Stadt: Padua

Frist: 2023-11-22

Beginn: 2024-03-07

Ende: 2024-03-08

URL: https://tinyurl.com/autoruebersetzerinnen

Autor-Übersetzerinnen um 1800.
Autorschaft, Übersetzungspraxis und Geschlecht an der Schnittstelle ästhetischer und gesellschaftspolitischer Debatten

Università degli Studi di Padova, 07.–08.03.2024, in Kooperation mit der Université de Lausanne

Organisiert von Daniele Vecchiato (Padua) und Angela Sanmann (Lausanne)

Frauen schreiben und übersetzen seit jeher. Ob sie ihre Werke publizieren (anonym, pseudonym oder unter Klarnamen), privat zirkulieren lassen oder unter Verschluss halten, hängt von epochengeschichtlichen Kontexten, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und ihrer je individuellen Situation ab. Die Frage nach dem Stellenwert des Geschlechts als einem bedingenden Faktor von Autorschaft beschäftigt die Literaturwissenschaften spätestens seit den 1980er Jahren. Nur wenig später begann die Auseinandersetzung mit Werken und kulturellen Praktiken von Übersetzerinnen, und auch hier stehen in den letzten Jahren zunehmend die Wechselverhältnisse zwischen Geschlecht, Alter, (sozialer) Herkunft und Bildungsgrad im Fokus. Zahlreiche Tagungen, Sammelbände und Einzelpublikationen beleuchten die Schreib-, Übersetzungs- und Vermittlungstätigkeiten von Frauen aus unterschiedlichen Perspektiven und rücken vergessene Akteurinnen in den Fokus (z.B. Dow 2007; Wehinger/Brown 2008; Lerousseau 2013; Leyh/Müller/Viehöver 2018; Sanmann/Hennard/Cossy 2018; Krimmer/Nossett 2020; Wernli 2022; Brown 2022 usw.).

Allerdings gibt es bisher selten Berührungspunkte zwischen literatur- und übersetzungswissenschaftlicher Forschung zu schreibenden Frauen. Meist rückt entweder das übersetzerische Werk in den Fokus (z.B. Hannemann 2005 zu Sophie Mereau, Brown 2012 zu Luise Gottsched) oder aber primär die literarische Produktion (z.B. Hammerstein/Horn 2008 wiederum zu Mereau, Pailer 2009 zu Charlotte Schiller, auch Holmgren 2007), häufig auch der Beitrag von Frauen zur Entwicklung einzelner literarischer Gattungen (z.B. Fleig 1999 zum Drama, Balmer 2011 und Gallas/Meuser 2013 zum Roman). Diese Herangehensweise ist nachvollziehbar, stellen die genannten Studien doch Pionierleistungen dar, die zunächst eine Grundlage für die weiterführende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Werk der jeweiligen Akteurinnen schaffen.

Das Analysieren der Interaktion zwischen Übersetzen und Schreiben im Werk von Literatinnen zeichnet sich somit als ein grundlegendes Desiderat ab. Denn auch und gerade in der Epoche um 1800, als das künstlerische Potential der Übersetzung in Theorie und Praxis zur besonderen Entfaltung kommt, bilden die beiden Tätigkeiten oft ein Kontinuum (vgl. Nebrig/Vecchiato 2018, epochenübergreifend Bassnett/Bush 2006, Buffagni 2011). Die übersetzerische Praxis beeinflusst das eigene Schreiben und umgekehrt, und zwar sowohl in inhaltlicher als auch in stilistischer Hinsicht.

Während das Neben- und Ineinander von Schreiben und Übersetzen bei männlichen Autoren des 18. bis 20. Jahrhunderts wiederholt Gegenstand der Reflexion geworden ist – unter dem Stichwort „translator-author“ (Bernofsky 2005), „Autor-Übersetzer“ (Telge 2017/2022) bzw. „poète-traducteur“ (Lombez 2003/2016, Sanmann 2013) –, gilt dies für Autorinnen nicht in gleichem Maße. Der Zusammenhang von Schreiben und Übersetzen im Werk von „Autor-Übersetzerinnen“ wird bislang nur vereinzelt erforscht (so z.B. bei Nebrig in Sanmann/Hennard/Cossy 2018, Sanmann 2021 und Middelhoff 2022). Dabei braucht man nach Fallbeispielen nicht lange zu suchen: Eher ist es schwierig, schreibende Frauen zu finden, die im Laufe ihres literarischen Wirkens nicht in beiden Feldern tätig waren.

An diesem Punkt setzt die geplante Tagung an. Sie rückt die Wechselwirkung von Schreib- und Übersetzungstätigkeiten von Frauen um 1800 in den Fokus und setzt das theoretisch gut eingeführte Konzept des „Autor-Übersetzers“ bewußt in die weibliche Form. Unter „Autor-Übersetzerinnen“ sind Übersetzerinnen zu verstehen, die zugleich selbst schriftstellerisch aktiv sind. Ziel ist, die Vielfalt an literarisch-übersetzerischen Positionsbestimmungen und Strategien abzubilden und zu diskutieren.

Oft streben Autor-Übersetzerinnen um 1800 – ebenso wie übrigens ihre männlichen Kollegen – gerade nicht nach einer philologisch genauen Wiedergabe des fremdsprachlichen Originals, sondern interpretieren und transformieren den Ausgangstext auf eine Weise, die ihm in der Zielsprache eine individuelle Prägung verleiht. Ihre Übersetzungen lösen das Original aus seinem ursprünglichen Kontext heraus und verhandeln es im literarischen, politischen und sozialen Kontext der Zielkultur neu. Dabei finden insbesondere auch gesellschaftspolitisch kontrovers diskutierte Themen wie Geschlechterrollen, Frauenbildung und Autorschaft Widerhall in der übersetzerischen Reflexion und Praxis – hier zeigt sich eine klare Überschneidung zu den Fragen, die schreibende Frauen in ihren eigenen Werken und deren Peritexten zur Sprache bringen. Nicht nur inhaltlich finden sich Schnittmengen (z.B. in Form von – zuweilen abwandelnder – Übernahme von Figurenkonstellationen oder auffälligen Strukturanalogien in der Handlungsgestaltung), auch auf stilistischer Ebene gibt es Verbindungslinien zwischen eigenen und übersetzten Texten. Hier stellt sich die Frage, ob und inwiefern Autor-Übersetzerinnen, die ihre zielsprachlichen Texte individuell gestalten, das Übersetzen als eine dem Schreiben gleichwertige kreative und intellektuelle Praxis begreifen oder eher als ein Handwerk bzw. eine Hilfestellung oder schlicht eine Lohnarbeit. Denn das Neben- und Ineinander von Schreiben und Übersetzen kann freilich auch ganz praktische Gründe haben: Frauen, die sich als Berufsschriftstellerinnen zu etablieren versuchen, kombinieren häufig beide Tätigkeiten, je nach Auftragslage, Publikationsoptionen und Konjunkturen im Verlagswesen.

Die geplante Tagung bietet die Gelegenheit, die Reflexion über das Konzept „Autor-Übersetzerin“ zu vertiefen und auszudifferenzieren – theoretische Beiträge dazu sind herzlich willkommen. Komplementär dazu sollen die historischen Bedingungen der kombinierten Schreib- und Übersetzungstätigkeit von Autor-Übersetzerinnen anhand von Fallbeispielen in den Blick rücken. Im Mittelpunkt stehen Akteurinnen aus der Zeit zwischen 1770 und 1830, die aus dem Französischen, Italienischen und Englischen ins Deutsche bzw. aus dem Deutschen in eine dieser Sprachen übersetzen und zugleich mit eigenen literarischen Werken hervortreten. Punktuelle Einblicke in frühere Epochen können das Panorama ergänzen.

Wir laden alle Interessierten ein, Vorschläge zu folgenden Themenkomplexen einzureichen:

Reflexion und Selbstverortung als Autor-Übersetzerin
• Wie artikulieren Autor-Übersetzerinnen ihr Selbstverständnis in Bezug auf die Aktivitäten des Schreibens und Übersetzens?
• Wie reflektieren sie die Tätigkeiten des Schreibens, Übersetzens, Redigierens und Herausgebens und die damit verbundenen Herausforderungen in Ego-Dokumenten (Briefen, Tagebüchern, Autobiographien)?
• Welche Funktion haben Peritexte für die Selbstpositionierung und Inszenierung der eigenen Rolle als Autorin bzw. Übersetzerin? Inwiefern steuern Widmungen, Vorreden, Nachworte, Anmerkungen usw. die Rezeption der eigenen bzw. der übersetzten Texte? In welchem Verhältnis stehen Peritexte und literarische bzw. übersetzerische Praxis?
• Unter welchen Bedingungen entscheiden sich Autor-Übersetzerinnen für die eine oder die andere Tätigkeit?

Schreib- und Übersetzungsstrategien: Ästhetische Praxis
• Welche Wechselwirkungen zwischen den Tätigkeiten des Schreibens und Übersetzens zeigen sich auf inhaltlicher Ebene (Themen und Motive)?
• Inwiefern dient das Übersetzen als Anregung und Ausgangspunkt für das eigene schriftstellerische Schaffen bzw. als Stilübung?
• In welchen Fällen begreifen schreibende Frauen das Übersetzen als eigenständigen kreativen Akt?
• Welche kreativen Schreib- und Übersetzungsstrategien erlauben es Autor-Übersetzerinnen, in eigenen bzw. übersetzten Texten gesellschaftspolitische Anliegen zu adressieren (Geschlechterrollen, Frauenrechte, weibliche Bildung, die Institution der Ehe, usw.)?
• Inwiefern verbinden Autor-Übersetzerinnen je divergierende gesellschafts-politische Zielsetzungen mit dem Schreiben bzw. dem Übersetzen? Wie reflektieren sie diese?
• Welche Hybridformen zwischen Schreiben und Übersetzen existieren (freie Übersetzungen, Adaptionen, strukturanaloge Eigenwerke, Figurenentlehnungen usw.)?
• Welche Rolle spielt das sich herausbildende Urheberrecht für die Schreib- und Übersetzungstätigkeit von Frauen?

Autor-Übersetzerinnen in Netzwerken und Kooperationen
• Welche Formen der Zusammenarbeit gibt es zwischen Autor-Übersetzerinnen und Familienangehörigen bzw. Kolleg:innen  im eigenen Land oder im Ausland?
• Inwiefern profitieren Autor-Übersetzerinnen von Netzwerken mit fremdsprachigen Intellektuellen, und wie spiegelt sich dies in ihren eigenen und übersetzten Werken wider?
• Welche Rolle spielen Mäzen:innen und Mentor:innen?
• Inwieweit sind Autor-Übersetzerinnen in umfangreiche Übersetzungsprojekte involviert (z.B. bei Werkausgaben kanonisierter fremdsprachiger Autoren)?

Autor-Übersetzerinnen auf dem literarischen Markt
• Unter welchen Bedingungen publizieren Autor-Übersetzerinnen orthonym, pseudonym oder anonym? Zeigen sich Unterschiede im Hinblick auf eigene und übersetzte Texte bzw. je nach gewählter Gattung?
• Wann entscheiden sich schreibende Frauen bewusst gegen eine kommerziell ausgerichtete Veröffentlichung und für ein rein privates Zirkulieren ihrer Texte?
• Welche Faktoren beeinflussen die Auswahl der zu übersetzenden Texte? Welche Instanzen entscheiden mit (Verlage, Mäzen:innen usw.)?
• Wie kombinieren Autor-Übersetzerinnen Schreib- und Übersetzungstätigkeiten und wie reflektieren sie ihre Einnahmequellen in privater und beruflicher Korrespondenz?
• Wie gelangen sie an Übersetzungsaufträge bzw. Publikationsoptionen für eigene Texte?
• Welches Potential für Netzwerkbildung und Werkförderung bzw. -publikation ergibt sich aus der doppelten Verankerung im Übersetzen und Schreiben?
• Welche Rolle spielen Zeitschriften für die Publikationspraxis von Autor-Übersetzerinnen? Welche Zeitschriften gründen sie selbst und mit welcher Programmatik?
• Wie wird die Arbeit von Autor-Übersetzerinnen wahrgenommen? Welche Reaktionen gibt es aus dem gesellschaftlichen bzw. privaten Umfeld und wie beeinflussen diese wiederum die spätere Rezeption ihrer Werke?

Tagungssprachen: Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch.
Länge der Vorträge: 25 Min. + 15 Min. Diskussion.

Abstracts (max. 500 Wörter) und eine kurze Bio-Bibliographie (max. 100 Wörter) richten Sie bitte bis zum 22. November 2023 an daniele.vecchiato@unipd.it und angela.sanmann@unil.ch. Die Auswahl wird bis zum 7.12.2023 getroffen.

Beitrag von: Angela Sanmann

Redaktion: Robert Hesselbach