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Stadt: Passau

Frist: 2025-10-10

Beginn: 2026-06-26

Internationale Tagung / Colloque international / Coloquio internacional

Topografien des Asyls. Räumliche Dimensionen (trans)nationaler Asylpraktiken in der deutschen, französischen und spanischen Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts

26.–27. Juni 2026

Universität Passau

Das Asyl – verstanden als Zufluchtsort und als Geste der Aufnahme für Verfolgte und Schutzsuchende – stellt eine menschheitsgeschichtliche Konstante dar, die sich in unterschiedlichen rechtlichen, religiösen und räumlichen Kontexten manifestiert hat. Vor diesem historischen Hintergrund nimmt die Tagung in den Blick, wie literarische Texte aus Deutschland, Frankreich und Spanien des 20. und 21. Jahrhunderts Praktiken des Asyls und ihre räumlichen Dimensionen verhandeln und reflektieren.

In der Antike lässt sich erstmals eine archaische Form des Asylrechts nachweisen, die in sakralen Räumen wie Tempeln, Altären oder Mausoleen praktiziert wurde. Schutzsuchende stellten sich damit in die Obhut der Götter. Das Christentum übernahm diesen religiösen Charakter des Asyls und institutionalisierte ihn im Kirchenasyl, ohne jedoch auf seinen heidnischen Ursprung zu verweisen. Im Gegensatz zum modernen Asylrecht, das sich erst im Zuge der europäischen Nationalstaatenbildung etabliert hat, handelte es sich in der antiken Rechtspraxis in erster Linie um ein sogenanntes „Verbrecherasyl“. Es war eng mit dem Prinzip der Blutrache verknüpft und diente als temporärer Schutzraum für Personen, die das Gesetz bewusst oder unbewusst gebrochen hatten – nicht jedoch primär für politisch Verfolgte.

Ein roter Faden zieht sich jedoch von der Antike bis in das heutige, völkerrechtlich verankerte Asylrecht: Schutzsuchende wurden und werden nie bedingungslos aufgenommen. Zu jeder Zeit existierten klare Definitionen, wer Anspruch auf Schutz hatte und wer nicht. So ist auch das heutige europäische Asylrecht, das auf der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 basiert, eher als staatliche Duldung zu verstehen – und nicht, wie Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte suggeriert, als individuelles Recht, das einer geflüchteten Person zustehen würde. Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert zwar den völkerrechtlichen Flüchtlingsstatus und legt Schutzstandards für Geflüchtete fest, doch ein einklagbares Recht auf Asyl wird darin nicht verankert. Stattdessen beschränkt sich die Konvention im Wesentlichen auf einen Mindestschutz in Form des sogenannten non-refoulement-Prinzips nach Artikel 33, das die Abschiebung in Staaten verbietet, in denen Verfolgung droht.

Diese Abwesenheit des Rechtlichen im Asylrecht zeigt sich heute in einer doppelten Raumdimension: einerseits im exekutiven Entscheidungsraum, andererseits in den polizeilichen und sicherheitstechnischen Kontrollräumen. Schon in der Vergangenheit war der Asylbegriff intrinsisch mit räumlichen Dimensionen verknüpft. Stets stellte sich nämlich die Frage, an welchem Ort oder innerhalb welchen Territoriums sich die Beziehung zwischen den Ankommenden und den Aufnehmenden konkretisieren konnte.

Die Tagung widmet sich dieser Verflechtung von Asyl und Raum aus kulturtheoretischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive. Ausgehend vom Spatial Turn und von den Ansätzen der Critical Geography, der Feminist Geography und der Postcolonial Spatial Theory wird Raum als dynamische, sozial konstruierte Praxis verstanden. Vor diesem Hintergrund fragt die Tagung, wie literarische Texte aus Deutschland, Frankreich und Spanien des 20. und 21. Jahrhunderts Asylpraktiken räumlich verorten, institutionell materialisieren und ästhetisch reflektieren. Unter dem Konzept der ‚Topografien des Asyls‘ werden dabei Behördenräume, Lager, Grenz- und Transitorte ebenso in den Blick genommen wie private Zufluchtsräume. Die Untersuchung schließt insbesondere auch feministische und intersektionale Perspektiven ein, etwa im Hinblick auf geschlechtsspezifische Erfahrungen von Schutzsuchenden oder die (Nicht )Segregation in Asylunterkünften. Analysiert werden die ästhetischen Strategien, mit denen diese Räume literarisch dargestellt, symbolisch aufgeladen und kritisch hinterfragt werden.

Während Deutschland und Spanien im 20. Jahrhundert selbst zu Schauplätzen politischer Verfolgung und Vertreibung wurden, boten beide Länder im 21. Jahrhundert politisch Verfolgten Zuflucht. Frankreich hingegen gilt traditionell als Gastland und hat sich sowohl im 20. als auch im 21. Jahrhundert der Aufnahme politischer Flüchtlinge verpflichtet. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der literarischen Auseinandersetzung mit Asylpraktiken sichtbar zu machen und zugleich transnationale und transhistorische Muster und Überlagerungen aufzuzeigen. Dabei soll explizit der Asylbegriff in den Blick genommen werden, da in aktuellen Begriffsdebatten der Literaturforschung häufig der Exilbegriff privilegiert wird. Die Tagung möchte somit eine differenzierte Auseinandersetzung mit Asyl als eigenständigem analytischen Konzept fördern und seine räumlich-literarische Dimension stärker berücksichtigen.


Mögliche Fragestellungen für Beiträge:

1. Rechtliche und institutionelle Dimensionen:

• Welche Rechtsfiguren zirkulieren innerhalb der dargestellten Räume?
• Wie spiegeln die literarischen Räume das Verständnis von Recht und Asyl wider?
• Welche nationalen Besonderheiten zeigen sich in den literarischen Darstellungen von Asylpraktiken?

2. Räumliche Konfigurationen des Asyls:

• Wie werden Behördenräume, Lager, Grenzorte oder private Zufluchtsräume literarisch verortet und institutionell materialisiert?
• Welche Rolle spielt die räumliche Strukturierung für die Darstellung von Macht, Kontrolle und Schutz?
• Inwiefern beeinflussen Geschlecht, Herkunft, Alter oder andere soziale Differenzkategorien die räumliche Organisation von Asylunterkünften oder die Erfahrung von Zuflucht?

3. Literaturästhetische und erzähltechnische Perspektiven:

• Mit welchen literaturästhetischen und erzähltechnischen Mitteln werden Asylverfahren und ihre räumliche Verortung in Texten dargestellt?
• Wie werden symbolische Bedeutungen der Räume literarisch aufgeladen und kritisch reflektiert?
• Wie werden intersektionale Erfahrungen von Schutzsuchenden narrativ gestaltet?

4. Vergleichende Ansätze:

• Wie lassen sich nationale Asylpraktiken literarisch vergleichen und im transnationalen sowie transhistorischen Kontext analysieren?
• Inwiefern überlagern sich spezifische nationale Muster mit transnationalen Topografien und Erzählstrategien?

Beiträge können theoretische, literaturanalytische und vergleichende Perspektiven einnehmen. Die Tagung richtet sich insbesondere an Nachwuchswissenschaftler:innen in der Endphase der Promotion oder in der Postdoc-Phase, die sich mit den Schnittstellen von Literatur, Raum und Asylpraxis beschäftigen.

Organisation: Prof. Dr. Marina Ortrud Hertrampf (Universität Passau), Prof. Dr. Emmanuelle Terrones (Université de Tours) und Dr. Theresa Wagner (Universität Passau)

Bitte senden Sie Ihre Beitragsvorschläge (ca. 400 Wörter) sowie eine Biobibliografie bis zum 10. Oktober 2025 an Marina Ortrud Hertrampf (marina.hertrampf@uni-passau.de), Emmanuelle Terrones (emmanuelle.terrones@univ-tours.fr) und Theresa Wagner (wagne328@ads.uni-passau.de).

Die Publikation der Tagungsakten ist geplant.

Vortragssprachen sind Deutsch, Französisch und Spanisch. Deren zumindest passive Beherrschung wird vorausgesetzt.

Bibliografie

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Bischoff, Doerte/Susanne Komfort-Hein (Hrsg.): Literatur und Exil. Neue Perspektiven, Berlin/Boston, De Gruyter 2013.

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Beitrag von: Theresa Wagner

Redaktion: Robert Hesselbach