache, sondern vielmehr das ‚unreine‘ Prisma des Eklektizismus.

Die geplante interdisziplinäre Tagung fragt nach solchen soziokulturellen Rahmenbedingungen und den Wechselwirkungen zwischen den einzelnen europäischen Sprachpurismen der Frühen Neuzeit. Im Zentrum stehen sprachpuristische Normierungsprozesse und Argumentationen in Italien, Frankreich und Deutschland. An ihnen soll untersucht werden, wie sich autologische und heterologische Bezüge in unterschiedlichen Diskurs- und Gattungstraditionen – von Sprachtraktaten über Poetiken, Grammatiken und Wörterbücher bis hin zu Briefen, Übersetzungen und satirischen Texten – verflechten. Konkrete Praktiken, Institutionen und Akteure der Sprachnormierung werden ebenso untersucht wie die Metaphorik der Sprachreinheit bzw. Sprachreinigung. So stellen sich folgende Leitfragen: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Forderung nach Reinheit und Schönheit der Rede bzw. Sprache und wie wird dieser Zusammenhang normativ begründet (z.B. im Verweis auf ältere Sprachstufen oder regionale Varietäten)? Wie gestaltet sich der Umgang mit der Pluralität alternativer und konkurrierender Modelle, Autoritäten und Normierungen? Welche Interaktionen bestehen zwischen den europäischen Sprachpurismen und welche Besonderheiten prägen sich in den einzelnen Sprachräumen aus? Welche Funktion kommt dem Sprachpurismus bei der Entwicklung europäischer Literaturen in der Frühen Neuzeit zu? Welche Phasen lassen sich unterscheiden? Welche Rolle spielen dabei einzelne Diskurstraditionen? Welche Institutionen (z.B. Sprachakademien, Sprachgesellschaften) und Akteure sind an diesen Prozessen beteiligt und wie werden diese institutionell gestaltet?
Ziel der Tagung ist es, solche Fragestellungen vergleichend und in interdisziplinärer Perspektive zu diskutieren. Erwünscht sind Beiträge aus den Literatur- und Sprachwissenschaften, der Sprachgeschichte und den Kulturwissenschaften ebenso wie Studien aus benachbarten Disziplinen, die die Verbindung der Kategorien ‚schön‘ und ‚rein‘ ergründen oder das enge, spannungsvolle Geflecht von Autologie und Heterologie, von ästhetischer Alltags- und Eigenlogik, untersuchen.

Tagungssprachen sind Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Vorschläge für Vorträge werden mit aussagekräftigem Exposé (insgesamt max. 400 Wörter, in einer der Tagungssprachen) und einem Kurz-CV in einer PDF-Datei bis zum 31.05.2021 erbeten an: sarah.dessi@uni-tuebingen.de, eva-katharina.fezer@uni-tuebingen.de und joerg.robert@uni-tuebingen.de (bitte immer an alle drei Adressen).
Die Beiträge werden in einem Tagungsband publiziert. Die Tagung wird, falls es die Entwicklung der Corona-Pandemie zulässt, als Präsenzveranstaltung mit entsprechendem Hygienekonzept durchgeführt, aber es sind auch hybride Lösungen möglich. Das Tagungsteam bemüht sich, in diesem Punkt besonders flexibel auf die Wünsche und Bedürfnisse der Tagungsteilnehmenden zu reagieren.

Beitrag von: Katharina Fezer

Redaktion: Ursula Winter