Stadt: Essen

Frist: 2023-08-15

Beginn: 2023-11-24

Ende: 2023-11-25

(English version below)

Einreichungsfrist für Projektskizzen: 15. August 2023
Auftaktveranstaltung am KWI Essen: 24.-25. November 2023

Von Spottgedichten und scherzhaften Drucken über Lustspiele und Vaudevilles bis zu Stand-Up-Comedy, witziger Werbung und Memes: Um bei Rezipient:innen zu wirken, muss das Komische auf kulturelles Wissen referieren und konventionalisierte Erwartungen aufrufen, um Letztere enttäuschen oder konterkarieren zu können, bisweilen in spektakulärer Art. Einerseits werden damit soziale Konstruktionen und Konflikte sichtbar, bspw. die Ein-/Ausschlüsse entlang von Differenzkategorien wie race, class, gender oder disability. Indem Komik etwa unerwartet abweichende Kultur- und Körpertechniken durchspielt, schickt sie sich andererseits aber auch an, alternative Modelle des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu imaginieren und zu gestalten. Lustige Alltagssituationen und populärkomische Genres eröffnen daher wirkmächtige Verhandlungsorte kulturellen Wissens. Darin stehen sie den sog. hochkulturellen Produktionen in nichts nach.

Indem vermeintlich gesicherte Handlungsabläufe, Sinn- und Orientierungsmuster durchkreuzt oder exzessiv erfüllt werden, kehrt Komik deren Instabilitäten und Widersprüchlichkeiten hervor. Zwar sorgen die jeweiligen komischen Artefakte und Phänomene deshalb für Verunsicherung und normenstörende Relativierung. Zugleich rührt daher ihre epistemologische Produktivität: Da Komik auf Iteration, also der Wiederholung und Brechung von zeichenhaften Konventionen beruht, lässt sie Bereiche der Ambiguität entstehen, die Gesellschaften überhaupt erst dazu nötigen, Bedeutung auszuhandeln. Hierbei untersucht das Komische häufig auch Kultur selbst, d.h. diejenigen Prozesse, Diskurse und Praktiken, die dazu beitragen, symbolische Ordnungen hervorzubringen. Kultur kann in komisch modellierten Settings als ein Gewordenes adressiert werden, das auch anders hätte sein können.

Das Komische hängt von vielen Faktoren ab, wozu seine – manchmal unfreiwilligen – Produzent:innen und ebenso die individuellen Dispositionen und Gefühlslagen der Rezipient:innen zählen. Ein wohlplatzierter Scherz kann besänftigen und versöhnen, kann mal ein Schmunzeln, mal ein entlastendes Lachen hervorbringen, aber ebenso zu Kontrollverlust führen – etwa wenn er die Anwesenden physisch packt und körperliche ‚Grenzreaktionen‘ (H. Plessner) bedingt, ihnen Lachtränen und unwillkürlich ausgestoßene Laute entlockt. Die Späße eines Zirkusclowns können Mitgefühl evozieren oder aber Aggressionen ausagieren; eine skurrile Anekdote mag in einer geselligen Runde Intimität erzeugen oder peinliche Situationen überbrücken, stimuliert womöglich jedoch auch Schamgefühle. Die Wirkungen und Funktionen des Komischen sind selten eindeutig. Während mit feinsinniger Ironie unterschwellige Kritik formuliert, Positionen relativiert oder Perspektiven verkehrt werden können, stillt derb-vulgäre Komik bisweilen ein sozial oder politisch tabuisiertes Begehren. Die unterschiedlichen Effekte resultieren nicht zuletzt auch aus den jeweiligen Formen und Medien des Komischen. Differenzen zwischen lebensweltlichen Lachanlässen, die sich ggf. zufällig ergeben, und den vielfältigen ästhetischen Darbietungsweisen von Komik sind daher zu eruieren.

Ebenfalls lohnt es sich, die Ränder in Betracht zu ziehen: die Augenblicke, in denen Komik unangenehm cringy oder unheimlich wirkt, die Situationen, in denen sie nicht nur Scheitern inszeniert, sondern selbst scheitert und in betretener Stille mündet. Denn kalkuliert oder ungeplant: Das Komische löst allerhand Effekte wie Affekte aus, weshalb es im öffentlichen Raum von gesellschaftlichen, rechtlichen oder ästhetischen Diskursen intensiv beaufsichtigt wird. Neben thematischen Aspekten spielen dabei die Techniken des Komischen eine besondere Rolle, etwa satirische Verzerrungen, groteske Vermischungen, Unter- und Übertreibung; serielle oder kontrastive Anordnungen, Ablenkungsmanöver und Kippmomente; mechanisch wirkende Körper, inszenierter wie echter Schmerz und mitunter erstaunliche Akrobatik. Etablierte ästhetische, artistische und mediale Praktiken des Komischen können sogar dann zum Lachen anregen, wenn sie gezielt unterlaufen, gekappt oder verweigert werden – denn „comedy is always a pleasure-spectacle of form’s self-violation“ (L. Berlant/S. Ngai). Dabei gilt, dass die vielfältigen komischen Darstellungsverfahren gleichfalls an das kulturelle Wissen der jeweiligen Zeit gebunden sind; sie werden dadurch produziert wie moduliert. Außerdem sind Rückkopplungseffekte nicht zu unterschätzen: Komische Techniken wirken potenziell ebenso gestaltend auf Gesellschaften zurück wie die Themen, Verhaltensweisen oder Situationen, die Komik erzeugen und von ihr analysiert werden.

Für ein geplantes DFG-Netzwerk, das Komik als eigenständige kulturelle Praxis begreift, sich unter Berücksichtigung des historischen und medialen Wandels mit ihren Formen, Konfigurationen und Verfahren, ihren Wirkungen und Funktionen, ihren Extremen, Grenzen und blinden Flecken auseinandersetzt, suchen wir Projekte aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Wir möchten einen transdisziplinären Rahmen etablieren für Wissenschaftler:innen mit kulturwissenschaftlichen Forschungsvorhaben, die weniger auf komiktheoretische Universalismen abzielen, sondern die die historisch-kulturellen Spezifika komischer Ereignisse in den Blick nehmen. Vielfältige Untersuchungsgegenstände, ästhetische wie epochale Schwerpunkte von der Antike bis zur Gegenwart sowie methodische und theoretische Anliegen sind willkommen.

Grundlegendes Ziel des Netzwerks ist es:
- das in vielen Fachdisziplinen vernachlässigte Komische als einen strukturell komplexen, ästhetisch reichhaltigen und gesellschaftlich hochrelevanten Forschungsgegenstand zu verankern,
- das besondere kulturanalytische Potenzial des Komischen in seinen verschiedensten Präsentationsformen und -verfahren sowie im Hinblick auf diverse Wissenskontexte zu beleuchten,
- etablierte Ansätze und aktuelle Forschungsrichtungen im gemeinsamen transdisziplinären Austausch kritisch zu reflektieren, zu nuancieren und zu erweitern, um neue Impulse für eine dezidiert kulturwissenschaftliche Komikforschung zu generieren.

Das Netzwerk kann bis zu 20 Mitglieder umfassen (darunter Forschende außerhalb Deutschlands) und nimmt seine Arbeit nach erfolgreicher Einwerbung für bis zu drei Jahre auf. Als Arbeitssprachen sind Deutsch und Englisch vorgesehen. Wird der Drittmittelantrag positiv beschieden, können u.a. die Reise- und Unterbringungskosten der Mitglieder im Rahmen der Netzwerkveranstaltungen übernommen werden.

Die Auftaktveranstaltung des Netzwerks findet am 24. und 25. November 2023 am Kulturwissenschaftlichen Institut (KWI) Essen statt. Im Fokus steht hier, die verschiedenen Forschungsprojekte in fünf- bis zehnminütigen Impulsvorträgen kennenzulernen sowie sich darüber zu verständigen, wie die organisatorische und inhaltliche Arbeit gestaltet werden soll, um die Grundlinien des Drittmittelantrags festzulegen. Für den Auftakt können wir, wo keine eigene Finanzierung möglich ist, Unterstützung anbieten.

Interessierte bitten wir um eine kurze Projektskizze von etwa 1500 Zeichen und um eine biografische Notiz, die ggf. Vorarbeiten benennt. Beides kann, am besten zu einer PDF gebündelt, bis zum 15. August 2023 bei roxanne.phillips@kwi-nrw.de eingereicht werden.


English version
CFP: Network ‚Comedy as Cultural Studies/Das Komische als Kulturwissenschaft’

Submission of project outlines: 15 August 2023
Kick-off event at KWI Essen: 24-25 November 2023

Satirical poems and humorous prints, comedies and vaudevilles, stand-up, witty adverts and memes: to elicit responses from an audience, funny artefacts must draw upon cultural knowledge and invoke conventionalised expectations, only to subsequently disavow or thwart them, at times spectacularly. On the one hand, this renders social constructions and conflicts visible, such as the inclusion/exclusion dynamics that arise from categories of difference like race, class, gender or disability. On the other hand, comedy can explore unexpectedly modified cultural and bodily techniques, thereby both imagining and shaping alternative models of social coexistence. Commonplace situations that go hilariously wrong as well as popular comic genres thus provide important spaces for the negotiation of cultural knowledge. In this regard, they possess considerable influence, easily rivalling so-called high culture.

Seemingly fixed meanings, referential frameworks and courses of action can be disturbed or exaggerated by comedy, thereby exposing their inherent instabilities and contradictions. Thus, comic artefacts and phenomena generate a sense of uncertainty and relativity, which unsettles widely accepted norms. At the same time, this guarantees their epistemological productivity: Based on iteration, i.e. the repetition and failure of symbolic conventions, comedy brings forth realms of ambiguity and these, in turn, compel societies to deliberate meaning. This often extends to analysing culture itself, in other words: the processes, discourses, and practices that contribute to symbolic orders. For when presented in amusing and whimsical settings, culture can be addressed as a mutable construct that could have taken a different trajectory.

Comedy relies on many factors, including its – potentially involuntary – producers as well as the individual dispositions and emotional states of the audience. A well-placed joke can soothe and reconcile, it may cause a smile or even bring forth comic relief, yet it can just as well lead to a complete loss of control – for example, when it overwhelms the recipient’s body and causes corporeal ‘boundary reactions’ (H. Plessner), eliciting tears of laughter and involuntarily sounds. The pranks of a circus clown can evoke sympathy or act out aggressions; a bizarre anecdote told at a social gathering may foster intimacy or help to overcome embarrassing situations, but it could also stimulate feelings of shame. The impact and the functions of comedy are rarely clear-cut. While subtle irony can formulate subliminal criticism, qualify positions or reverse perspectives, crude and vulgar humour sometimes satisfies a desire that is socially or politically taboo. The varied effects also emerge from the comic forms and media that are employed. Therefore, it is important to also examine the differences between real-life occasions for laughter, which may arise coincidentally, and the countless aesthetic possibilities comic performances enact.

It is also worthwhile to consider the periphery: those instances in which comedy feels cringy or unpleasantly uncanny; the situations in which it not only stages failures but actually fails itself, leading to awkward silence. Whether deliberate or accidental, comic phenomena evoke an array of effects and affects, which prompt vigilant monitoring by societal, legal or aesthetic discourses. In addition to thematic aspects, comic techniques become highly significant here, such as satirical distortions, grotesque amalgamations, understatements and amplifications; serial or contrastive arrangements, diversionary tactics and tipping points; mechanical bodies, pain, both staged and genuine, and occasionally astonishing acrobatics. Firmly established aesthetic, artistic and media practices of comedy even have the potential to elicit laughter when they are deliberately subverted, undercut or rejected – after all, “comedy is always a pleasure-spectacle of form’s self-violation” (L. Berlant/S. Ngai). That said, the different techniques of comic representation remain intricately intertwined with the cultural knowledge of their era, shaped by it both in their inception and subsequent modulations. At the same time, it is crucial to acknowledge the importance of feedback: comic techniques can influence societies as profoundly as the themes, behaviours or situations that generate comedy and are analysed by it.

We are seeking research projects from the humanities and the social sciences for an upcoming DFG network that recognises comedy as a distinct cultural practice. Taking historical change and differences in media into account, the network aims to explore comic forms, configurations and strategies, their effects and functions as well as their extremes, limitations and blind spots. We aim to establish a transdisciplinary framework for scholars working on cultural studies projects that prioritize the historical and cultural specificity of comic events, rather than pursuing universal theories of comedy. A wide range of research subjects, aesthetic interests, methodological and theoretical concerns as well as epochs from antiquity to the present are welcome.

The fundamental goal of the network is
- to establish comedy, often neglected in many disciplines, as a structurally complex, aesthetically rich and socially relevant object of research,
- to uncover the unique potential of comedy, its diverse forms, practices and epistemic contexts as valuable tools for cultural analysis,
- to critically examine, refine and expand both recognised approaches and current avenues of research through transdisciplinary scholarship, so as to develop new cultural studies approaches to comedy.

The network can accommodate a maximum of 20 members, including researchers from outside Germany. It will commence its work for a period of up to three years upon securing funding. Working languages are German and English. If third-party funding gets approved, the network will cover the costs of travel and accommodation for members attending future network events.

The network’s kick-off event is scheduled to take place on 24 and 25 November 2023 at the Institute for Advanced Study in the Humanities (KWI) in Essen. Following brief presentations of the projects (5-10min), our attention will turn towards envisioning network events and research topics, collaboratively establishing the foundation for the DFG application. In the absence of funding, we can provide support for the inaugural event.

Interested parties are invited to submit a short project outline of approx. 1500 characters and a biographical note that may include previous publications in the field. Please send both documents, preferably bundled into one single PDF, to roxanne.phillips@kwi-nrw.de by 15 August 2023.

Beitrag von: Roxanne Phillips

Redaktion: Robert Hesselbach