Stadt: Konstanz

Frist: 2024-12-31

Beginn: 2025-09-22

Ende: 2025-09-25

URL: https://www.romanistiktag.de/xxxix-romanistiktag/sektionen/sektion-20/

SchreibTechnologien der Empathie

Sektionsleitung: Dr. Gesine Hindemith (Universität Stuttgart), Dr. Mailyn Lübke (Universität Osnabrück), Selina Seibel (Universität Stuttgart)

Sektionsbeschreibung:

Lebensrealität heute ist die eines digital-humanen Zusammenlebens, in dem kommunikativer Austausch oft über SchreibTechnologien verläuft (Internet, mobile Endgeräte, Messengerdienste). Das Paradigma computervermittelter Kommunikation verändert dabei zwischenmenschliche Beziehungen, deren empathische Grundlage sich nicht mehr nur face-to-face ereignet, sondern über digitale SchreibTechnologien neu ausgehandelt werden muss. Die Sektion versteht Empathie als eine Voraussetzung für sprachliche Prozesse, die Verstehens- und Einfühlungsleistungen generieren und darstellen. Empathie birgt damit ein texthermeneutisches Potenzial. Für das Digital Age muss Empathie neu gedacht werden „im Versuch, den Zwischenraum zwischen den Individuen durch mediale Techniken zu überbrücken bzw. umgekehrt die Differenz zwischen ihnen erst durch mediale Verknüpfung zu erzeugen“ (Breger/Breithaupt 2010: 7). Wie kann Empathie in SchreibTechnologien stattfinden? Zumal sich die Frage nochmals neu stellt, wenn KI zu Interaktant*innen werden, die Empathie darstellen können und damit rezipierbar machen (Misselhorn 2021). Strukturen von sprachlicher Empathiebildung werden so untersuchbar. Die Sektion zielt darauf, die gewandelten Parameter von Kommunikation durch SchreibTechnologien für das human-digitale Zusammenleben aus linguistischer und literaturwissenschaftlicher Sicht erstmals zu erschließen.
Formen digital erzeugter Kommunikation haben jüngst Einzug in die Gegenwartsliteratur der Romania genommen. Zu nennen sind hier E-Mail-Romane von Autor*innen wie Virginie Despentes (Cher connard 2022) und Eric-Emmanuel Schmitt (L’elixir d’amour 2015). Digitale SchreibTechnologien werden als konstitutive Erzählformen oder Paratexte aufgegriffen (Éliette Abécassis: Instagrammable 2021, Milica Marinkovic: Piacere, Amelia 2016, José Luis Palma: El amor en los tiempos del chat 2013). Social-Media-Plattformen führen zu einer Erweiterung der literarischen Veröffentlichungspraxis im digitalen Bereich, beispielsweise auf dem Instagram-Account Amour solitaires von Morgane Ortin, die dort Chatkonversationen literarisiert. Autor*innen verwenden immer häufiger KI im Schreibprozess und es entstehen erste literarische Texte, die alleine durch KI verfasst werden (Antonio Addati und KI, Memorie di un I.A. 2023).
Der Zusammenhang von Technik und Kommunikation lässt sich als diachrone Konstante beobachten. Aus literatur- und sprachhistorischer Perspektive kann ein Vergleich von digitalen SchreibTechnologien mit historischen Formen angesetzt werden (Briefroman 18. Jahrhundert, Dialogformen in fiktionalen Werken ab der Renaissance). Zu beobachten ist hier die Verschiebung sowie Hybridisierung von Oralität und Literalität. Von der digital-humanen Situation aus stellen sich Fragen zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Körper und SchreibTechnologie, zu Präsenz und Absenz, Herstellung bzw. Simulation von Empathie im Hinblick auf Konstanz und Wandel der Parameter neu.
Phänomene der digitalen Kommunikation rücken im linguistischen Bereich (insb. Pragmatik) immer mehr in den Fokus. So werden verstärkt Chat-Korpora oder Social Media-Threads auf ihre sprachlichen Phänomene und Funktionen hin untersucht (vgl. Dürscheid/Frick 2016) und können folglich auch auf mögliche Empathiemarker überprüft werden. Aus pragma- und interaktions-linguistischer Perspektive können diachrone und digitale Korpora berücksichtigt werden, die Material zu a) der Beschreibung und b) den Funktion(en) von Schreibpraktiken zur Herstellung von analog- und digital-textualisierten Empathiedarstellungen beinhalten, beispielsweise realisiert durch Lautobjekte, Intensivierungs- und Abschwächungsstrategien, deiktische Referenzen, Reparaturprozesse und Selbstoffenbarungen.
Im Zuge des ,emotional turn‘ um die Jahrtausendwende figuriert Empathie als ein diskutierter, wenn auch bisher nicht scharf umrissener Begriff in unterschiedlichen Disziplinen (Kognitionswissenschaften, Neuropsychologie, Philosophie, Didaktik u.a.). Erste Erkenntnisse zur Beschreibung von Empathiedarstellungen aus linguistischer Sicht beziehen sich vornehmlich auf die Analyse deutscher Daten (Pfänder/Gülich 2013; Kupetz 2015, 2020; Jacob/Konerding/Liebert 2020; Bauer 2024). Ansätze zur Fruchtbarmachung von Empathie für die narratologische Forschung liegen in der Anglistik und Germanistik vor (Keen 2010; Anz 2007).
Kommunikation soll ergänzend aus der Sicht der Literatur- und Sprachwissenschaft betrachtet werden, beispielsweise im Hinblick auf die zeitliche, psychologische und sequentielle Strukturierung in Ereignisfolgen (Watzlawick 2007), in dem inter-subjektives Verstehen sprachlicher Handlungen innerhalb einer Konversation analysiert wird. SchreibTechnologien nehmen einen unmittelbaren Einfluss auf den Ablauf einer solchen Kommunikation und beeinflussen die Auswahl von Emotionalisierungstechniken.
Das Sektionsvorhaben startet mit der Annahme, dass empathiebildende Prozesse narrativ und sequentiell strukturiert sind. Anliegen der transversalen Sektion ist es, multiperspektivisch Konstanten und Wandel medial-technologischer Kommunikation im Zeichen der Empathie zu untersuchen. Literaturen und Sprachen der Romania stellen einen Gegenstandsbereich dar, der historische, soziokulturelle und sprachliche Vergleichspunkte bietet: von analogen SchreibTechnologien bis zur Online-Kommunikation des Digital Age. Die Sektion ist offen für alle romanischen Sprachen und Literaturen.

Mögliche Fragestellungen

• Welche Funktionen übernehmen SchreibTechnologien in empathiebildenden Prozessen in Literatur und in computervermittelter Kommunikation?
• Welche Methoden können entwickelt werden, um Empathiemarker aus linguistischer und literaturwissenschaftlicher Sicht zu analysieren?
• Welche konzeptionell-mündlichen Strukturen und soziokulturellen Praktiken lassen sich in verschriftlichten Empathiedarstellungen analysieren?
• Wie können über einen literatur- und sprachhistorischen Vergleich Aussagen getroffen werden über den aktuellen Wandel der Kommunikation im human-digitalen Zusammenleben?
• Welche Rolle spielen KI und digital erzeugte Kommunikationsformen in der gegenwärtigen Literaturproduktion? Wie bilden sich Empathiedarstellungen hier ab? Wie kann dies narratologisch gefasst werden?
• Welchen Einfluss nimmt das Digital Age auf Sprache aus literatur- und sprachwissenschaftlicher Perspektive? Welche methodischen Konsequenzen ergeben sich daraus für Analysepraktiken beider Disziplinen?

Wir freuen uns über Vortragsvorschläge für unsere Sektion! Senden Sie hierfür per Email ein Exposé an:

schreibtechnologien2025@outlook.de

Das Exposé muss Ihre(n) Namen und Ihre Affiliation(en) sowie den Titel Ihres Beitrags enthalten und es kann maximal 4000 Zeichen, einschließlich Leerzeichen sowie bibliographischer und sonstiger Angaben, umfassen. Die Frist für die Einreichung eines Exposés ist der 31. Dezember 2024. Die definitive Zusage erfolgt spätestens bis zum 31. Januar 2025.

Kontaktadressen Sektionsleitung: gesine.hindemith@ilw.uni-stuttgart.de / mailyn.luebke@uni-osnabrueck.de / selina.seibel@ilw.uni-stuttgart.de

Auswahlbibliographie

Anz, Thomas: „Kulturtechniken der Emotionalisierung. Beobachtungen, Reflexionen und Vorschläge zur literaturwissenschaftlichen Gefühlsforschung“. In: Eibl, Karl; Mellmann, Katja; Zyrner, Rüdiger (Hg.): Im Rücken der Kulturen. Paderborn 2007.
Bauer, Nathalie: „Empathiedarstellungen und Normalisierung – Metapositionierungen mit ‚natürlich‘ und ‚klar‘ in onkologischen Aufklärungsgesprächen“. In: Bauer, Nathalie; Günthner, Susanne; Schopf, Juliane: Die kommunikative Konstruktion von Normalitäten in der Medizin: Gesprächsanalytische Perspektiven. Berlin/Boston 2024, 131-156.
Breger, Claudia; Breithaupt, Fritz: Empathie und Erzählung. Freiburg 2010.
Bustos Tovar, Jesús José de: „Lengua común y lengua del personaje en la transición del siglo XV al XVI“. In: Vian Herrero, Ana; Baranda Leturio, Consolación: El personaje literario y su lengua en el siglo XVI. Madrid 2006, 13-40.
Drescher, Martina: Sprachliche Affektivität. Darstellung emotionaler Beteiligung am Beispiel von Gesprächen aus dem Französischen. Tübingen 2003.
Dürscheid, Christa; Frick, Karina: Schreiben digital. Wie das Internet unsere Alltagskommunikation verändert. Stuttgart 2016.
Gnach, Aleksandra; Weber, Wibke; Engebretsen, Martin; Perrin, Daniel: Digital Communication and Media Linguistics. Cambridge 2023.
Heßler Martina (Hg.): Technikemotionen. Paderborn 2020.
Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hg.): Sprache und Empathie. Berlin/Boston 2020.
Keen, Suzanne: Empathy and the Novel. New York 2007.
Koch, Peter; Oesterreicher, Wulf: „Sprache der Nähe – Sprache der Distanz. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Spannungsfeld von Sprachtheorie und Sprachgeschichte“. In: Deutschmann, Olaf et al. (Hg.): Romanistisches Jahrbuch. Berlin/New York 1985, 15-43.
Koschorke, Albrecht: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts. München 2003.
Kupetz, Maxi: Empathie im Gespräch. Eine interaktionslinguistische Perspektive. Tübingen 2015.
— : „Sprachliche, interaktionale und kulturelle Aspekte von Empathie in sozialer Interaktion“, in: Jacob, Katharina; Konerding, Klaus-Peter; Liebert, Wolf-Andreas (Hg.) Sprache und Empathie. Berlin/Boston 2020, 141–173.
Malinowska, Anna; Gratzke, Michael: The Materiality of Love. Essays on Affection and Cultural Practice. London 2018.
Misselhorn, Catrin: Künstliche Intelligenz und Empathie. Von Leben mit Emotionserkennung, Sexrobotern & Co. Stuttgart 2021.
Nabi, Robin L.; Myrick, Jessica Gall (Hg.): Emotions in the Digital World. Exploring affective experience and expression in online interactions. New York 2023.
Ortner, Heike: Text und Emotion. Theorie, Methode und Anwendungsbeispiele emotionslinguistischer Textanalyse. Tübingen 2014.
Pfänder, Stefan; Gülich, Elisabeth: „Zur interaktiven Konstitution von Empathie im Gesprächsverlauf. Ein Beitrag aus Sicht der linguistischen Gesprächsforschung“. In: Breyer, Thiemo (Hg.): Grenzen der Empathie. Philosophische, psychologische und anthropologische Perspektiven. München 2013, 433–457.
Stauf, Renate; Simonis, Annette; Paulus, Jörg (Hg.): Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin/New York 2008.
Watzlawick, Paul: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. 11. Auflage. Bern 2007.

Beitrag von: Gesine Hindemith

Redaktion: Robert Hesselbach