Stadt: Wuppertal

Frist: 2025-02-28

Beginn: 2025-09-25

Ende: 2025-09-27

Nach dem Äquivalenzprinzip Jurij M. Lotmans beruhen Phänomene der Wiederholung auf einer Ähnlichkeit zweier oder mehrerer Elemente, die zwischen den Polen vollkommener Identität und vollkommener Differenz oszillieren, ohne die beiden Extrempunkte je zu erreichen. Diese ebenso basale wie wertneutrale Definition dient als Ausgangspunkt der geplanten Tagung, die anstrebt, Formen und Funktionen von Wiederholung im mittelalterlich-frühneuzeitlichen Erzählen zu beschreiben und damit ihrer Systematisierung und Typologisierung zuzuarbeiten.

Literarische Wiederholung wird bisweilen pejorativ als Symptom von Innovationslosigkeit, Redundanz oder Trivialität verstanden. Gerade mittelalterliches und frühneuzeitliches Erzählen ist in besonderem Maße von iterativem und repetitivem Erzählen geprägt und daher entsprechenden Wertungen ausgesetzt. Das ist insbesondere dann kritisch zu sehen, wenn daraus (implizit oder explizit) der Status eines ‚Noch-Nicht‘ der vormodernen Literatur im Kontrast zu Texten der Moderne abgeleitet wird. Erkenntnisleitender Gedanke unserer Tagung ist, dass mittelalterlich-frühneuzeitliches Erzählen diverse Formen von Wiederholung ausbildet und diese je unterschiedlich sinnstiftend funktionalisiert. ‚Wiederholung‘ ist damit ein Mittel des Erzählens unter anderen, das ohne Wertung zu analysieren ist. Daraus folgt die grundlegende Annahme, dass die Reflexion des Themenfelds ‚Wiederholung‘ in besonderer Weise zur Schärfung und Erweiterung des Instrumentariums einer historisch adäquaten Narratologie beitragen könnte, wie es aktuell in der Arbeitsgruppe ‚Erzählen im historischen Vergleich‘ in Wuppertal erarbeitet wird.

Die Omnipräsenz von Wiederholungen wird im Kontext mittelalterlich-frühneuzeitlichen Erzählens auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlicher Weise greifbar:

• Zuerst ist an die vielfältigen Wiederholungen innerhalb einer erzählten Handlung zu denken: Chrétiens Yvain wiederholt Calogrenants Brunnen-âventiure; Erecs Bewährungsweg ist gespickt mit Wiederholungen, die sein Scheitern aus unterschiedlichen Perspektiven präsent halten; in ‚Sir Gawain and the Green Knight‘ ist die Burgherren-Episode als steigernde Reihung von Gaben erzählt; Fortunatus’ Söhne wiederholen in einem genealogischen Neuansatz die Lebensfacetten ihres Vaters und die Protagonisten der Schelmenromane des 17. Jahrhunderts demonstrieren durch immer wieder gleiche Situationen und Konstellationen ihre Listigkeit.

• Im Zentrum der Tagung stehen außerdem Phänomene der Wiederholung innerhalb der Erzählerrede oder auch der Wiederholung zwischen Figuren- und Erzählerrede: So wird in den proleptischen Strophenausgängen des ‚Nibelungenlieds‘ wiederkehrend auf das verwiesen, was im Erzählverlauf erst noch eingelöst wird; in den ‚Canterbury Tales‘ überlagern Erzähler- und Figurenrede einander doppelnd; mit den Epimythien der Versnovellistik wird das Erzählte nachträglich neu beleuchtet und teils in abgewiesenen Alternativen noch einmal durchgespielt (so etwa in Strickers ‚Klugem Knecht‘).

• Im erweiterten Umfeld des Erkenntnisinteresses liegen Phänomene der Wiederholung über Einzeltext- und Gattungsgrenzen hinweg: Wolfram von Eschenbach lässt im ‚Parzival‘ explizit Hartmann von Aue sowie dessen Figuren auftreten, erweitert mit der Handlung um Jeschute und Orilus gleichsam das Erzähluniversum des ‚Erec‘ und inseriert mit den Sigune-Szenen zudem den Ausgangspunkt einer weiteren Textwelt, die bis hin zu Albrechts ‚Jüngerem Titurel‘ reicht. Don Quichote dagegen glaubt die Abenteuer der Ritter seiner gelesenen Romane zu wiederholen. Im Kontext der Wiederholung über Textgrenzen hinweg werden auch Gattungstransfers interessant: So wiederholt etwa Hans Sachs im dramatischen Modus, was bereits in den novellistischen Erzählungen eines Boccaccio bzw. Arigo vorliegt. Mit Rekurs auf Worstbrocks Begriff des ‚Wiedererzählens‘ ist außerdem die Wiederholung desselben Stoffes über Sprach- und Kulturgrenzen angesprochen (etwa für den ‚Roman de la Rose‘ oder den Fauststoff).

• Die vorgeschlagene Kategorien-Trias ist nicht abschließend gedacht. Anreihen ließen sich hier Überlegungen zu einer Theorie der Wiederholung dies- und jenseits der Lotman’schen Basisdefinition oder die Frage nach einer Pragmatik der Wiederholung, wie sie beispielsweise anhand der Formelhaftigkeit ahd. Zauber- und Segenssprüche (z.B. Dar nach. sprich. dri-stunt. Pater noster qui es celis) aufgeworfen wird. Zu denken wäre ebenso an mediale Wiederholungen, die sich beispielsweise durch das Zusammenspiel von Text und Bild in den Romanen Jörg Wickrams ergeben, oder an das Wiederholen von Wissensbestandteilen in polyhistorischen Schriften des 17. Jahrhunderts.

Trotz oder gerade wegen ihrer Omnipräsenz wurden Formen der Wiederholung zumeist punktuell und disparat behandelt. Ziel der Tagung ist es, dem bereits formulierten, aber bislang noch nicht eingelösten Desiderat (vgl. etwa Strohschneider 1997, S. 84f.) zu entsprechen, aus den Ergebnissen, die im Rahmen von Einzelfallstudien zu gewinnen sind, zu einer Beschreibung der Formen und Funktionen des Phänomens ‚Wiederholung‘ für die mittelalterliche und frühneuzeitliche Literatur zu gelangen. Die obige Sammlung deutet bereits an, dass sich die verschiedenen Ebenen und Aspekte von Wiederholung immer wieder überschneiden und wechselseitig bedingen; für eine den Texten und ihrer Poetik angemessene Typologie von Wiederholung bedeutet dies zugleich, dass sie diese Offenheit in adäquater Weise reflektieren muss.

Bitte senden Sie Abstracts (ca. 350 Wörter) für Vorträge von 30 Minuten sowie eine kurze biographische Notiz bis zum 28.02.2025 an aedl@uni-wuppertal.de. Die Tagung wird veranstaltet vom Arbeitsbereich Ältere deutsche Literatur im europäischen Kontext, Bergische Universität Wuppertal. Ansprechpartnerinnen bei Rückfragen sind Prof. Dr. Ursula Kocher, Nadine Jäger (njaeger@uni-wuppertal.de) und Christina Marinidis (marinidis@uni-wuppertal.de).

Beitrag von: Nadine Jäger

Redaktion: Robert Hesselbach