Stadt: Hamburg

Frist: 2022-06-30

Beginn: 2023-02-23

Im 17. Jahrhundert herrschte ein wahres „climat miraculeux“ (Platelle 1968). Auf die Bekräftigung des Heiligenkults durch das Konzil von Trient folgte europaweit eine Welle an hagiographische Publikationen und Wunderberichte, die Wunder festlegten und medialisierten. Es ist eine zentrale Eigenschaft von Wundern, dass sie auf eine Medialisierung drängen (Grizelj 2018). Sie ist notwendig, um eine Wahrnehmung außerhalb des Kreises der direkten Zeugen zu ermöglichen, um die Gläubigen über die Gnade und Allmacht Gottes zu unterrichten. Vor dem Hintergrund der Kategorie des Wunderbaren (merveilleux, meraviglioso, marvelous), das als zentrales ästhetisches und poetologisches Merkmal der Frühen Neuzeit gelten kann, ist es zudem künstlerisch attraktiv, Wunder darzustellen. Obwohl Philosophen und Theologen seit jeher zwischen dem göttlichen Wunder (miracula) und den Wundern der Natur und der Künste (mirabilia) unterscheiden, haben die Begriffe denselben etymologischen Ursprung im lateinischen mirari (Le Goff 1999). Die Tagung geht der Frage nach, wie Wunder medialisiert werden und inwiefern das Wunderbare als ästhetischer Begriff in die mediale Reproduktion von Wundern eingebunden ist.

Angesichts der frühneuzeitlichen Definition von Wundern als Ereignisse göttlichen Ursprungs, die den gewöhnlichen Lauf der Natur überschreiten und den Gläubigen einen kurzfristigen Einblick in die Transzendenz gewähren, sind sie jedoch nicht nur äußerst reizvoll dar-zustellen, sondern auch äußerst schwer zu fassen. Wie können göttliche Akten in weltlichen Medien wiedergegeben werden? Wie wird die Verwunderung, die Wunder hervorrufen, in Text, Bild oder anderen Medien erzeugt? Das Ziel der Tagung ist es, frühneuzeitliche Darstellungen von Wundern in einer Reihe von medialen Artefakten wie Hagiographien, Wunderbe-richten, Sprech- und Musiktheaterwerken, Gedichten oder Gemälden zu untersuchen. Durch die Untersuchung der Strategien zur Reproduktion einer Erfahrung des Transzendenten soll die Funktion der frühneuzeitlichen Medien als Vehikel zur Herstellung einer Beziehung zwischen Menschen und Gott weiter umrissen werden.

Die Tagung will die Darstellung von Wundern in unterschiedlichen Medien untersuchen, die in folgenden Kategorien unterteilt werden können:

1. Literarische Texte: Es soll untersucht werden, wie sich das Wunder zum Wunder-baren verhält. Als zentrales ästhetisches Merkmal der frühneuzeitlichen Kunst soll gefragt werden, welches Ziel die Einbindung von Wundern in fiktionale Gattungen wie Theater oder Lyrik verfolgt. Inwiefern überblendet sich ästhetischer Genuss (placere) mit der Verbreitung christlicher Inhalte (docere)? Wie gehen Autoren mit der Kategorie der verosimiglianza bzw. vraisemblance um, die von Theoretikern und Dichtern wie Torquato Tasso in Italien oder dem Abbé d’Aubignac und Nicolas Boileau in Frankreich in ihren Poetiken eingeprägt und als erforderlich für die Dich-tung erachtet wurde? Welchen Legitimationsstrategien gehen sie nach, um christliche Wunder auf der Bühne darzustellen oder diese in der Lyrik zu integrieren? Da-bei soll die Diskussion die Voraussetzungen der Genres berücksichtigen, die für das Wunderbare besonders disponiert sind, wie das Epos. Dies ist gerade im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit der antiken heidnischen Dichtung von Bedeutung, wie es sich in der französischen Querelle du merveilleux païen et du merveilleux chrétien manifestiert. Denn übernatürliche Ereignisse sind künstlerisch attraktiv, haben aber gleichzeitig eine reale Verbindung zum Transzendenten, einem Bereich, der in der Frühen Neuzeit wegen möglichen teuflischen Täuschungen mit Vorsicht betrachtet werden musste.

2. Geistliche Texte: Umgekehrt ist zu fragen, inwieweit sich Wunderberichte, Hagiographien oder andere spirituelle Texte, die Wunder beschreiben, rhetorischer und poetischer Strategien der weltlichen Literatur bedienen, um das Staunen des Lesers hervorzurufen. Wird der juristische, medizinische und theologische Diskurs von Wunderberichten und Hagiographien, deren Ziel es ist, die Wahrhaftigkeit der Wunder institutionell zu bestätigen, besonders emphatisch von rhetorischen Figuren begleitet, die die Beschreibungen verstärken? Wie werden Wunder in Meditationswerken, Predigten oder geistlichen Lyrik beschrieben? Wie wirken Bilder und Texte zusammen, um Wunder zu reproduzieren? Es soll ebenfalls untersucht wer-den, welche Rolle Beschreibungen von Wundern in Ritualen (z.B. der Eucharistie oder der Einweihung von Kirchen) erfüllen und inwiefern der Dialog mit anderen Konfessionen bzw. Religionen die Darstellung von Wundern beeinflusst.

3. Materielle, bildliche und intermediale Strategien: Ziel der Tagung ist es auch zu zeigen, dass unterschiedlichen Medien kooperieren können und dass Wunder poly-sensorische Erfahrungen sind, deren Wiedergabe von intermedialen Prozessen profitiert. Auch intermediale Phänomene wie das bebilderte Buch oder die Oper sollen deswegen in Betrachtung gezogen werden. Bei visuellen Reproduktionen von Wundern ist zu untersuchen, wie sie mit der ephemeren Qualität von Wundern umgehen. Anders als bei narrativen Darstellungen sprechen Bilder oder Objekte die Sinne direkter an. Ihr mimetisches Potential ist somit höher. Wie nutzt die Malerei diese mediale Potenz im Umgang mit Wundern? Wie werden Darstellungen von Wundern in die Kirchenarchitektur integriert? Werden Wunder auf Mirabilien dargestellt, die in Kuriositätenkabinetten auftauchen? Werden bestimmte Materialien zur Darstellung von Wundern verwendet? Es sollen künstlerische Produktionen bis ins 18. Jahrhundert hinein, in dem mit den aufkommenden Naturwissenschaften eine skeptischere Sichtweise auf Wunder entsteht, in den Blick genommen werden.

Um das Phänomen europaweit und interdisziplinär zu erforschen, sind Beiträge aus den Be-reichen der Kultur- und Literaturwissenschaften, Geschichtswissenschaft, Klassischen Philologie, Musik- und Kunstgeschichte oder Theologie erwünscht. Beiträge können in englischer, französischer oder italienischer Sprache vorgetragen werden. Abstracts (ca. 300 Wörter) mit Vorschlägen für Beiträge können zusammen mit einer kurzen Biografie (ca. 150 Wörter) bis zum 30.6.2022 an die Organisatoren gesendet werden: rogier.gerrits@uni-hamburg.de; avi.liberman@uni-hamburg.de.

Beitrag von: Rogier Gerrits

Redaktion: Robert Hesselbach