Der ästhetische Wortschatz der Vormoderne. Neue Ansätze der historischen Semantik

Interdisziplinäre Tagung des SFB 1391 Andere Ästhetik in Stuttgart, 21. bis 23. März 2023

Konzept

Die Tagung geht von der Prämisse aus, dass der Wortschatz, mit dem vormoderne Texte ihre eigenen Entstehungs-, Gestaltungs- oder Wirkungszusammenhänge zu fassen suchen, einen zentralen Zugang zum Verständnis des Ästhetischen eröffnet. Im Sinne des Forschungsprogramms des SFB 1391 Andere Ästhetik richtet sich dabei das Interesse darauf, zu verfolgen, inwiefern ästhetische Semantiken in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten sowohl auf die autologische, gestalterische als auch auf die heterologische, soziale Dimension von Akten und Artefakten rekurrieren (https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/forschungsprogramm/). Genau in dieser Verbindung könnte sich, so die Hypothese, ein Spezifikum des vormodernen ästhetischen Wortschatzes zeigen. Diese Doppelperspektive gilt es daher auf verschiedenen Ebenen zu verfolgen, indem Wörter (z. B. bilde, fröude, lûter, rein; dœnen, klingen), Wortverbindungen (z. B. schœne und guot), Wortarten (Kommunikationsverben wie loben oder singen), Konzepte (z. B. Sinn und Sinnlichkeit, Schein und Anschein, Wert und Wertung, Sehen und Erkennen) sowie Textsorten (z. B. Lehrdichtung oder religiöse Dichtung) in den Blick genommen werden, die insbesondere den dynamischen Austausch von formal-gestalterischen und sozial-pragmatischen, von autologischen und heterologischen Aspekten verhandeln.

Methodisch zentral für die Erforschung des vormodernen ästhetischen Wortschatzes sind die Annahmen der handlungstheoretischen und der diskurs- und wissensgeschichtlichen Semantik, wonach Bedeutungen über Ko- und Kontexte erschlossen werden können. Semasiologische und onomasiologische Ansätze, Wort- und Wortfeldgeschichte sind hierbei zu integrieren, also etwa die Frage nach der Semantik ästhetisch relevanter Einzelwörter, aber ebenso die nach Konzepten oder Wortfeldern. Anschließen lässt sich in historischer Perspektive auch an die Frame-Semantik mit ihrer Frage nach der mentalen Repräsentation von Konzepten. Dieser Zugriff eröffnet auch neue Formen der Darstellung, da er insbesondere in Verbindung mit der Nutzung digitaler Korpora dazu beitragen kann, die Vernetzung von Wörtern neuartig abzubilden.

Folglich möchte die Tagung auch digitale Techniken dezidiert einbeziehen, da sie die Chance bieten, das Feld der historischen Semantik grundlegend zu verändern. Z.B. kann die Arbeit mit großen digitalen Korpora die Bedeutungsgeschichte statistisch unterlegen, und es kann nach Verbindungen von neuartigen quantitativen mit herkömmlichen qualitativen Verfahren gefragt werden. Digitale Methoden ermöglichen es, historisch-semantische Arbeiten über die Grenzen der menschlichen Lesekapazität hinaus voranzutreiben, so das Korpus der auszuwertenden Texte über autoritativ abgesicherte Kanones hinaus auszuweiten und zu präziseren und zu objektiveren Angaben zu Verwendungshäufigkeiten zu kommen. Auch Kookkurrenzen lassen sich mittels Sprachtechnologien umfassend erheben und auswerten.

Gefragt sind also (1.) historisch-semantische Explorationen, die in einem weiten Quellenspekt-rum den ästhetischen Wortschatz untersuchen. Es interessieren (2.) Analysen, die der autologisch-heterologischen Doppelreferenz von Wörtern mit ästhetischer Bedeutung nachgehen. Schließlich suchen wir (3.) methodisch ausgerichtete Studien, welche die Verfahren der Erforschung des ästhetischen Wortschatzes reflektieren oder vorführen, wie diese mittels Methoden der Digital Humanities vorangetrieben werden kann. Jeder Beitrag kann seinen Schwerpunkt im skizzierten Feld selbst wählen – besonders erwünscht sind Beiträge, welche die skizzierten Überlegungen kombinieren –, immer aber sollte ein Bezug zum ästhetischen Vokabular der Vormoderne gegeben sein.

Die Tagung ist interdisziplinär angelegt. Literaturwissenschaftliche und linguistische Beiträge aller Philologien sind daher ebenso willkommen wie komparatistische Ansätze oder Studien aus dem Feld der Digital Humanities.

Teilnahme

Die Tagung findet vom 21. bis 23. März 2023 in Stuttgart statt und hat die Publikation eines Sammelbandes zum Ziel. Um eine konzise Diskussion und eine zügige Veröffentlichung der Aufsätze zu gewährleisten, wird die Tagung im pre-circulated-papers-Format durchgeführt, d. h. die Beiträge gehen allen schon vorab zur Lektüre zu, sodass sich die Tagung ganz deren Diskussion widmen kann. Wir bitten daher darum, die Beiträge unbedingt bis Ende Februar 2023 einzureichen. Nur so können die Beiträge rechtzeitig allen Beteiligten zugesandt werden.

Um die Zusendung von Vortragstiteln und Abstracts im Umfang von 300 Wörtern bitten wir bis 4. Oktober 2022. Bitte senden Sie Ihr Abstract an marion.darilek@uni-tuebingen.de. Die Beitragsvorschläge werden zeitnah gesichtet, sodass Zu- und Absagen noch im Oktober 2022 versendet werden.
Einen detaillierten Call for Papers mit einzelnen Forschungsfragen und Literaturangaben sowie eine englische Version finden Sie auf der Homepage des SFB 1391 Andere Ästhetik unter https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/veranstaltungen/tagungen/.

Veranstalter
SFB 1391 Andere Ästhetik (Tübingen/Stuttgart), Teilprojekt B3 Semantiken des Ästhetischen
Prof. Dr. Manuel Braun: manuel.braun@ilw.uni-stuttgart.de
Dr. Marion Darilek: marion.darilek@uni-tuebingen.de
Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter: a.gerok-reiter@uni-tuebingen.de
Miriam Krauß: miriam.krauss@ilw.uni-stuttgart.de

Beitrag von: Marion Darilek

Redaktion: Ursula Winter