Stadt: Graz

Frist: 2022-08-31

Beginn: 2023-02-22

Ende: 2023-02-25

URL: https://hispanistentag-2023.uni-graz.at/es/secciones/

Mein Avatar und ich. Autorschaft in digitalen Umgebungen

#ByeByeBécquer
Alex Saum Pascual

Die sozialen Medien und andere digitale Umgebungen leiten einen wichtigen kulturellen Wandel ein, etwa in der Weise, wie wir uns verbinden, wie wir kommunizieren oder wie wir uns als Subjekte begreifen. Seit einiger Zeit beeinflussen die neuen Medien alle Bereiche unseres täglichen Lebens: Wir leben in einer postdigitalen Zeit. Für die Literatur bedeutet dieses neue digitale Umfeld, dass es neue Formen der Produktion, der Distribution und der Rezeption gibt, die traditionelle Konzepte von Autorschaft und Kreativität herausfordern. Das eingangs zitierte „#ByeByeBécquer“ der digitalen Künstlerin Alex Saum Pascual fasst einige der Prozesse literarischer Appropriation, Transformation und Erneuerung zusammen, die für die neuen literarischen Praktiken online zentral sind.
Einerseits ist das Digitale Medium und Ort des Schaffens: in den sozialen Netzwerken und mit Hilfe von digitalen Technologien entwickeln sich in den vergangenen Jahren neue Formen des Schreibens, und damit neue literarische Genres, benannt mit einer Vielzahl an Neologismen: Cyberpoesie, Twitteratur, Videopoesie, Instalyrik,… Es handelt sich dabei sowohl um neue kreative Formen, wie auch um Formen des „uncreative writing“ (Goldsmith), das durch Verfahren von Copy und Paste eher eine Variation von bereits Dagewesenem bedeutet als das Schaffen neuer Texte. Letzteres findet durch neue Verfahren Anwendung, die abhängig sind von Maschinen und Künstlicher Intelligenz. Viele dieser Werke zeichnen sich durch ihre Kürze aus, da Plattformen wie Twitter nur 280 Zeichen (früher 140) für einen Post zur Verfügung stellen. Dadurch entstehen hybride, oft intermediale Formen, die den (Hyper)Text mit Bild, Ton, Video oder Links verbinden, und die neue Praktiken nicht-linealen Lesens hervorbringen. Aufgrund des relationalen und interaktiven Charakters der sozialen Medien verbreiten die Leser-User*innen nicht nur Inhalte (sie teilen, retweeten, etc.), sondern sie verwandeln sich dabei auch in Leser-Autor*innen (wreaders).
Andererseits definiert das, was wir in den sozialen Medien tun oder nicht tun (teilen, kommentieren, „gefällt mir“ anklicken, sich zu Gruppen verbinden…) unsere digitale Identität. Für die Gegenwartsautor*innen – ob sie nun im Digitalen oder in Buchform veröffentlichen – bestimmt die Entscheidung, in bestimmten sozialen Netzwerken (nicht) anwesend zu sein, das Bild von ihnen als Autor*innen. In den sozialen Medien, wo das Private öffentlich wird, stammen die „Freund*innen“ eines Autors oder einer Autorin genauso aus dem intimen Freundeskreis wie aus dem literarischen Feld. So wird die Art, sich mit dem Publikum auseinanderzusetzen, bzw. mit den Leser-Follower-User*innen, näher, und enthält vielfältige Strategien der Inszenierung: durch den Klarnamen, Fotos, Links, etc., bis hin zu dem Punkt, dass das digitale Ich Teil des Werkes wird und andersherum.
Außerdem sind soziale Medien Orte der Modifizierung und Wiederentdeckung ikonischer Bilder bereits verstorbener Autor*innen, in einem Prozess beinah gespenstischer Produktion: Auf Facebook etwa haben die emblematischsten Figuren der hispanischen Kultur “offizielle Seiten” mit Fotos und unter ihrem Namen – beispielsweise “Frida Kahlo, Künstlerin” – unter der meist anonyme Personen (Leser*innen, Erb*innen, Fans…) Inhalte publizieren und teilen: “Gabriela Mistral hat einen Link geteilt.”
Vor diesem vielfältig anknüpfungsfähigen Hintergrund, der sich aus der digitalen Revolution für das Feld der Literatur ergibt, ist das Ziel dieser Sektion, den verschiedenen Strängen der Verbindung von digitalem Umfeld und literarischer bzw. allgemein künstlerischer Autorschaft nachzugehen, und über die Manifestationen von (kollektiver/Nicht-/Hyper-)Autorschaft zu reflektieren, die dabei aufscheinen, sich transformieren, wieder verschwinden und damit traditionelle Auffassungen der Autorschaft hinterfragen.
Mögliche Fragestellungen für die Sektion sind:

  • Wie nutzen Autor*innen das Internet für verschiedene Arten der Selbstinszenierung? Welche Rolle nehmen die sozialen Medien in Genres wie der Autofiktion und anderen Formen der écriture de soi ein?
  • Welche Rolle spielt die Materialität für das literarische Schreiben im Digitalen? Welche intermedialen Beziehungen formen sich zwischen dem Körper der Autor*innen und dem digitalen Korpus?
  • Wer ist der oder die Autor*in eines von einem Algorithmus geschriebenen oder ausgewählten Textes? Ist die Technologie, die künstliche Intelligenz ein*e Autor*in? Ist der ‚Tod des Autors’ nun tatsächlich eingetreten?
  • Die sozialen Netzwerke erfüllen eine ähnliche Funktion wie früher die literarischen Kaffeehäuser, als Treffpunkt und Ort des Austausches zwischen literarischen Gruppierungen. Welche Mechanismen der Exklusion und Inklusion gibt es hierbei? Wer wird gehört und gelesen?
  • Welche neuen Genres und Poetiken gibt es im Digitalen, wie lassen sie sich anschließen an traditionelle Formen wie Aphorismus, Sprichwort, Tagebuch oder Brief?
  • Auf welche Weise überlagern sich Gender, Autorschaft und digitales Medium? Mit welchen Mitteln und Verfahren reproduzieren oder dekonstruieren soziale Medien Weiblichkeit und Männlichkeit in Bezug auf literarische Autorschaft?
  • Welche Rolle und welche Formen der Autorschaft übernehmen die Leser-Autor*innen? Erfüllen, zum Beispiel, die Booktubers die Funktion neuer Literaturkritik?

Der XXIII. Hispanisten*tag findet von 22. bis 25. Februar 2023 in Graz statt:
https://hispanistentag-2021.uni-graz.at/de/

Abstracts auf Deutsch oder Spanisch (Titel, Beschreibung max. 400 Wörter, Kurzbibliographie, 5 Keywords) können bis 31. August 2022 über die Plattform conftool eingereicht werden: https://www.conftool.net/hispanistentag-2021/

Sektionsleiterinnen:
Eleonore Zapf eleonore.zapf@uibk.ac.at
Gabriele Hassler gabriele.hassler@uibk.ac.at

Beitrag von: Gabriele Hassler

Redaktion: Robert Hesselbach