Die Bilder vom Tatort in Ostia, wo Pier Paolo Pasolini in der Nacht vom 1. auf den 2. November 1975 ermordet wurde, haben sich im kollek­tiven Gedächt­nis einge­prägt wie eine Urszene: Immer wieder muss sie vergegen­wärtigt, immer wieder phan­tasiert werden. Sie bildet die Grund­lage für ein, im weiteren Sinn, mythi­sches Narrativ, welches Pasolini wieder­aufleben lässt in der Aureole eines radikalen politi­schen Begeh­rens, das er mit seinem Leben bezahlen musste. Dabei schien die Vorstellung der gegen Pasolini einge­setzten Bruta­lität nicht anders ertrag­bar als in einer über­tragenen Form, durch die sein zermar­terter Körper zum Gegen­stand einer sozialen Praxis der Verehrung erhoben wurde. Die verstö­rende Dimen­sion des Ereig­nisses wurde somit über­führt in kultu­rell vertraute Kate­gorien, in einen christ­lichen Bestimmungs­zusammen­hang von Schuld, Opfer und Sühne. In der märtyro­logischen Figu­ration scheint somit auch ein Abwehr­mecha­nismus zur Geltung zu kommen gegen ein in Paso­linis Werk und Leben verfüg­bares Erkenntnis­poten­tial, das – wie Franco Fortini im seinem Nachruf sehr genau schrieb – „so manch erbärm­liche Hoff­nungen und Gewiss­heiten ein­stürzen ließe“.

Anlässlich des 50. Todestags wollen wir uns den Formen des Umgangs mit Pasolinis Ab- und Nach­leben, sowie mit den zu Grunde liegenden Problem­komplexen, noch einmal zuwenden. Aus­gangs­punkt bilden kurze Bei­träge zu aus­gewähl­ten Arbei­ten aus Kunst sowie Pop­kultur, die auf den Mythos Pasolini refe­rieren, diesen aber auch weiter­schrei­ben und popu­lari­sieren, bzw. in neue Medien über­tragen und so verändern. Der im SFB „Trans­formation des Popu­lären“ unter­suchten Doppel­wertig­keit des Trans­forma­tions­begriffs ent­sprechend, sollen indes nicht nur gegen­stands­imma­nente Verän­derungen, sondern auch die Verän­derungs­kraft, die vom popu­lären Gegen­stand selbst ausgeht, zur Diskussion stehen. Denn hat der Mythos Pasolini in den vergangenen 50 Jahren stets an Beach­tung hinzuge­wonnen, so entfaltet er inzwi­schen eine Eigen­dynamik, durch welche er unge­achtet inhalt­licher oder emischer Kriterien, allein Kraft seines popu­lären Status, gesell­schaft­liche Aus­wirkungen zeitigt. Davon zeugen nicht nur die Ein­zeich­nungen seiner Figur in den öffent­lichen Raum (Topo­nomastik, Street-Art), die Pasolini in der Art eines Orts­heiligen adressieren und eine bestehende geogra­phische Ordnung symbo­lisch doppeln. Auch die politi­schen Konflikte, welche die Popu­larisie­rung des Mythos mitführt, gilt es als Symptom einer den Kern sozialer Ordnungen verletzenden Dynamik zu vergegen­wärtigen.

Die Veranstaltung im Rahmen der Reihe »SYMBOLISCHE FORMEN. DER MYTHOS UND SEINE POLITISCHEN FORMEN« (Warburghaus Hamburg):
https://www.warburg-haus.de/events/?id=6201

Beitrag von: Fabien Vitali

Redaktion: Robert Hesselbach