Ankündigung und Call for Posters: Lexiko-Grammatik – Theoretische Grundlagen und praktische Relevanz (8. und 9. Mai 2025, Tübingen)
In der Sprachwissenschaft und in der Spracherwerbsforschung hat sich etwa seit den 1990er-Jahren eine neue Sicht auf Sprache bzw. auf den Spracherwerb durchgesetzt, welche die in der Tradition der strukturalistischen Grammatik stehende Trennung von Lexik und Grammatik dezidiert in Frage stellt und vielmehr von einem Kontinuum zwischen Lexik und Grammatik ausgeht. So rücken alle Arten von lexiko-grammatischen Konstruktionen ins Zentrum der Sprachbetrachtung und ’-beschreibung und werden fortan als das zentrale Prinzip von Sprache, Kommunikation und Spracherwerb angesehen (vgl. Kollokations-, Phraseologie-, formulaic-language-Forschung, Konstruktionsgrammatik usw.). Folgerichtig setzt sich in der Fremdsprachendidaktik zunehmend die Einsicht durch, dass erfolgreiches Fremdsprachenlernen in erheblichem Maße vom Erwerb von Spracheinheiten oberhalb der Einzelwortebene abhängt (vgl. Nattinger/DeCarrico 1992; Siepmann 2007; Handwerker/Madlener 2009; Rössler 2010; Bürgel 2021; Bürgel/Gévaudan/Siepmann 2021; Plikat 2024). Diese Erkenntnis manifestiert sich auf drei Ebenen:
1. Auf didaktisch-methodischer Ebene liegen eine Reihe von fremdsprachendidaktischen Ansätzen vor, die das Einzelwort als Lerneinheit ablösen und an dessen Stelle lexiko-grammatische Sprachgebilde setzen (vgl. lexical approach (Lewis 1993), Lexiko-Grammatik (Segermann 2006), Valenz-Chunks (Heringer 2007), Kommunikative Formate (Bürgel 2011 (a), (b)).
2. In der Lernerlexikologie werden in neuerer Zeit gebrauchsbasierte Lernwortschätze zu Mehrworteinheiten erarbeitet (Schmitt/Martinez 2012; Siepmann/Bürgel 2019; Fankhauser 2023) und in didaktische Materialien überführt (Bürgel 2017).
3. In der Lernergrammatikographie ist mit der „Grammatik des gesprochenen und geschriebenen Französisch“ (Siepmann 2018, 2019; Siepmann/Bürgel 2021, 2023, 2024, 2025 (i.V.)) eine umfassende lexiko-grammatische Beschreibung der französischen Sprache vorgelegt worden, die sich an fortgeschrittene Lerner des Französischen richtet.
Eine flächendenkende Implementierung des lexiko-grammatischen Ansatzes, insbesondere in der universitären und schulischen Lehrerbildung sowie in der Materialentwicklung, ist bislang jedoch ausgeblieben. Vielmehr zeigten und zeigen fest etablierte Traditionen, wie z. B. eine an grammatischer Progression ausgerichtete Unterrichtsplanung oder das Schreiben von Vokabeltests mit Einzelwortgleichungen (hierzu kritisch Kötter 2022: 27–30), erstaunliche Beharrenskräfte. Gleichzeitig herrschte in der einschlägigen Forschung, von den oben erwähnten Arbeiten abgesehen, gut zwei Jahrzehnte lang ein geradezu frappierendes Desinteresse an diesem für erfolgreiches Fremdsprachenlehren und -lernen entscheidenden Themenfeld (zusammenfassend Plikat 2020).
Mit der Aktualisierung der KMK-Bildungsstandards für die 1. Fremdsprache (KMK 2023) wird der linguistisch und fachdidaktisch bestens begründete Grundgedanke, Lexik und Grammatik nicht länger als getrennte Bereiche von Sprachen und damit auch des Sprachenlernens zu verstehen, nun jedoch erstmals bundesweit verbindlich bildungsadministrativ verankert. Wörtlich heißt es in den neuen Bildungsstandards: „Die Vermittlung und die Aneignung von Wortschatz im Sinne komplexer lexiko-grammatischer Einheiten sind mit Blick auf die funktionale kommunikative Kompetenz zentral.“ (ebd.: 18)
Dieser Ansatz ist in einzelnen Bundesländern bereits in Bildungspläne eingeflossen, andere werden in Kürze folgen. Damit stehen weiterhin stark verbreitete fremdsprachendidaktische Praktiken (wie z. B. schriftliche und mündliche Abfrage von Einzelwortpaaren, Publikation von Unterrichtsmaterialien ohne solide sprachwissenschaftliche Fundierung im Hinblick auf die zu lernenden sprachlichen Strukturen, Grammatikprogression als „heimlicher Lehrplan“ usw.) auf dem Prüfstand.
Multiplikatoren im universitären wie im schulpraktischen Kontext sind jedoch selbst oft nur oberflächlich mit den vielfältigen sprachlichen Phänomenen auf der Mehrwortebene (Kollokationen, Routineformeln, Sprichwörter, Phraseme etc.) vertraut, die es im Rahmen eines lexiko-grammatischen Ansatzes in den Blick zu nehmen gilt. Dies überrascht nicht, da sowohl die universitäre als auch die schulpraktische Ausbildung bislang meist dem strukturalistischen words-and-rules-Ansatz folgte. Hinzu kommt, dass das Themenfeld terminologisch teilweise unübersichtlich ist.
Es besteht somit ein dringender Bedarf daran, die linguistischen und fachdidaktischen Grundlagen der Lexiko-Grammatik im Hinblick auf ihre Relevanz für den Fremdsprachenunterricht zu erschließen und zu diskutieren. Ausgehend von Impulsvorträgen sollen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Veranstaltung die Gelegenheit erhalten, eigene Überzeugungen und subjektive Theorien zur Lexik und Grammatik zu reflektieren.
Das Programm des Symposiums besteht aus mehreren Vorträgen und Workshops zum Thema Lexiko-Grammatik. Weiterhin werden in einer Posterausstellung laufende Forschungsprojekte zum Themenfeld lexiko-grammatische Kompetenz präsentiert.
Nachwuchswissenschaftler sind aufgerufen, einschlägige Projekte zu allen Schulfremdsprachen inklusive DaF/DaZ im Rahmen einer Posterausstellung zu präsentieren. Zur Einreichung eines Posters beschreiben Sie seinen Inhalt mit 500–700 Wörtern und optional bis zu drei Abbildungen. Schicken Sie das Dokument bis zum 15. Februar 2025 als PDF an: sekretariat.didaktik@romanistik.uni-tuebingen.de
Sie erhalten bis zum 15. März eine Rückmeldung und ggf. weitere Informationen zum Posterausdruck. Die PDFs der ausgestellten Poster werden nach dem Symposium auf der Webseite des NLK veröffentlicht.
Weitere Informationen, u. a. zum Stand der Planung, finden Sie in Kürze auch auf der Homepage des NLK: https://uni-tuebingen.de/de/268464
Für eine Teilnahme ohne eigenen Beitrag melden Sie sich bitte bis zum 15. März 2025 per E-Mail verbindlich unter folgender E-Mail-Adresse an:
sekretariat.didaktik@romanistik.uni-tuebingen.de
Die Teilnahme ist kostenlos und steht allen Interessierten offen. Da die Zahl der Plätze begrenzt ist, wird eine frühzeitige Anmeldung empfohlen.
Beitrag von: Serena Bartali
Redaktion: Robert Hesselbach