Transfer und Hybridisierung

Mit dem Motto des XXIV. Deutschen Hispanistiktages soll die Gelegenheit gegeben werden über den Austausch von materiellen und immateriellen Kulturgütern in und zwischen den Räumen spanischer Sprache nachzudenken. Dies kann disziplinär, transversal und interdisziplinär zwischen den Wissenschaftsdisziplinen der Hispanistik geschehen. Reduziert man die beiden Begriffe Transfer und Hybridisierung auf ihre Bedeutungskerne, dann haben wir es einerseits mit Übertragung, Weitergabe und andererseits mit aus Verschiedenartigem zusammengesetzten Phänomenen zu tun. Was übertragen bzw. zusammengesetzt wird, in welche Richtung übertragen wird, unter welchen Voraussetzungen und der Beteiligung welcher Vermittlungen und welche Konsequenzen dies nach sich zieht, dazu wird unter einer Reihe miteinander verwandter Begriffe und Methoden in der Sprachwissenschaft, der Literatur- / Kultur- und Medienwissenschaft, der Translationswissenschaft und der Fachdidaktik umfangreich geforscht.

Hybridisierung und Hybride faszinieren die Menschen schon immer: Mischungen aus Fisch und Frau (Meerjungfrau), Pferd und Mann (Zentaur) oder Löwe und Mensch (Sphinx) sind Teil unserer Märchen, Mythologie und ältesten Abbildungen. Hybride waren immer Teil der Forschung in der Biologie und Evolutionstheorie, wo Kreuzungen/Mischungen von Tieren oder Pflanzen zur Zucht neuer (besserer) Varianten dienten. In der Linguistik wurden Mischsprachen lange Zeit als „schlechte Varianten“ von Standardsprachen betrachtet. Diese Zeit ist vorbei und die Erforschung von Hybridisierung und der dazugehörigen gesellschaftlichen und/oder sprachinternen (Transfer-)Prozesse hat Einzug in die hispanistische Sprachwissenschaft gehalten. In der Tradition Hugo Schuchardts (1884), der behauptete, dass es keine ungemischte Sprache gibt, laden wir ein, sich mit der Vielfalt der spanischen Sprache auf den verschiedenen Kontinenten auseinanderzusetzen, die in eigener Weise durch indigene, amerikanische, afrikanische, europäische, kreolische und auch asiatische Sprachen geprägt ist: Welche sozialen Prozesse sind involviert bei Hybridisierung und sprachlichem Transfer? Welche Ebenen der spanischen Sprache sind besonders häufig von Hybridisierungstendenzen betroffen? Hybridisierungsprozesse in der Biologie scheinen eingeschränkt, gibt es ähnliche Beschränkungen der Hybridisierung und des Transfers bei Sprachen? Welche Eigenschaften weisen Mischsprachen auf? Welche sozialen Faktoren führen zur Hybridisierung? Gibt es einen Unterschied zwischen Hybridisierung und Sprachkontakt? Bedingt durch vielfältige soziale Prozesse ist (migrationsbedingte) Mehrsprachigkeit heute mehr denn je in der spanischsprachigen Welt Normalität, sodass sprachpolitische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Kontext der hispanophonen Weltregionen hinsichtlich Hybridität und (Sprachen- und Varietäten-)Transfer untersucht werden sollten. Dabei stellen sich auch Fragen hinsichtlich methodologisch-methodischer Hybridverfahren in der hispanistischen Linguistik, um innovative Herangehensweisen (mixed-methods, Datentriangluationen aus metasprachlichen Perspektiven und Sprachdaten) auszubauen und die semiotische Ressource Sprache holistisch in ihrem kommunikativen Kontext (Sprache-Text-Hybride) auszudeuten.

Die Erforschung von Transferdynamiken aus literatur-, medien- oder kulturwissenschaftlicher Sicht eröffnet eine Vielfalt an Perspektiven. In bestimmten Räumen, zu bestimmten Zeiten sich vollziehende Transfers, im Sinne von Übermittlungen, Übertragungen, Vermittlungen, können Artefakte im Allgemeinen, literarische, filmische (text-)musikalische Elemente, Gattungen, Poetiken, Ästhetiken, Wissensdiskurse usw. zum Gegenstand haben. Transfer- und Hybridisierungsprozesse können sich auf der Grundlage von – oft polydirektionalen – Beziehungen in Spanien, in Hispanoamerika oder zwischen Spanien und Hispanoamerika ereignen oder im Kontext von Beziehungen zwischen spanischsprachigen Kulturen innerhalb und außerhalb der Gebiete mit Spanisch als Amtssprache. Die Untersuchungen lassen sich z.B. auf die vermittelnden Instanzen konzentrieren, durch die der Transfer stattfindet, sie können den Schwerpunkt auf den Prozess der Kommunikation, als Aushandlung von Bedeutung, als Interpretation legen, auf die Transformation als transkulturelles, hybrides Produkt, auf ihre literarischen, filmischen, sozialen, kulturellen Auswirkungen (z.B. aus Sicht der postcolonial studies), auf die Konflikte oder Reibungen, die mit dem Transfer verbunden sind, oder auf die Bedingungen, die den Transfer und die Transformation ermöglichten, verlangsamten oder behinderten.

In der Translationswissenschaft lässt sich der Übersetzungsvorgang als interlingualer Kulturtransfer betrachten. Die Übersetzung, die traditionell als lexikalische, semantische und stilistische Äquivalenz verstanden wird, hört nicht auf ein „utopisches Unterfangen“ zu sein, um es mit den Worten von José Ortega y Gasset zu sagen. Der Prozess der Übertragung von einer Sprache in eine andere ist jedoch nicht mehr als eine Übereinkunft zwischen der dem Original geschuldeten Treue und der Freiheit zu verändern, um stilistische und inhaltliche Äquivalenzen herzustellen. Diese Übereinkunft bedeutet einerseits, vom Originaltext eine semantische Vereindeutigung zu verlangen, die es uns ermöglicht, ihn zu verstehen und, andererseits, die Übersetzung mit der Mehrdeutigkeit auszustatten, die der des Originals entspricht. Wir laden ein, sich mit dieser Utopie auch vor dem Hintergrund KI-basierter maschineller Übersetzung auseinanderzusetzen, um zu diskutieren, wie die Übertragung von implizitem Wissen, von Vorstellungen, die bestimmten soziokulturellen und/oder Generationengruppen eigen sind, neue Texte, eventuell hybride und semantisch instabile Texte schafft; Texte, die aus dem Polylog von Stimmen entstehen/entstanden sind: zwischen der Stimme, die den Ausgangstext hervorgebracht hat, derjenigen, die sich aus der Vermittlungsinstanz heraus artikuliert, und schließlich jener, die die semantischen Möglichkeiten des Zieltextes in der Rezeption aktualisiert.

Die Schlüsselkonzepte Transfer und Hybridisierung regen aus fachdidaktischer Perspektive an, über ihre praktischen Anwendungen in unterschiedlichen Kontexten und Formaten des Lehrens, Lernens und der (Aus- und Weiter-)Bildung von Lehrkräften zu diskutieren. Zu diesen unterschiedlichen Kontexten gehören Face-to-Face– und/oder Online-Formate sowie formelle und/oder informelle Situationen. Es lassen sich beispielsweise Dynamiken des interlingualen Transfers erfassen, mit denen das Entstehen neuer Sprachpraktiken begünstigt werden kann sowie Transfer-Prozesse im Zuge der Professionalisierung von Lehrkräften. Dynamiken des Transfers und der Hybridisierung wirken auch in den zunehmend durch Heterogenität gekennzeichneten Kontexten von Schüler:innen und Lehrkräften, aufgrund von Herkunft, sprachlichen Repertoires, Wissen, Überzeugungen und Ideologien, wenn es darum geht die Vielfalt der Lern-, Lehr- und Ausbildungspraktiken darzustellen. Das Motto der Fachtagung lädt dazu ein, etablierte Dichotomien in didaktischen Konzepten und Theorien zu problematisieren, die Didaktik aus einer inter- und transdisziplinären Perspektive zu betrachten sowie einen retrospektiven und prospektiven Blick auf ihre Entwicklung zu werfen.

Prof. Dr. Inke Gunia, Universität Hamburg
Prof. Dr. Susann Fischer, Universität Hamburg

Die Frist für die Einreichung von Sektionsvorschlägen ist der 15. Januar 2024. Sektionsvorschläge enthalten bitte neben einer kurzen Beschreibung des Sektionsthemas auch die Namen von mindestens fünf Teilnehmer(inne)n, welche ihre Mitwirkung an der Sektion zugesagt haben, darunter auch die Namen von Teilnehmer(inne)n, die eingeladen werden sollen. Die Benachrichtigung über die Annahme oder Ablehnung des Sektionsvorschlags erfolgt bis Anfang Februar 2024. Die endgültigen Versionen der angenommenen Sektionsvorschläge mit Angabe der eingeladenen Sprecher:innen sind bis zum 4. März 2024 einzureichen.

Die Vorschläge für die Sektionen senden Sie bitte auf elektronischem Wege an die Vorsitzende des Hispanistikverbands:

Prof. Dr. Inke Gunia
Universität Hamburg
Von-Melle-Park 6, B11006
20146 Hamburg
Inke.gunia@uni-hamburg.de

Beitrag von: Susann Fischer

Redaktion: Ursula Winter