Stadt: Mainz

Frist: 2017-08-30

Beginn: 2018-03-01

Ende: 2018-03-03

URL: http://www.italianistenverband.de/italianistentag/mainz-2018

Deutscher Italianistenverband – Fachverband Italienisch in Wissenschaft und Unterricht
Italianistentag Mainz, 1. – 3. März 2018

Der kommende Italianistentag wird vom 1. bis 3. März 2018 an der Universität Mainz unter dem Rahmenthema “Ibridità e norma – Norm und Hybridität” stattfinden.

Ibridità e norma – Norm und Hybridität

Ausgehend von Eugenio Coserius Bestimmung von Sprache einer „Tätigkeit, die unter Befolgung historisch vorgegebener Normen individuell ausgeübt wird“ lassen sich auf der historischen Ebene Sprachnormen einerseits und Diskursnormen andererseits unterscheiden: Erstere betreffen Aspekte auf den verschiedenen Ebenen der einzelsprachlichen Strukturierung, letztere den diskurstraditionellen Bereich bzw. Textsorten, Gattungen, Stile usw. Beide Bereiche sind dem historischen Wandel unterworfen, d.h. historische Einzelsprachen verändern sich ebenso wie Diskurstraditionen, wobei die beiden Bereichen innewohnende Historizität als stetiger Ausgleichsprozess zwischen dem sprachlichen Universale der Alterität einerseits und dem der Kreativität andererseits verstanden werden kann: Kommunikation bedarf einerseits einer gewissen Stabilität und Systematizität im Bereich ihrer Mittel, andererseits aber führen veränderte oder neue Ausdrucks- oder Kommunikationsbedürfnisse bzw. situationen auch zu Innovationen im einen und/oder im anderen Bereich. So kennt beispielsweise die antike Rhetorik Kategorien wie auctoritas oder consuetudo als normative Orientierungspunkte und entwickelt im Zeitablauf eine höchst elaborierte Stil bzw. Gattungssystematik, doch schon Augustinus distanziert sich davon mit seinem bekannten „melius est reprehendant nos grammatici, quam non intellegant populi” (In psalm. 138, 20). Den virtutes elocutionis der antiken Rhetorik, darunter insbesondere die puritas/latinitas, stehen insoweit die vitia elocutionis als „deren schattenhaft begleitendes Negativbild“ (Konrad Ehlich) gegenüber, zu denen unter dem Oberbegriff der impuritas bekanntlich barbarismus, barbarolexis und soloecismus gehören, die auf Formen des Sprachkontakts und dessen Wahrnehmung als ‚Verunreinigung‘ verweisen.

Erst in vergleichsweise jüngerer Zeit hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass es im Bereich der historischen Einzelsprachen bzw. Diskurstraditionen nicht um die Frage ‚Reinheit oder Mischung‘ gehen kann, sondern vielmehr um diejenige nach den Auswirkungen von ‚Kontaktsituationen‘ gehen muss, um dem komplexen Zusammenspiel von Stabilität und Innovation und den sich aus diesem Zusammenspiel ergebenden, mehr oder weniger nachhaltigen Wandelprozessen analytisch gerecht werden zu können – Wandelprozesse, die u.U. so weit gehen können, dass Hybridität selbst zum ikonischen Ausdruck veränderter kultureller und/oder sozialer Konstellationen, Praktiken und Wirklichkeitsentwürfe – und damit zur Norm? – wird.

Auch in ihrer aktuellen, dezidiert(er) kulturwissenschaftlichen Lesart haben die Begriffe ‚Hybridisierung‘ bzw. ‚Hybridität‘ ihren Ursprung in der Betrachtung von Sprachlichem: M. Bachtin versteht Hybridisierung zunächst als „die Vermischung zweier sozialer Sprachen innerhalb einer einzigen Äußerung, das Aufeinandertreffen zweier verschiedener, durch die Epoche oder die soziale Differenzierung […] geschiedener sprachlicher Bewußtseine in der Arena dieser Äußerung“, und verweist dann darauf, „daß sich die Sprache und die Sprachen hauptsächlich durch Hybridisierung und Vermischung verschiedener ‚Sprachen‘ verändern, die […] innerhalb eines einzigen Dialekts, einer Nationalsprache, eines Zweiges, einer Gruppe verschiedener Zweige und verschiedener Gruppen koexistieren“ (Das Wort im Roman). Das Wort erweist sich somit als privilegierter Ausdrucksort sozialer, politischer, kultureller und ästhetischer Spannungen, Wandlungen bzw. Versöhnungsprozesse, die sich als Gegenstand von Untersuchungen sowohl aus genuin sprach- und literaturwissenschaftlicher als auch aus kulturwissenschaftlicher Sicht anbieten und ebenso auch als Ausgangspunkt von Reflexionen im Bereich der Fachdidaktik dienen können. Denn wenn man mit Juri M. Lotman zwischen primären semiotischen Systemen (Sprachen) und sekundären semiotischen Systemen (Literaturen, Künsten und Kulturen) unterscheidet, tragen Hybridisierungsprozesse in beiden Bereichen zum historischen Wandel bei und erweisen sich als bedeutende Impulsgeber grundlegender Dynamiken innerhalb des jeweiligen modellbildenden Systems.

Im Mittelpunkt der Tagung steht insofern die Erforschung der Dynamiken, die durch Hybridität einen Normverstoß provozieren bzw. eine Wiederaufnahme hybrider Ergebnisse in ein Normsystem regeln und die in ihren spezifischen Merkmalen in den jeweiligen Sektionen untersucht und erörtert werden.

Sektion Literaturwissenschaft

Leitung: Barbara Kuhn (Eichstätt), Dietrich Scholler (Mainz)

Der Begriff der Norm spielt in der Literaturwissenschaft v.a. in Bezug auf Gattungen eine wichtige Rolle. Gemäß einer an dieser Stelle für heuristische Zwecke gewollt groben Vereinfachung lässt sich die Literaturgeschichte zunächst in zwei distinkte Zeiträume einteilen, die durch ein unterschiedliches Verständnis von Normen und Regeln bestimmt werden: Von der Antike bis in das 18. Jahrhundert ist die Orientierung an Normen in der literarischen Praxis von eminenter Bedeutung. Dabei koexistieren tradierte antike Normen mit solchen, die sich in der Frühen Neuzeit herausgebildet haben. So etwa steht die Dreistillehre weiterhin in hohem Ansehen, die aristotelische Poetik wird seit ihrer Wiederentdeckung zum – freilich in neuen Kontexten immer wieder neu und anders interpretierten – Leitfaden für Tragödienautoren, und in der italienischen Renaissance entwickelt sich eine unübersehbare Tendenz zur Normierung von neuzeitlichen Gattungen, Werken und Autoren. Man denke nur an die Nor­mierungs­be­stre­bun­gen Pietro Bembos, der die mustergültige Varietät der modernen italienischen Volkssprache aus den Werken der Autoren Boccaccio und Petrarca ableitet und letztere damit zur Norm für volkssprachliche Prosa und Lyrik erklärt. Neben die antike Kultur tritt also eine zweite normative Kultur, die mit der ersten verbunden bleibt und doch genuin neuzeitlich ist.

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts verlieren Normen und Regeln in vielen Bereichen tendenziell ihre Bedeutung für die literarische Produktion. Während wir es bis dahin oft eher mit Normwandel zu tun hatten, der in einer Vielzahl von Fällen als Hybridisierungprozess beschrieben werden kann, aber gleichwohl in die Inthronisierung neuer Normen mündete, verlieren normative Regelpoetiken an Gewicht und spielen höchstens noch im Rhe­to­rik­unter­richt an Schulen und Universitäten eine Rolle. Denn in der Moderne bricht sich, gekoppelt mit einer neuen Konzeption von Subjekt und Subjektivität, ein Verständnis von Mimesis Bahn, das sich bei der Gestaltung der verba weniger an rhetorischen Tugenden als vielmehr an der subjektiven Ausdrucksästhetik des einzigartigen literarischen Genies orientiert. Dieser durch die Romantik eingeleitete Paradigmenwechsel verstärkt sich im Laufe der Moderne dergestalt, dass schließlich die Negation der Norm an und für sich als erstrebenswert gilt: Man denke etwa an Foscolos epistolarische Ästhetik der Unmittelbarkeit, an Leopardis Revolutionierung der Lyrik oder an die notorische Zerstörungswut der Futuristen, aber beispielsweise auch an Gegenwartsautoren, die im Horizont transkulturellen bzw. postkolonialen Schreibens Abschied nehmen von alten, national-eurozentrischen Gewissheiten. Letztere stellen nicht nur die überlieferten Normen, Autoren und Werke, sondern die gesamte westliche Kultur in Frage. Dementsprechend soll es in unserer Sektion auch um soziale und kulturelle Normen gehen, deren Gültigkeitsansprüche in einem Hybriddiskurs wie dem der Literatur im tentativen Probehandeln durchgespielt werden können, denen aber auf diese Weise auch geradezu mitgespielt werden kann, so dass die mit der Normativität einhergehende, für selbstverständlich erachtete, vermeintliche Normalität eben diese Selbstverständlichkeit einbüßt.

In diesem Sinne lassen sich quer zur oben angesprochenen heuristischen Zweiteilung eines scheinbar linear verlaufenden Prozesses und gegen die mit ihm suggerierte Teleologie in nahezu allen Epochen Phasen oder Bestrebungen erkennen, die sich nicht in Begriffen von Respektierung versus Durchbrechung einer Norm fassen lassen, sondern diese gerade unterlaufen, indem sie solcher Polarität anderes entgegensetzen. Gegenüber der binären Begriffsopposition ‚Norm – Normverstoß‘ umreißt der Begriff Hybridität einen dritten Raum, in dem der Normverstoß nicht länger das kontradiktorische Gegenteil der Norm darstellt. Im Gegenteil, Hybridität steht für Mischformen, nämlich für solche Artefakte, in denen auf der einen Seite die tradierte Norm noch durchscheint, die aber auf der anderen Seite etwas Neuartiges aufweisen, das seinen Grund in der Erweiterung oder Transformation der geltenden Norm hat. Hybridität steht aber auch und zugleich für eine Infragestellung der Norm, die über bloße Relativierung und Pluralisierung hinausgeht. Beispiele für derartige Hybridisierungs­prozesse reichen von Ariostos Weiterentwicklung des Epos oder der Neuentwicklung des romanzo über Marinos konzeptistische Überspitzungen der tradierten rinascimentalen Bukolik, Lyrik und Epik, über die Französisierung der Pariser Comédie Italienne und Goldonis wie Gozzis zeitgenössischer und geradezu gegensätzlicher Transformation der Commedia dell’Arte bis hin zur Verschmelzung von französischer, deutscher und italienischer Kultur in den Libretti Giuseppe Verdis. Im Bereich der Erzählliteratur reicht das bis zur Problematisierung und Auflösung des Erzählens im modernen und postmodernen Roman bzw. zu seiner Hybridisierung in Gestalt der Dokufiktion, des Intermediums, der Hyperfiction oder auch der vielfältigen Formen autobiographischen Schreibens.
Das Ziel der literaturwissenschaftlichen Sektionsarbeit wird darin bestehen, das trianguläre Verhältnis zwischen Normen, Normverstößen und Prozessen der Hybridisierung im je unterschiedlichen historischen Kontext zu bestimmen. Zum einen erhoffen wir uns dabei Aufklärung anhand einzelner literarischer Fallbeispiele und zum anderen Erkenntnisse über die Dynamiken distinkter Epochen, die im Kontinuum des genannten Begriffsdreiecks unterschiedlich skaliert werden müssen und dementsprechend neu zu bewerten sind.

Sektion Kulturwissenschaft

Leitung: Christian Rivoletti (Erlangen-Nürnberg), Julia Brühne (Mainz), Vanessa Schlüter (Mainz)

In welchem Verhältnis stehen kulturelle Normen und künstlerische Hybridität? In Abgrenzung zum gängigen Hybriditätsbegriff der Postcolonial Studies als allgemeine kulturelle Kategorie oder gemischte kulturelle Praxen bezeichnet Hybridität hier gemischte oder heterogene Formen von Kunst in der italienischen Kultur und Gesellschaft. Es stellt sich die Frage, wie Normen anhand dieser hybriden Formen verhandelt werden. Norm ist dabei sowohl formal als Genregrenze zu verstehen als auch in gesellschaftlicher oder politischer Hinsicht definierbar. Im Mittelpunkt der Sektion stehen die Analyse der dynamischen Prozesse, die zur Entstehung hybrider Formen führen, sowie die Untersuchung der damit generierten Normenwandlung, die sich durch die Infragestellung der bereits existierenden, normorientierten Systeme und die Bildung von neuen Modellen, Werten und Normen vollzieht. Aus welchen Gründen entstehen Mischformen in den unterschiedlichen künstlerischen Bereichen? Wann werden die bereits vorhandenen Formen als nicht mehr geeignet für den Ausdruck der jeweils aktuellen Ansprüche oder Bedürfnisse gesehen? Welche Dynamik entsteht zwischen den Formen, die vermischt werden? Von besonderem Interesse ist hierbei auch der Umschlag potentiell sujethafter, revolutionärer Hybridität in akzeptierte Norm: Wann wird Hybridität gleichsam zur Norm erhoben und somit modellhaft und konform?

In der Sektion sollen Hybridisierungsprozesse in den verschiedenen Bereichen und Epochen der italienischen Kulturgeschichte untersucht werden, wie z.B. die Entstehung von Mischformen sowie Wandlungen von sozialen, philosophischen und ästhetischen Normen in der für die Renaissance charakteristischen Dialektik von alt und neu; die Interaktion von Text und Bild; die Mischformen in den Bildenden Künsten und der Musik; die hybriden Schreibformen der Gegenwartsnarrativik, in der traditionelle literarische Formen mit journalistischer Reportage, Interviews, dokumentarischen Materialien etc. kombiniert bzw. ergänzt werden; die Mischformen im Bereich der audiovisuellen Medien. Besondere Berücksichtigung soll dabei die politische oder gesellschaftliche Funktion der jeweiligen Normverletzung durch Hybridität bzw. der Absorption von Hybridität durch Normierung finden. Darüber hinaus soll der historischen Entfaltung der Relation zwischen Hybridisierung der Formen und Darstellung der historischen bzw. aktuellen Wirklichkeit besondere Aufmerksamkeit gelten und der Frage nachgegangen werden, wie hybride Formen zur Repräsentation problematischer Bereiche der Realität beitragen können. Mögliche Themenbereiche können insofern sein:

  • Hybridisierungen, die mit den kulturhistorischen Wandlungen vom Mittelalter über die Renaissance bis zur Aufklärung verbunden sind: Dabei werden Mischformen oder hybride Gattungen aus einer kulturwissenschaftlichen Sicht berücksichtigt, die im Kontext der Verschränkungen von Alt und Neu unter Einfluss von literarischen sowie außerliterarischen Faktoren entstehen (z.B. Phänomene wie die Spannung zwischen der „regelkonformen“, klassisch-epischen Tradition und dem Aufkommen des romanzo in der italienischen Renaissance als Zeichen einer neuen Weltauffassung sowie einer innovativen Art, sich zur historischen Vergangenheit bzw. zur aktuellen problematischen Realität in Beziehung zu setzen, und die damit verbundene theoretische und ästhetische Reflexion; Ludovico Ariosto: Orlando furioso; Gian Giorgio Trissino: L’Italia liberata dai Goti; Torquato Tasso: La Gerusalemme liberata; das poema eroicomico im 17. und 18. Jh. etc.), aber auch Phänomene wie die Dialektik zwischen alten und neuen Formen im philosophischen, kunsttheoretischen oder allgemein expositorischen Bereich;
  • hybride Formen, die aus der Interaktion von Text und Bild entstehen: Funktion der Inschriften in Fresken oder allgemein der Malerei; visuelle Interpretationen von literarischen Texten; bebilderte Werke vom Zeitalter des Buchdrucks bis hin zu Comics;
  • hybride Schreib-/Kunstformen der italienischen Narrativik der Moderne, Postmoderne und der Gegenwart in ihren unterschiedlichen medialen Kontexten sowie die Erörterung der damit eng verbundenen kulturhistorischen Faktoren. Dabei wird der dynamischen Relation zwischen Hybridisierung der Formen und Darstellung der problematischen Aspekte der Wirklichkeit (z.B. Krieg, Kriminalität, soziale Spannungen, Arbeit, Migration etc.) besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Mögliche Themenkonstellationen sind hier: die Formen, die aus der Mischung von Roman und Historiographie im 19. Jh. entstehen und die damit verbundene moralische, religiöse und ästhetische Reflexion zur Anwendung der Fiktion für die Darstellung von historischen Ereignissen; der filmische Neorealismus als hybride Mischung aus ‘Realität’ und poetischer Sprachfunktion, Photographie; die für die Gegenwart charakteristische Mischung von Autobiographie und Fiktion (autofiction: Walter Siti: Troppi paradisi), von fiction und non fiction (Antonio Franchini: L’abusivo), von Roman, Reportage oder weiteren Schreibformen (non fiction novel, narrazione documentale: Primo Levi: Se questo è un uomo und La tregua; Sandro Veronesi: Occhio per Occhio und Cronache italiane; Vincenzo Cerami: Fattacci; Edoardo Albinati: Maggio selvaggio; Roberto Saviano: Gomorra; Fabio Geda: Nel mare ci sono i coccodrilli; Giulio Milani: La terra bianca);
  • aktuelle hybride Formen des Audiovisuellen wie Dokufiktion (Ettore Scola: Trevico-Torino – Viaggio nel Fiat-Nam; Gianfranco Rosi: Fuocammare), Youtube-Videos, Reality-TV, ‘Mitmachfernsehen’ (Twitter/Liveabstimmung) und Werbefilm.

Sektion Sprachwissenschaft

Leitung: Sarah Dessì Schmid (Tübingen), Ludwig Fesenmeier (Erlangen), Antje Lobin (Mainz)

Eine linguistische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Hybridität und Norm muss bei der Klärung zweier zentraler Aspekte ansetzen: Zunächst ist auf das grundsätzliche Definitionsproblem zu verweisen, aus dem sich auch unmittelbar ergibt, warum die Rede von ‚Norm(en)‘ – und Abweichungen davon – zur Beschäftigung mit ganz unterschiedlichen Epochen und Phänomenen führen kann. Insbesondere lassen sich zwei Norm-Begriffe unterscheiden, die sich aus einer grundlegenden Dichotomie ergeben:

a) Zum einen nimmt „Norm“ Bezug auf ein System von Regeln, die fixieren und vorschreiben, was aus den verschiedenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten mit Blick auf ein bestimmtes ästhetisches oder soziokulturelles Ideal auszuwählen ist. ‚Norm‘ in diesem Sinne ist zu verstehen als ‚präskriptive Grammatik‘, als das, was den korrekten und ‚reinen‘ Sprachgebrauch bestimmt und letzteren von anderen – hybriden – Ausdrucksoptionen unterscheidet, die dadurch zu Abweichungen werden und insoweit stigmatisiert werden (können).

b) Zum anderen kann „Norm“ auch auf das Bezug nehmen, was in einer bestimmten Sprachgemeinschaft gängiger, allgemeiner und mithin „normaler“ Sprachgebrauch ist und sich insoweit von den „nicht-allgemeinen“, „nicht-norm. alen“ Gebrauchsmöglichkeiten unterscheidet. In dieser deskriptiven Lesart erscheint die sprachliche Norm als eine soziale Institution, so dass sich „Hybrides“ nun als Abweichung vom allgemein Üblichen, „Normalen“ darstellt und nach den (mehr oder weniger sprachinternen) Gründen hierfür zu fragen ist.

Der zweite zentrale Aspekt betrifft die substantielle Zusammengehörigkeit und das dialektische Verhältnis der beiden Begriffe ‚Norm‘ und ‚Hybridität‘, deren jeweilige Bestimmung und Diskussion immer auf den jeweils anderen verweist bzw. angewiesen ist: Nur in Bezug auf eine sprachliche Norm lässt sich sprachliche Hybridität bestimmen, und als hybrid erscheint das, was sich von einem präskriptiven oder deskriptiven sprachlichen Referenzpunkt unterscheidet.

Die Auseinandersetzung mit den möglichen Lesarten und Verwendungskontexten, in denen Norm und Hybridität anzutreffen sind, erscheint nicht zuletzt deshalb von besonderem Reiz, weil sie Anlass gibt, sich mit ihr auf den verschiedensten Ebenen der sprachwissenschaftlichen Reflexion auseinanderzusetzen, u.a. der internen und externen Sprachgeschichte (1), der theoretischen Modellierung von Standardisierungsprozessen (2), des Sprachsystems (3) und der Sprachvariation (4). Insoweit soll es in der sprachwissenschaftlichen Sektion also um die Analyse und Diskussion der vielfältigen und vielgestaltigen Phänomene und Prozesse gehen, die in der aktuellen Forschung mit den Themenbereichen ‚Norm‘ und ‚Hybridität‘ in synchroner wie diachroner Perspektive verbunden sind.

Als Anregung können die folgenden möglichen Themenbereiche dienen:

(1) Historische Reflexionsebene:

  • Phänomene des Sprachkontakts in der Sprachgeschichte Italiens
  • Norm und Hybridität in der Questione della lingua (Autoren, Werke, Sprachmodelle; Normwandel bei einzelnen Autoren; die Rolle der Accademia della Crusca);
  • Norm, Normierung und Hybridität in Grammatiko- und Lexikographie
  • Prozesse der Grammatikalisierung und Reanalyse als Normwandel

(2) Standardisierungsprozesse:

  • Vergleich und Diskussion von Modellen der Sprachnormierung (auch in historischer Perspektive)
  • sprachliche Hybridität in Standardisierungsprozessen (sprachliche und soziale Bedingungen, homo-/heterogene Sprechergemeinschaften)
  • Norm und Hybridität bei der Entstehung und Entwicklung von Diskurstraditionen
  • Norm und Hybridität im Spannungsfeld zwischen Nähe- und Distanzsprache
  • Modelle der Restandardisierung/Destandardisierung
  • linguistisch vs. politisch motivierte Normdiskussionen

(3) sprachsystematische Aspekte:

  • Hybridität und kategoriale Abgrenzung bei der Analyse sprachlicher Phänomene
  • Norm und Hybridität in der Wortbildung
  • Hybridität und Polysemie
  • Phänomene sprachlicher Konvergenz als Hybridität?

(4) Variationslinguistik:

  • sprachliche Phänomene und Prozesse im Spannungsfeld unterschiedlicher Normen
  • Verhältnis zwischen Sprache(n), Dialekt(en) und Gesellschaft(en) (italiani regionali, italiano dei semicolti, Jugendsprache usw.)
  • Hybridität und Norm in italienischen Varietäten außerhalb Italiens
  • Hybridität und Norm in Lernervarietäten

Sektion Fachdidaktik

Leitung: Andrea Klinkner (Trier), Mirko Minucci (Eichstätt)

Sowohl Hybridität, also Mischformen auf verschiedensten Gebieten, als auch Normen, also klare Regeln und Vorgaben in verschiedensten Bereichen, sind feste Bestandteile des Fremdsprachenunterrichts. Dieses Rahmenthema des Italianistentages 2018 eröffnet der Sektion Didaktik ein breit gefächertes Feld an Möglichkeiten für interessante und nachhaltige Beiträge.
Sprachnormen spielen in erster Linie bei der Vermittlung von Grammatik und Wortschatz eine tragende Rolle, genauso aber auch bei der Aussprache und den verschiedensten zu erwerbenden kommunikativen Kompetenzen. Gerade im Anfangsunterricht sind Grammatikregeln und klare Vorgaben unverzichtbar und bieten den Lernenden eine wertvolle Stütze, an der sie sich orientieren können.
Kulturelle Normen sind bei der Vermittlung bzw. dem Aufbau der interkulturellen Kompetenz zentral und bilden eine Verknüpfung mit der Kulturwissenschaft.

Es gilt also, Regeln zu vermitteln, auf deren Einhaltung zu achten und natürlich ggf. auch Verstöße dagegen zu korrigieren. Somit ist auch die (sensible) Fehlerkorrektur – mündlich genauso wie schriftlich – ein wichtiges Element im Prozess des Spracherwerbs, das sich genau in diesem Spannungsfeld zwischen Norm und Hybridität ansiedeln lässt: Im Verlauf des Fremdsprachenerwerbs werden unweigerlich Mischformen gebildet (Interimssprache), die den Lernprozess gewinnbringend lenken.

Hybridformen finden sich aber auch in anderen Bereichen. So ist jeder Sprachenlerner unterschiedlich, und im unterrichtlichen Geschehen stoßen wir immer wieder auf hybride Lernarrangements, denen der Fremdsprachenunterricht gerecht werden muss. Die (Binnen)Differenzierung als wichtiger Bestandteil der Unterrichtsgestaltung in heterogenen Lerngruppen ist aus der heutigen Unterrichtskultur nicht mehr wegzudenken.

Im Sinne von ‚variatio delectat‘ sollten sowohl im Anfängerunterricht als auch im fortgeschrittenen Unterricht vielfältige und unterschiedliche Materialien (didaktisierte Texte, Sachtexte, Filme, canzoni, literarische Texte etc.) zum Tragen kommen, welche die unterschiedlichen Lernertypen auf den unterschiedlichen Niveaus ansprechen und aktivieren sollen.

Gerade auf dem Gebiet der Literaturdidaktik bieten sich bereits im Anfänger-, aber auch im weiterführenden Unterricht hybride Texte (graphic novels, romanzi multimediali bzw. multimodali etc.) zur Sprach- und Literaturvermittlung an, die durch genau diese Mischform von Text, Bildern und den Einsatz moderner Medien an die moderne Lebenswelt der Lerner anknüpfen und diese somit ansprechen und dadurch motivieren.

Vortragsvorschläge werden mit der Bitte um eindeutige Zuordnung zu einer der vier Sektionen mit aussagekräftigen Exposés (insgesamt max. eine Seite, ggf. mit Bibliographie, italienisch oder deutsch) und einem Kurz-CV in einer PDF-Datei bis zum 30. August 2017 erbeten an: ludwig.fesenmeier@fau.de

Beitrag von: Ludwig Fesenmeier

Redaktion: Christof Schöch