Stadt: Paderborn

Frist: 2015-07-15

Beginn: 2015-12-03

Ende: 2015-12-03

Universität Paderborn, 3. Dezember 2015

Roland Barthes, dessen Geburtstag sich dieses Jahr am 12. November zum 100. Mal jährt, ist gegenwärtig vor allem als Kultursemiotiker und Texttheoretiker bekannt. Seine Studien zu den Mythen des Alltags, den Elementen der Semiologie oder zur Sprache der Mode gelten als Klassiker einer Kulturwissenschaft, die sich der poststrukturalistischen Zeichentheorie ver-bunden sieht. Parallel dazu werden Barthes’ Fragmente einer Sprache der Liebe und Die helle Kammer als Grundlegungen einer mediologisch forschenden Kulturwissenschaft angesehen, die nach dem Verhältnis von Subjekt, Rhetorik und Diskurs genauso fragt wie nach dem Ver-hältnis von Medium, Erfahrung und Subjekt. Demgegenüber werden Barthes’ literaturwissen-schaftliche Arbeiten, die seit den Studien zum Nullpunkt der Literatur seine Wirkung begrün-deten, heute eher aus historischer Perspektive betrachtet, zumal seine Überlegungen zum Tod des Autors oder zum Text als Ausdruck der intellektuellen Situation um 1970 im Kontext von Tel Quel gelesen werden. Bemerkenswerte Ausnahmen bilden in diesem Zusammenhang Barthes’ Studien zum Theater, die 2015 gesammelt publiziert wurden, und seine Vorlesungen zur Vorbereitung des Romans, die im Zuge einer neuen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für den Form-Begriff verstärkt rezipiert werden.

Der Paderborner Workshop möchte vor diesem Hintergrund die Aufmerksamkeit auf Roland Barthes’ Reflexionen des Verhältnisses von Gattung und Subjekt lenken, was bisher allenfalls im Hinblick auf einzelne Genres wie dem autobiographischen Schreiben getan wurde. Die Veranstalter gehen von der Beobachtung aus, dass nicht erst in Barthes’ Vorlesungen am Col-lège de France, insbesondere in Das Neutrum und in Die Vorbereitung des Romans, sondern schon in den in den 50er und 60er Jahren erschienenen Essays über Kunst und Literatur das Verhältnis von Subjekt und Gattung in einer ganz besonderen Weise gedacht wird. Denn Barthes geht es nicht um eine theoretische Analyse von Gattungen, vielmehr interessiert er sich für den Prozess ihrer Anfertigung, um eine Art Rückkoppelung der Gattung an das Leben im Sinne eines Lebenswerks. Hierbei gerät die Spannung zwischen dem, was Barthes das Re-ale (effet de réel) oder auch Objektivität nennt, die Materialität des Geschriebenen mit dem, was er als „Imaginarium“ bezeichnet, einen inszenatorischen, theatralen Entwurf des schrei-benden Subjekts, in den Blick. Das Subjekt Barthes’ ist folglich ein zerstreutes Subjekt, das die Frage aufwirft, wie, in welcher Form es sich abbilden lässt.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass Barthes in den bereits genannten Texten, aber auch in zahlreichen anderen eine Vielzahl von Genres und Gattungen untersucht, die im Rahmen des Workshops zur Sprache kommen sollen: den Aphorismus, den Roman, die Autobiographie, das Haiku als kleine Form, die Lyrik, die Geschichtsschreibung und das Theater, um von hier aus das Verhältnis von Genre und Subjekt zu beleuchten. Dabei geht er von einer formalen Dynamik der Gattungen und Genres aus, die in hohem Maße auf Modifikation, Transformati-on und Performanz angelegt ist, so dass es zu historisch spezifischen Konfigurationen von Gattung und Subjekt kommt, was sich etwa an der Gegenüberstellung des Theaters von Raci-ne mit demjenigen von Brecht zeigen lässt, oder an gedanklichen Konstellationen, die das Romanschreiben eines Flaubert, eines Proust oder eines Robbe-Grillet als moderne Formen des Romanschreibens vergleichbar erscheinen lassen.

Dieser Überlegung folgend zielt der Workshop darauf ab, Roland Barthes Reflexionen von Gattung und Subjekt näher zu befragen: Inwiefern übernehmen literarische Genres und Gat-tungen für Barthes die Funktion, Formen der Subjektivität hervorzubringen? Inwiefern konsti-tuiert sich Subjektivität abhängig von der literarischen Form, die der Schreibende hervor-bringt? Welchen Stellenwert besitzen die historischen Diskontinuitäten, aber auch die histori-schen Kontinuitäten, die Barthes zwischen Gattungen und Genres herstellt, um einerseits ihre historisch differenten Ausprägungen zu profilieren, um andererseits aber auch Schreibweisen geltend zu machen, die in einem überhistorischen Sinn an die unmittelbare Erfahrung des Le-bens angebunden sind? Erfordert Barthes’ Postulat, das Subjekt ständig neu schreiben zu müssen, die Wahl bestimmter literarischer Formen und Formate? Wie verändern diese sich wiederum unter dem Eindruck, der Lesbarkeit des Lebens gleichsam inszenatorisch Kulissen und Rollen zuweisen zu können?

Um diese Überlegungen an einigen Beispielen deutlich zu machen, die zugleich mögliche Vortragsthemen benennen: Der sogenannte ‚Objektivismus’ von Robbe-Grillets Romanen in den Essais critiques schließt ein starkes Subjekt aus der Erzählung aus, da dieses weder den zeitgenössischen Methoden der literaturwissenschaftlichen Analyse entspricht noch einen Sitz im realen Leben hat, wie dies noch von Sartres Romanen, insbesondere von La Nausée, pro-klamiert wurde. Der ‚homme racinien’ wiederum ist in Sur Racine eine doppeldeutige Figur, da er sowohl eine anthropologisch basierte Beschreibung des Figurenpersonals von Racines Tragödien ermöglicht als auch eine Analyse der historischen Gesellschaftsstruktur, in die Ra-cines Tragödien eingebunden waren. Er ist folglich zugleich Subjekt der Handlung und Sub-jekt, mithin Unterworfener seiner Gesellschaft. Wir möchten mit diesen Impulsen dazu einla-den, über die genannten Beispiele hinaus andere paradigmatische Studien von Roland Barthes über Autoren und Werke hinsichtlich ihrer Verhältnisbestimmung von Gattung, Genre und Subjekt zu befragen.

Organisation:

Prof. Claudia Öhlschläger / Prof. Jörn Steigerwald
Vergleichende Literatur und Kulturwissenschaft
Universität Paderborn

Bitten senden Sie Ihre Vortragsvorschläge (Titel und einseitiges Abstract) – gerne auch per Mail – bis zum 15. Juli an folgende Adresse:

Prof. Jörn Steigerwald
Vergleichende Literatur und Kulturwissenschaft
Universität Paderborn
33098 Paderborn
joern.steigerwald@upb.de

Beitrag von: Jörn Steigerwald

Redaktion: Christof Schöch