Stadt: Bochum

Beginn: 2023-05-31

Ende: 2023-06-01

Im Pariser Klimaschutzabkommen (2015) wird die Bekämpfung des Klimawandels als größte globale Herausforderung bezeichnet. Die EU versteht sich als treibende Kraft in diesem Transformationsprozess. Mit dem im Dezember 2019 von der EU-Kommission angeregten sog. Europäischen Grünen Deal (European Green Deal), dessen Umsetzung im Juli 2021 initiiert wurde, propagiert die Europäische Union kein geringeres Ziel als “erster klimaneutraler Kontinent” zu werden (https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de). Dabei verfolgt sie einen ganzheitlichen und sektorenübergreifenden Ansatz. Alle relevanten Politikbereiche sollen zum übergeordneten Ziel beitragen: Klima, Umwelt, Energie, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und ein nachhaltiges Finanzwesen. Im zugehörigen Paket Fit for 55 werden eine Reihe von politischen Initiativen und Maßnahmen definiert, mit denen die Senkung der Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber 1990 und die vollständige Klimaneutralität bis 2050 sowie die Abkoppelung des Wachstums von der Ressourcennutzung erreicht werden soll.
Damit einher geht das Versprechen eines Wandels hin zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft. Es wird betont, den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft so zu gestalten, dass gleichzeitig “niemand, weder Mensch noch Region, im Stich gelassen wird.” Indem der Europäische Klimapakt als “EU-weite Initiative, in deren Rahmen sich Menschen, Gemeinschaften und Organisationen am Klimaschutz und am Aufbau eines grüneren Europas beteiligen können”, beworben wird, setzt der European Green Deal ausdrücklich auf den Einbezug der und die Kooperation mit der Zivilgesellschaft.
Nicht nur in den romanischsprachigen Ländern hat der “Dürresommer” 2022 – man denke an die verheerenden Waldbrände in Frankreich und Spanien, an die Hitze und Trockenheit in Italien oder die massive Wasserknappheit an der portugiesischen Algarve – unzweifelhaft gezeigt, dass der Wandel hin zu einem “grünen Europa” dringlicher denn je ist. Die wirtschaftliche und energetische Ausgangsbasis der Mitgliedstaaten ist dabei sehr unterschiedlich: Während Portugal und Rumänien in der Nutzung erneuerbarer Energien über dem EU-Durchschnitt liegen, bieten andere Länder wie Spanien oder Italien zwar optimale, jedoch nur bedingt genutzte Voraussetzungen für den Ausbau von Solar- und Windenergie, wohingegen Frankreich nach wie vor v. a. auf Atomkraft als “sauber” und “grün” setzt und der (aus Frankreich stammende) EU-Kommissar Thierry Breton 2021 ausdrücklich warnte, der Green Deal sei ohne nukleare Energie nicht umsetzbar. Das Ziel, weder Mensch noch Region im Stich zu lassen, wird für vulnerable Gruppen, in ökonomisch benachteiligten Gebieten oder solchen, die von Landflucht betroffen sind, aber auch in sozial sehr heterogenen Ballungszentren, zu einer besonderen Herausforderung. Starke Abhängigkeiten, z.B. im Tourismus, Agrar- oder Bausektor, erfordern auf die regionalen Bedürfnisse zugeschnittene, ökologische Lösungen, die nicht auf Kosten der Biodiversität gehen.
Außerdem stehen die gemeinsamen Bestrebungen der EU in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der im Rahmen der Ukrainekrise stark ins Bewusstsein gerückten Abhängigkeit von Russland und der daraus resultierenden Notwendigkeit der weiteren Reduktion der Importabhängigkeit (2020: 57,5% gemäß Eurostat [https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=EU_energy_mix_and_import_dependency]) zugunsten einer Energiesouveränität; wenngleich also der Ukrainekrieg und die dadurch bedingte Energiekrise eine Neuorientierung forciert, gewissermaßen also als Katalysator fungiert, bricht die kurzfristig notwendige Energieversorgung mit den Zielen des Green Deal. Diese ist in den romanischsprachigen Ländern der EU sehr unterschiedlich ausgeprägt, zumal Abhängigkeiten innerhalb Europas und über die Grenzen des Kontinents hinweg bestehen.
Die Herausforderungen sind folglich enorm. Lösungsansätze müssen verhandelt werden – nicht nur zwischen Politiker/innen oder Vertreter/innen der Wirtschaft, sondern mit allen Akteur/innen der Zivilgesellschaft. Der Ebene der Kommunikation kommt damit eine herausragende Rolle zu. Die Tagung zum Thema Green (Deal) Europe!? möchte sich der Untersuchung dieser Ebene in den romanischsprachigen Ländern der Europäischen Union annehmen. Mögliche Fragestellungen könnten sein:

  • Wie wurde/wird der European Green Deal auf nationaler Ebene, innerhalb der Medien, der Zivilgesellschaft rezipiert, bewertet, diskutiert?
  • Welche Akteure setzen welche diskursprägenden Strategien ein?
  • Wie manifestiert sich der Maßnahmenkatalog des Green Deal in nationalen und europäischen Wahlprogrammen der unterschiedlichen Parteien seit 2019 auf diskursiver Ebene (s. auch die Rolle der grünen Parteien in den einzelnen Staaten)? Welches framing ist zu beobachten? Und wie steht dies in Bezug zum jeweiligen politischen Handeln?
  • Mit welchen kommunikativen, auch bildlichen, Mitteln versuchen europäische und nationale Akteure, die Zivilgesellschaft einzubinden bzw. zu überzeugen?
  • Wie spiegelt sich das Spannungsfeld zwischen europäischem Miteinander und der Notwendigkeit einem (möglicherweise eher national ausgerichteten) Ausbau erneuerbarer Energien auf sprachlicher Ebene (unter Einbindung auch rechtlicher Fragen)? Wie manifestiert sich ein sich entwickelndes Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit den Energie- und anderen Ressourcen?
  • Welche Unterschiede manifestieren sich im framing des Green Deal zwischen den ideologisch unterschiedlichen Lagern, aber auch in den verschiedenen romanisch-sprachigen Ländern?
  • Welche Energieformen werden mit welchen Argumenten als “grün” gelabelt?
  • Was verraten die Titel der Maßnahmen, die verwendeten Schlagwörter (wie z.B. empleo verde, resiliencia de los territorios, mécanisme pour une transition juste, bioeconomia rigenerativa, rigenerazione urbana, coesão territorial oder economia circular) über das framing des Green Deal?
  • In welchem Ausmaß und wie wird u.a. greenwashing in der internen wie externen Kommunikation von Industrieunternehmen und anderen potenziell klimaschädlichen Akteuren genutzt?

Termine:
Wir freuen uns über die Einreichung von Abstracts (max. 3.000 Zeichen inkl. 3-5 bibliographische Angaben) bis zum 30.11.2022 an sabine.heinemann@uni-graz.at, uta.helfrich@phil.uni-goettingen.de, judith.visser@rub.de.
Eine Benachrichtigung über die Annahme der Vorträge erfolgt bis zum 15.12.2022.

Beitrag von: Sabine Heinemann

Redaktion: Robert Hesselbach