Online-Vortrag im Rahmen des Literatur- und Kulturwissenschaftlichen Kolloquiums der Europa-Universität Flensburg

Der Kriminalroman und die Moderne: eine Motivgeschichte
Prof. Dr. Albrecht Buchmann (Universität Rostock)

am 7. Dezember 2023, 12.15 – 13.45 Uhr
online: https://uni-flensburg.webex.com/uni-flensburg/j.php?MTID=m92113f70542a841e001a8d649eb78ace

Abstract:
Keine literarische Gattung wird so viel gelesen wie die des Kriminalromans. Warum sind wir so begierig, vom gewaltsamen Tod eines Menschen zu lesen, zumal im Modus entspannender Unterhaltung? Diese Frage führt zunächst zur Geschichte der Gattung. Entstanden aus dem Rationalitätsparadigma der europäischen Aufklärung lässt der Kriminalroman den Leser an der Produktion von Wissen, an einer Erkenntnissuche sowie der Inszenierung überlegener Rationalität teilhaben; allerdings hat der Anti-Kriminalroman des 20. Jahrhunderts (Borges, Dürrenmatt, Robbe-Grillet, Sciascia et al.) dieses Narrativ bereits dekonstruiert.
Weder eine historische Herleitung noch andere analytische Ansätze liefern letztlich überzeugende Erklärungen für die ungebrochene Popularität des Kriminalromans. Darum stellt sich die Präsentation der Frage, ob es nicht ein ungelöstes Problem im Umgang mit dem Phänomen der Gewalt ist (genauer gesagt: mit dem Versprechen der aufgeklärten Moderne, uns die Gewalt vom Leib zu halten), das uns gerade deshalb zum Krimi greifen lässt, weil die Gattung einen für uns versöhnlichen Ausweg verheißt. Eine entscheidende Rolle spielt hierfür offensichtlich der in allen Krimivariationen so wichtige Faktor “Motiv”, das die Verbindung herstellt zwischen der Tat und dem Mörder, zwischen Rätsel und Lösung – und zwischen Gewalt und Ratio.

Albrecht Buschmann ist Professor für spanische und französische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Romanistik der Universität Rostock.
Nach dem Studium in der Romanistik und Islamkunde an der Universität des Saarlandes, promovierte und hablitierte er 2003 und 2009 an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Literatur und Gewalt in sozialer Nähe, die Literatur des republikanischen Exils aus Spanien sowie die Theorie und Praxis des literarischen Übersetzens. Seine Übersetzung von Max Aubs Roman Campo de los almendros wurde 2003 er mit dem Übersetzerpreis der Spanischen Botschaft ausgezeichnet. Unter seinen Publikationen, die Monographien Max Aub und die spanische Literatur zwischen Avantgarde und Exil (2012) und Die Macht und ihr Preis. Detektorisches Erzählen bei Leonardo Sciascia und Manuel Vázquez Montalbán (2005) und die Sammelbände (als Herausgeber) Decir desaparecido(s): Formas e ideologías de la desaparición forzada (2019, mit Luz C. Souto), Gutes Übersetzen. Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens (2015); Horacio Castellanos Moya y el arte de sobrevivir en Centroamérica (mit Alejandra Ortiz, 2009).

Zum Programm des Literatur- und Kulturwissenschaftlichen Kolloquiums der Europa-Universität Flensburg im Herbstsemester 2023:
https://www.uni-flensburg.de/romanisches-seminar/forschung-projekte/aktuelle-projekte/literatur-und-kulturwissenschaftliches-kolloquium-herbst-2023

Beitrag von: Matteo Anastasio

Redaktion: Robert Hesselbach