Stadt: Kassel

Frist: 2018-06-30

Beginn: 2019-09-29

Ende: 2019-10-02

Der 36. Romanistentag findet vom 29. September 2019 bis zum 2. Oktober 2019 an der Universität Kassel statt und hat das Rahmenthema Wiederaufbau, Rekonstruktion, Erneuerung. Die dynamische Beziehung von Wiederaufbau, Rekonstruktion und Erneuerung zeigt sich aktuell etwa in den Disputen um das Berliner Stadtschloss und um die „neue Altstadt“ in Frankfurt, denen eine kulissenhafte Rekonstruktion früherer Bauten vorgeworfen wird; sie zeigt sich ferner in politischen Diskursen, etwa wenn einer zunehmend globalisierten Welt die Rekonstruktion von Nationalstaaten oder ein als Erneuerung empfundener Aufbau nationaler Identitäten entgegengesetzt wird.

Rekonstruktion und Erneuerung manifestieren sich als Konzepte besonders deutlich in der Architektur und im politischen Raum, doch die Prinzipien sind umfassenderer Natur und prägen sämtliche Bereiche kulturellen Handelns, auch Sprache und Literatur. Allgemein kann Wiederaufbau als eine Reaktion auf Handlungen oder Prozesse verstanden werden, die vorhandene Strukturen einschneidend verändert oder zerstört haben. Wiederaufbau muss sich immer mit den Überresten früherer Ordnungen und Strukturen auseinandersetzen und entscheiden, in welchem Maß alte Strukturen leitende Autoritäten sein sollen, er muss sich zwischen den Polen von Rekonstruktion und Erneuerung, Kontinuität und Diskontinuität positionieren. Denn während Rekonstruktionen auf die (illusionistische) Wiederholung des früheren Zustands zielen, impliziert die Erneuerung eine Distanzierung von alten Formen und lässt auf Überresten und Fragmenten früherer Strukturen substanziell Neues entstehen. Anders als Rekonstruktion ist Erneuerung ein emphatischer Begriff.

Wiederaufbau, Rekonstruktion und Erneuerung bringen als Begriffe vielfältige Konnotationen und diskursive Wertungen mit sich. Diese semantischen Anreicherungen sollen Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Kulturwissenschaft und Fachdidaktik anregen, die drei Konzepte sowohl in der eigenen Disziplin als auch im interdisziplinären Dialog fruchtbar zu machen. Das Themenspektrum ist bewusst weit gefasst. In der Literaturwissenschaft ist die Beschäftigung mit literarischen Bewegungen oder Epochen denkbar, die auf der Idee der Rekonstruktion basieren (wie etwa Renaissance, Klassizismus oder Manierismus) oder Konzepte der Erneuerung für sich reklamieren (wie beispielsweise Futurismus oder Expressionismus). Weitere Themen sind die Geschichte literarischer Gattungen oder Literaturtheorien im Kraftfeld von Erneuerung und Rekonstruktion und natürlich literarische Texte, die Narrative von Wiederaufbau oder Erneuerung in Zeiten sozialer und politischer Umbrüche gestalten. In der romanischen Sprachwissenschaft bieten sich als Themenbereiche Sprachpolitik und Sprachbewusstsein an. Denkbare Forschungsfelder sind etwa der Topos der Sprachkrise, der meist vom Wunsch nach sprachlicher Erneuerung begleitet ist, oder das Konzept des Wiederaufbaus im Kontext sprachpolitischer Anstrengungen, die auf eine Stabilisierung bedrohter romanischer Sprachen und Varietäten abzielen. Auf das Sprachsystem bezogene Fragestellungen könn¬ten dagegen den Wandel sprachlicher Strukturen und Kategorien im Spannungsfeld von Rekonstruktion und Erneuerung beschreiben. Aus fachdidaktischer Sicht kann die begriffliche Trias auf den Erwerb, die Sicherung und die Reaktualisierung sprachlicher Kompe¬tenzen angewandt werden; auch können Konzepte wie Rekonstruktion und Erneuerung genutzt werden, um Prozesse des Textverstehens und der Textproduktion, der Verständigung und der Aneignung von Wissen zu modellieren. In einer allgemeineren kulturellen Perspektive kann es aufschlussreich sein, die drei Konzepte als komplex konnotierte kulturwissenschaftliche Ordnungsbegriffe in unterschiedlichen Kulturgemeinschaften der Vergangenheit und Gegenwart zu analysieren, wobei sich eine interdisziplinäre Herangehensweise, etwa in Anknüpfung an Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften, anbieten würde.

Soweit einige Ideen und Anregungen, wie das Rahmenthema konkretisiert werden kann, die Ausgestaltung des Themas liegt nun bei den Romanisten und Romanistinnen, die in den kommenden Monaten Sektionsvorschläge erarbeiten werden.

Geplant ist, dass eine Hälfte der Sektionen dezidiert das Rahmenthema behandelt; die andere Hälfte der Sektionen kann aktuelle Forschungsthemen aufgreifen, die keinen Bezug zum Rahmenthema haben. Sowohl thematisch gebundene Vorschläge als auch Sektionsvorschläge, die nicht dem Rahmenthema entsprechen, sind also herzlich willkommen. Die Sektionen des Romanistentags gliedern sich in vier Teilbereiche: Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Kulturwissenschaft und Fachdidaktik. Der Vorstand lädt alle Romanistinnen und Romanisten herzlichst ein, für den Kasseler Romanistentag Sektionsvorschläge einzureichen.

Die Sprachen des Kongresses sind alle romanischen Sprachen und das Deutsche.

Wir erbitten für die Bewerbung um eine Sektion ein Konzeptpapier, aus dem die zentralen Inhalte und Fragestellungen der Sektionsarbeit hervorgehen (zwei Seiten inklusive Literaturangaben; bitte geben Sie auch an, für welchen Teilbereich Sie den Sektionsvorschlag einreichen). Die Auswahl der Sektionen erfolgt anonymisiert über Programmbeiräte. Für jeden romanistischen Teilbereich wird ein Programmbeirat eingesetzt, sodass für jede Disziplin eine hohe Expertise gewährleistet ist. Wir bitten Sie, Ihre Sektionsvorschläge bis zum 30. Juni 2018 per E-Mail einzureichen (Adresse: angela.schrott@uni-kassel.de).

Das gewählte Thema des Kasseler Romanistentages knüpft auch an die jüngste Geschichte der Stadt Kassel an, die Zerstörung und Wiederaufbau nachdrücklich illustriert. Auch andere Städte waren nach 1945 stark vom Krieg gezeichnet, doch in Kassel ist die erste Phase des Wiederaufbaus besonders deutlich sichtbar. Die Architektur der 50er Jahre prägt das Stadtbild enorm, sie steht in großem Kontrast zu den historischen Bauten, etwa zum Bergpark mit dem monumentalen Herkules und zur Orangerie. Schließlich ist es eine weitere Besonderheit dieser Stadt, dass nach dem Krieg die documenta ihre ganz eigene Geschichte in die Stadt eingeschrieben hat: Kassel ist documenta-Stadt. Joseph Beuys „7000 Eichen“ – so der Titel eines Kunstwerks auf der documenta 7 (1982) – sind samt den sie begleitenden großen Basaltsteinen im Stadtbild ebensowenig zu übersehen wie zahlreiche andere Arbeiten der documenta-Kunst.

Ich lade Sie herzlichst ein, beim Romanistentag 2019 die Universität Kassel und die documenta-Stadt Kassel kennenzulernen.

Angela Schrott
Vorsitzende des Deutschen Romanistenverbandes

Beitrag von: Sandra Issel-Dombert

Redaktion: Christof Schöch