Stadt: Bamberg

Frist: 2025-04-15

Beginn: 2025-09-30

Ende: 2025-11-02

URL: https://www.uni-bamberg.de/romlit1/studium/interdisziplinaere-tagung-medical-humanities-diversity-studies/

Interdisziplinäre Tagung der BaGraLCM „Medical Humanities & Diversity Studies – Intersektionen medizinischer und diversitätskritischer Diskurse und multidimensionale Perspektiven auf Körper, Psyche, Krankheit und Gesundheit in Literatur und Medien des 19. bis 21. Jahrhunderts“ an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg

30.09.-02.10.2025 (Deadline Abstracts: 15.04.2025)

Organisation: Sofie Dippold, Susen Halank M.A., Tabea Lamberti M.A., Dr. Florian Lützelberger

Die in sich bereits interdisziplinär angelegten Felder der Medical Humanities und der Diversity Studies haben sich in den letzten Jahren verstärkt miteinander verzahnt und einen Fokus auf die kulturellen und sozialen Dimensionen von Krankheit und Gesundheit (physisch wie psychisch und psychosomatisch) gerichtet. Davon zeugt beispielsweise auch die Geburt der noch jungen Disziplin der Gendermedizin, die zeigt, wie wichtig es ist, geschlechtsspezifische Unterschiede in medizinischen Diagnosen und Therapien zu berücksichtigen.
Diese Entwicklung lässt sich auf weitere Kategorien sozialer Ungleichheit und Differenz erweitern. So zeigen Untersuchungen, wie tiefgreifend etwa race, class, disability oder Religionszugehörigkeit, also kulturelle, soziale und ökonomische Faktoren die medizinische Versorgung und das Verständnis von Krankheit beeinflussen. Ein zentrales Schlagwort hierbei dürfte der weitverbreitete racial bias in der Medizin sein, der sich u. a. in Diagnosen und Behandlungsmethoden widerspiegelt. Damit verzahnt (aber auch für sich selbst stehend problematisch) ist auch die Kategorie class, da sozial benachteiligte Gruppen allzu häufig über schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung verfügen, oft zusätzlich mit finanziellen Barrieren, mangelnder Gesundheitsbildung oder regionalen Aspekten und Fragen nach Zentrum und Peripherie verbunden (vgl. Kroll et al. 2017).
In Literatur und Kunst werden diese komplexen Zusammenhänge oft auf eindringliche Weise thematisiert, was ihre zentrale Bedeutung für das menschliche Erleben verdeutlicht. In Artefakten aller Arten und Gattungen eröffnet sich damit ein breites Feld, um nach den Darstellungen von Krankheitserfahrungen u. ä. unter Berücksichtigung diverser Kategorien zu fragen. Bereits in historischer Perspektive lassen sich entsprechende Reflexe zuhauf erkennen, die jedoch im 19. und 20. Jahrhundert besonders zunehmen und an Komplexität gewinnen:
Im 19. Jahrhundert reflektieren Krankheiten wie Hysterie und Alkoholismus in der Literatur häufig gesellschaftliche Normen und Spannungen und fassen sie als Ausprägung des Determinismus auf. Texte wie Charlotte Perkins Gilmans The Yellow Wallpaper (1892), George Eliots Middlemarch (1871/1872), Émile Zolas L’Assommoir (1877) oder auch Tolstois Anna Karenina aus demselben Jahr beleuchten individuelle Krankheitserfahrungen als Resultate gesamtgesellschaftlicher Prozesse und bergen so auch eine sozialkritische Dimension.
Für das 20. Jahrhundert prägend ist etwa Thomas Manns Der Zauberberg (1924), in dem die Tuberkuloseerkrankung des Protagonisten unter anderem als Metapher für soziale und intellektuelle Entwicklungen steht. Toni Morrisons Beloved (1987) zeigt mit grausamem Nachdruck, wie die Traumata der Sklaverei in den Körper und die Psyche der Protagonistin eingeschrieben bzw. eingebrannt sind, während Sylvia Plaths The Bell Jar (1963) psychische Gesundheit und Weiblichkeit in den Fokus nimmt oder die französische littérature du sida, etwa Collard oder Guibert, Krankheit und sexuelle Stigmata behandelt.
Die Produktionen des 21. Jahrhunderts lassen die Vielschichtigkeit und Verflechtungen der Thematik noch deutlicher zutage treten, gerade auch durch das verstärkte Bewusstsein der Gegenwartsgesellschaften für intersektionale Verflechtungen und multidimensionale Diskriminierung in allen Bereichen des Lebens: Exemplarisch zu nennen sind hier für die Gegenwartsliteratur Bernardine Evaristos Girl, Woman, Other (2019), Siri Hustvedts The Blazing World (2014) oder Annie Ernaux’ L’événement (2000).
Vor allem im Kontext der jüngsten Pandemievergangenheit ist eine enorme Vielfalt an Seuchen- und Pandemietexten entstanden, die nicht nur an die Tradition bereits bestehender Narrative anknüpfen (vgl. Witthaus 2021, 86ff.), sondern ganz eigene multiperspektivische Narrative entwickeln – so zum Beispiel Isabel Allende mit Violeta (2022) oder Agustina Bazterrica in Cadáver exquisito (2017).
Besonders (aber nicht ausschließlich) im Bereich der Literatur- und Medienwissenschaft entsteht so ein enormes Potenzial aufzuzeigen, wie das Erzählen von Krankheit und Gesundheit tief mit sozialen Kategorien wie gender, class, race, age, disability, Religion und anderen verflochten ist. Erzählungen von Krankheit stellen oft mehr als die bloße Schilderung körperlicher Symptome dar – sie öffnen den Blick für soziale Ungleichheiten und systemische Machtverhältnisse.

Wir laden Forscher:innen der Literatur-, Kultur-, Medienwissenschaft, Kunst- und Medizingeschichte, Kulturanthropologie, Soziologie und benachbarter Disziplinen ein, ihre Beiträge zu den Verknüpfungen zwischen Erzählungen über Krankheit und sozialen Kategorien zur Diskussion zu stellen: Welche Rolle spielen gender, soziale Klasse, race und Herkunft, Religion oder Behinderung (und weitere Diversitätsdimensionen) in Krankheitsnarrativen? Wie prägen sie das Verständnis von Krankheit und Gesundheit, und wie werden diese in Literatur und Medien verhandelt?
Schwerpunkte sollen auf den Literaturen, Gesellschaften und Medien der Romania, der Anglosphäre und des deutschsprachigen Raumes des 19., 20. und 21. Jahrhunderts liegen – auch Einreichungen zu Untersuchungen von Gegenständen anderer Herkunft sind jedoch willkommen! Mögliche thematische Linien für die Einreichung von Vortragsvorschlägen könnten die folgenden sein; besonders ermutigt werden jedoch Einreichungen zu intersektional ausgerichteten Projekten, die sich mit den Beziehungen von Mehrfachdiskriminierung und Krankheit/Gesundheit/Medizin auseinandersetzen:

  • Gender, Sexualität und Krankheit: Geschlechts- und sexualitätsspezifische Unterschiede in der Darstellung von Krankheit und Gesundheit, geschlechtsspezifische Perspektiven auf einzelne medizinische Phänomene
  • Literarische/mediale Auseinandersetzungen mit race und der Erfahrung von Krankheit: Postkoloniale und intersektionale Perspektiven auf medizinische Phänomene, bspw. auch im Kontrast zu europäischen (o. ä.) Perspektiven, racial bias, post- und dekoloniale Gesundheitsnarrative, Zusammenhänge von Migration/Flucht und Gesundheit, …
  • Krankheit und soziale Klasse: Literarische und mediale Darstellungen von Gesundheit in ökonomisch und bildungstechnisch benachteiligten Kontexten, obstetrische Gewalt, …
  • Ökologische Narrative: Umwelt und Gesundheit im Spannungsfeld von Literatur und sozialen Ungleichheiten, Zusammenhänge von Individuum und Kollektiv, Perspektiven aus New Materialism und Human-Animal-Studies, …
  • Disability Studies und Literatur/Medien: Zusammenhänge von Behinderung, Krankheit und Gesundheit in Literatur und Medien, Konstruktionen von Behinderung als Krankheit, Reclaiming von Behinderung, soziale Modellierungen, Perspektiven der ‚narrative prosthesis‘, ‚normate subject position‘ oder der ‚aesthetic nervousness‘, ….
  • Religion, Spiritualität und Krankheit: interkulturelle und religiösen Perspektiven auf das Zusammenspiel von Glaube und Gesundheit, religiöse Perspektiven auf medizinische Praktiken, …
  • Krankheit als Metapher: literarische Repräsentationen von Krankheit als Symptom gesellschaftlicher Krisen, Verbindung der Bildbereiche von Krieg/Kampf und Krankheit, Tierwelt und Krankheit, …
  • Körper, Alter und Krankheit: Alterungsprozesse, körperliche und mentale Veränderungen und ihre literarische und mediale Darstellung in Verbindung mit weiteren sozialen Kategorien
  • Medizinische Technologien und ihre literarische Reflexion: Organtransplantation, genetische Diagnosen, künstliche Intelligenz in der Medizin etc.
  • Psychische Krankheit und literarische/mediale Darstellungen: Verhandlungen der Grenzen und Zusammenhänge physischer und psychischer Gesundheit, psychosomatische Phänomene, Darstellungen psychischer Erkrankungen wie PTBS, Depression, intergenerationale Traumata, …
  • Gesundheitspolitik, Biopolitik und Pandemie: mediale und literarische Reaktionen auf Gesundheitskrisen, Pandemien und Epidemien in Vergangenheit und Gegenwart, politische und soziale Formung von und Erwartungen an Körper und Gesundheit, Perspektiven auf das Gesundheitssystem (z.B. verschiedene Formen des bias und der systematischen Diskriminierung – neben obigem racial bias bspw. auch medical weight bias), …

Hauptarbeitssprache(n) der Tagung sind Deutsch und Englisch, Beiträge in davon abweichenden Sprachen, z.B. den romanischen Sprachen, sind nach Rücksprache mit den Organisator:innen ebenfalls möglich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Qualifikationsstufen sind herzlich eingeladen, Beitragsvorschläge für Vorträge von ca. 20 Minuten Länge einzureichen.

Bitte senden Sie bei Interesse ein Abstract (ca. 350 Wörter zzgl. Literaturangaben) und kurze bio-bibliografische Angaben bis zum 15. April 2025 an medicalhumanities.bagralcm@uni-bamberg.de. Reise- und Übernachtungskosten werden vorbehaltlich der Finanzierungzusage anteilig übernommen; eine anschließende Publikation der Beiträge ist geplant.

Beitrag von: Florian Lützelberger

Redaktion: Robert Hesselbach