Achtzig Jahre nach ihrem Tod ist Simone Weil zu einem Mythos geworden, zu einem Symbol für unbedingtes Engagement. Doch das populäre Bild einer Heiligen, einer Märtyrerin verdeckt die radikale Zeitgenossenschaft ihres genuin politischen Lebens. Die zweitägige Veranstaltung Revolution und Gnade versucht sich der für ihr Denken charakteristischen Spannung zwischen Aktivismus und Kontemplation, zwischen Klassenkampf und Gottesliebe auf verschiedenen Wegen anzunähern.

Ein Lektürepanel in den Räumen der Freien Universität am 26.10. rückt zwei zentrale Texte Weils in den Fokus, die nicht nur die politische Dimension, sondern auch die Entwicklung ihres Denken schlaglichthaft erhellen: Einerseits der Reisebericht Deutschland wartet, in dem Weil ausgehend von ihrer Berlinreise im Sommer 1932 scharfsinnige Analysen zum Aufstieg des Nationalsozialismus und zu den Niederlagen des Antifaschismus entwickelt. Andererseits die viel rezipierte Exilschrift Zur generellen Abschaffung der politischen Parteien, die Weil kurz vor ihrem Tod 1943 schrieb und in der sie an anarchosyndikalistische Impulse aus ihrer Zeit als Aktivistin in Frankreichs Gewerkschaftsbewegung anknüpft. Für das Lektürepanel wird um vorherige Anmeldung per Mail gebeten (frankreichzentrum@fu-berlin.de). Die diskutierten Texte werden allen Teilnehmenden vorab zur Verfügung gestellt.

Im Anschluss findet eine öffentliche Abendveranstaltung statt, in der Weils eigenwilliges, aber keineswegs völlig singuläres Denken vor dem Horizont ihrer Zeit und ihrer Zeitgenoss*innen situiert wird: In einer Mischung aus Lesung und Vortrag eröffnet sich ein Panorama verschiedener Haltungen, die eine Reihe von fast gleichaltrigen Denker*innen (darunter Simone de Beauvoir, Jean-Paul Sartre, Maurice Merleau-Ponty und Hannah Arendt) zu den verschiedenen Kriegen und Revolutionen ihrer Zeit und ihres Lebens eingenommen haben.

Neben den verschiedenen Krisen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts stellte gerade auch Weils Berlinreise eine einschneidende Erfahrung dar. Um die Stimmung, die Probleme und die Fragen dieser Zeit erfahrbar zu machen, präsentiert das 2021 gegründete Rosa Kollektiv Auszüge des Theaterstücks Die Mausefalle, das Gustav von Wangenheim 1932, im Jahr von Weils Deutschlandreise, für das Theaterkollektiv Truppe 31 schrieb.

Am 27.10. folgt ein ganztägiger Workshop in den neu eröffneten Räumlichkeiten des ZfL. In diesem Rahmen wird Weils Bezug zum Politischen aus unterschiedlichen Perspektiven und in verschiedenen Konstellationen verhandelt. Was lässt sich ihren Analysen der Parteienpolitik, der Gewerkschaftsbewegung, des Krieges, des Kapitalismus, des Faschismus und nicht zuletzt der modernen Naturbeherrschung heute noch abgewinnen? Kann uns ein derart in seine Zeit verstricktes Denken heute überhaupt noch etwas sagen? Was bedeutet Simone Weils spätere Hinwendung zur Religion vor dem Hintergrund ihres politischen Engagements? Neben den Vorträgen von internationalen Expert*innen aus mehreren Disziplinen wird es viel Zeit für Diskussionen und Gespräche rund um Simone Weil, ihr vielschichtiges Werk und ihre Zeit geben.

Eine Kooperation des Instituts für Philosophie an der Freien Universität Berlin und des ZfL mit Unterstützung der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften und des Frankreichzentrums an der Freien Universität.

Ort: Freie Universität Berlin / Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung
Organisiert von Oliver Precht (ZfL), Anne Eusterschulte, Elena Stingl (beide FU Berlin)
Kontakt: Oliver Precht

Beitrag von: Marie Jacquier

Redaktion: Robert Hesselbach