CfP: Artifizielle Emotionalität? Interdisziplinäre Perspektiven auf Emotionsforschung und Künstliche Intelligenz
Stadt: Frankfurt am Main
Frist: 2025-03-31
Beginn: 2025-05-16
Ende: 2025-05-17
URL: https://www.fachschaft-romanistikffm.de/arbeitsgruppe-kuenstliche-intelligenz/
Datum: 16.05.25-17.05.25
Wohlbekannt ist die Stelle, an der sich Pinocchio in einen wahrhaften Jungen verwandelt und keine bloße Holzpuppe mehr ist, so stammt sie doch aus der Feder des italienischen Geschichtenerzählers Carlo Collodis. Pinocchios Wunsch, ein Junge aus Fleisch und Blut zu werden, geht letztendlich in Erfüllung. Die Geschichte des Holzjungens diente als Vorlage für den 2001 veröffentlichten Film “A.I. – Artificial Intelligence”, bei dem Steven Spielberg Regie führte. Im Film wird die Geschichte des Roboterjungen David erzählt, der wie ein kleines Kind aussieht und in eine Familie kommt, deren Sohn nach einem schweren Unfall im Koma liegt. David wurde auf die Familienmutter ‚geprägt‘, sodass er ‚Emotionen‘ wie ‚Liebe‘ und ‚Schmerz‘ nachempfinden kann. Als Martin, der leibliche Sohn der Familie, aus dem Koma erwacht und es zu Problemen innerhalb des Familiengefüges kommt, wird David von seiner Mutter in einem Wald ausgesetzt. Auf der Suche nach der ‚blauen Fee‘, die ihn zu einem echten Jungen machen soll, muss David vielen Gefahren begegnen. Steven Spielberg spielt nicht nur auf pikareske Weise mit einer Märchenvorlage, sondern bettet sie in ein Science-Fiction-Szenario ein und konfrontiert sein Publikum mit einem menschenartigen Roboter, der fühlen und leiden kann.
Interdisziplinäre Forschungsrelevanz
Die Faszination für künstliche Wesen mit menschlichen Eigenschaften reicht weit über literarische Klassiker hinaus, findet ebenso in modernen Erzählformen ihren Ausdruck und wirft (ethische) Fragen zur Natur von Emotionalität und Künstlicher Intelligenz (KI) auf: Welche moralische Verantwortung tragen Menschen gegenüber einer Maschine, die Schmerz und Sehnsucht auszudrücken vermag? Diese Problematik ist nicht nur philosophisch relevant, sondern hat auch konkrete Auswirkungen auf die Praxis, etwa in der Medizin, wo KI-gestützte Pflegeroboter emotionale Bindungen zu PatientInnen aufbauen, oder in der Informatik und Pädagogik.
Theoretischer Hintergrund: Interdisziplinäre Emotionsforschung
Was sind Emotionen? Und wie können sie aus wissenschaftlicher Sicht beschreibbar gemacht werden? Diese beiden Fragen bilden den Kern der Emotionsforschung, die keinesfalls ein singuläres Feld einer einzelnen Disziplin ist, sondern über Fachgrenzen hinausreicht. Im Bereich der Neurowissenschaft widmen sich beispielsweise Adolphs & Anderson (2018) den Emotionen von unterschiedlichen Spezies, einschließlich dem Menschen selbst. In der Pädagogik rücken mit Arnold (2003) Emotionen in den Fokus, wenn von einer sogenannten ‚emotionalen Kompetenz‘ gesprochen wird. Für die Beschäftigung mit Literaturwissenschaft und Emotionen ist Siegmanns (2023) Dissertation zum Hass in der deutschen Gegenwartsliteratur exemplarisch zu nennen. Ebenso (körperliche) Folgen von Emotionalität wird in der literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung in den Blick genommen, wie der Sammelband von Jacobi/Lansen/Schönwälder (2024) mit Blick auf die Tränen in literarischen Texten zeigt. Ein literaturgeschichtlicher Ansatz wird bei Kann (2014) deutlich, indem er Emotionen im Mittelalter und Renaissance in den Fokus nimmt. Auch in der Sprachwissenschaft gibt es zahlreiche Ansätze zur Wahrnehmung von Emotionen, etwa im Sammelband von Ferrer & Ramond (2017). Wie breit das interdisziplinäre Feld wirklich ist, lässt sich hier nur exemplarisch andeuten. Natürlich gibt es weiterhin wissenschaftliche Ansätze, die einzelne Emotionen in den Fokus nehmen, der KI-Bezug ist aber weitestgehend noch unerforscht.
Zielsetzung der Tagung
Das Fehlen einer gemeinsamen Definition des Emotionsbegriffs führt in Neurowissenschaften und weiteren Disziplinen regelmäßig zu Missverständnissen und fruchtlosen Debatten (Mulligan & Scherer, 2012). Die Schwierigkeit einer Begriffsdefinition von Emotionen liegt darin, die verschiedenen disziplinären Verständnisse zu berücksichtigen. Schwierig wird es vor allem, wenn neuere Entwicklungen wie KI mitbedacht werden müssen. Diese Tagung setzt sich daher zum Ziel, einer ‚artifiziellen Emotionalität‘ nachzugehen und möchte sich interdisziplinär mit dem Themenkomplex KI und Emotionen auseinandersetzen. Wie lassen sich beispielsweise von Algorithmen generierte Texte bewerten, die menschliche Emotionen evozieren wollen? Und wie kann man die interdisziplinäre Emotionsforschung hinsichtlich dieses Themas nutzen?
Die Tagung, die nach der Vereinbarkeit des gängigen genuin menschlichen Emotionsbegriffs mit KI fragt, möchte hinsichtlich dessen folgende Themenschwerpunkte und Fragen eruieren:
Medizin und Ethik:
- Welche Bedeutung hat die Entwicklung von „emotional intelligenten Wesen“ im Kontext von Pflege?
- Welche methodologischen und ethischen Herausforderungen entstehen bei der automatisierten Emotionserkennung (z.B. in historischen Zeitzeugeninterviews, bei der Behandlung von kranken Menschen etc.)?
Didaktik und Pädagogik:
- Welche Bedeutung hat die Entwicklung von ‚emotional intelligenten Wesen‘ im Kontext von Bildung?
- Inwiefern kann KI bei der Diagnostik und Förderung von Lernstörungen dienlich sein?
Literaturwissenschaft, Musikwissenschaft und Kunstwissenschaft:
- Wie lassen sich von Algorithmen generierte Kunstwerke (Lieder, Texte, Bilder etc.) bewerten, die menschlichen Emotionen evozieren wollen?
- Welche Herausforderungen ergeben sich bei der computergestützten Erkennung von literarischen Emotionen, insbesondere im Hinblick auf Ironie, Mehrdeutigkeit und kulturelle Kontexte?
- Inwiefern kann eine KI ein „digitaler Homunculus“ sein, der vermeintlich Emotionen erkennt, ohne selbst zu fühlen? Welche erkenntnistheoretischen Konsequenzen ergeben sich daraus für die Literaturwissenschaft?
- Wie können KI-generierte Emotionen in literarischen Texten decodiert und bewertet werden?
Linguistik:
- Welche sprachlichen Mittel (Lexik, Syntax, Stil) nutzt KI, um Emotionen in Texten zu erzeugen, und wie unterscheiden sie sich von menschlicher Emotionssprache?
- Welche pragmatischen Herausforderungen ergeben sich bei der Nutzung von KI in emotionalen Kommunikationssituationen, beispielsweise in Dialogsystemen oder Chatbots?
Wir freuen uns daher über Vorschläge aus den aufgelisteten Disziplinen für Vorträge an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main! Abstracts für ca. 25-minütige Vorträge (mit anschließender 20-minütiger Diskussion) sollen bis zum 31.03.2025 an prahl@em.uni-frankfurt.de und p.albrecht@em.uni-frankfurt.de übermittelt werden. Die Entwürfe sollen nicht länger als eine Seite (TNR, Arial, Calibri, Schriftgröße:12, Zeilenabstand 1,5) sein. Beiträge von NachwuchswissenschaftlerInnen sind ausdrücklich erwünscht.
Verwendete Literatur
Adolphs, R., Anderson, D. (2018). The Neuroscience of Emotion: A New Synthesis. Princeton University Press.
Arnold, R. (2003). Emotionale Kompetenz: Theorien und Anwendung. Universitätsverlag Kaiserslautern.
Ferrer, V. & Ramond, C. (2017). La Langue des émotions. XVIe-XVIIIe siècle. Classiques Garnier.
Jacobi, C., Lansen, G., Schönwälder, L. (2024). Érotisme et esthétique des larmes. Erotik und Ästhetik der Tränen. De Gruyter.
Kann, C. (2014). Emotionen in Mittelalter und Renaissance. Düsseldorf University Press.
Mellmann, K. (2016): „Empirische Emotionsforschung“, In: Handbuch Literatur & Emotionen, M. von Koppenfels, Martin, C. Zumbusch (Hrsg.). De Gruyter, S. 158-175.
Mulligan, K., & Scherer, K. R. (2012). Toward a working definition of emotion. Emotion Review, 4(4), 345–357. https://doi.org/10.1177/1754073912445818
Rosen, C. (2010): Music and Sentiment. Yale University Press.
Perlovsky, L. (2017). Music, Passion, and Cognitive Function. London: Elsevier Academic Press.
Siegmann, P. (2023): Eine Poetik des Hasses. Negative Emotionalität und herabsetzendes Schreiben in der Gegenwartsliteratur. Springer.
Beitrag von: Simon Prahl
Redaktion: Ursula Winter